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■ Dokumentation der Rede von HerzogSich dem Grauen der Geschichte stellen!

... Was wir brauchen, ist Versöhnung und Verständigung, Vertrauen und gute Nachbarschaft. Das kann nur ... gedeihen, wenn unsere Völker sich dem Grauen ihrer jüngsten Geschichte in aller Offenheit stellen. In aller Offenheit und ohne Vorurteile. Mit dem Mut zur vollen Wahrheit. Nichts hinzufügen, aber auch nichts weglassen, nichts verschweigen und nichts aufrechnen. Im Bewußtsein, der Vergebung bedürftig zu sein, aber auch zur Vergebung bereit.

Der 1. August ruft uns in Erinnerung, welch unermeßliches Leid von Deutschen über Polen gebracht wurde... In den entfesselten Racheaktionen nach Beginn des Warschauer Aufstandes, in der systematischen Vernichtung der Stadt und ihrer Bewohner überschlug sich die Zerstörungsmaschinerie der Nazis in einem letzten haßerfüllten Aufbäumen. Ihr stand der unabwendbare, der endgültige Bankrott und der ihn begleitende Einzug von Krieg, Leid, Tod und Vertreibung auch in Deutschland schon deutlich vor Augen. So war Zerstörung mit Selbstzerstörung unlösbar verbunden.

Der 1. August 1944 ist zugleich ein unauslöschliches Symbol für den Freiheitswillen des polnischen Volkes, für seinen Kampf um menschliche Würde und nationale Selbstbehauptung. Er ist zum Sinnbild für das kämpfende Polen geworden, das sich nie mit Demütigung, Rechtlosigkeit und drohender Vernichtung abgefunden hat. Es erfüllt uns Deutsche mit Scham, daß der Name unseres Landes und Volkes auf ewig mit dem Schmerz und dem Leid verknüpft sein wird, die Polen millionenfach zugefügt wurden... Das Martyrium des polnischen Volkes nahm nicht erst am 1. August 1944, sondern am 1. September 1939 seinen Anfang. Kein Land hatte im Zweiten Weltkrieg vergleichbar hohe Opfer zu beklagen wie Polen... Wir beziehen sie alle in unser Gedenken ein und nehmen ihren Tod als Mahnung und Verpflichtung für die Zukunft zugleich. Diese Zukunft gilt es nunmehr gemeinsam und verantwortlich zu gestalten.

Im Laufe der letzten 40 Jahre hat die europäische Geschichte eine dramatische Wendung genommen. Die Völker haben begonnen, sich in einem vereinten Europa zusammenzuschließen. Niemand braucht auf seine nationale Identität zu verzichten, niemand auf seine Kultur und Geschichte. Verzichten müssen wir nur auf Feindschaft und Haß und auf einen kleinen Teil unseres nationalen Egoismus... Heute steht dieser Weg auch dem polnischen Volk offen, das doch stets zu Europa gehört hat und das die Europäer 40 Jahre lang schmerzlich vermißt haben... Deutschland jedenfalls wird die Bemühungen Polens um Aufnahme in die Europäische Union und die Nato allezeit unterstützen... Heute aber verneige ich mich vor den Kämpfern des Warschauer Aufstandes wie vor allen polnischen Opfern des Krieges: Ich bitte um Vergebung für das, was ihnen von Deutschen angetan worden ist.

Von der Redaktion gekürzt

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