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■ Dokumentation: Ein Gespräch mit Petra Kelly im Jahr 1990Es sind nicht nur die Revolutionen, die ihre Kinder fressen

Michael Schroeren: Ist die Entwicklung der Grünen über dich hinweggegangen?

Petra Kelly: Vielleicht. Die Grünen sind nicht mehr das, was ich einmal mit dem Schlagwort „Antiparteien“-Partei gemeint habe, die ich mir übrigens immer noch wünsche. Sie bieten zur Zeit ein verworrenes und kaputtes Bild. Im Augenblick fühle ich mich in der Rolle des Zuschauers, der sich über das atemberaubende Tempo wundert, mit dem die Grünen sich zu ihrem Nachteil verändern. Die „Sozialdemokratisierung“ der Grünen schreitet voran. Wenn das so weitergeht, frage ich mich: Wozu denn noch eine grüne Partei?

Was verändert sich bei den Grünen zum Nachteil?

Noch vor einigen Monaten hieß es bei den Grünen: Nato bedeutet Aufrüstung, und die Nato kann kein Friedensbündnis sein. Jetzt heißt es plötzlich überall, daß die Nato eigentlich gar nicht so schlimm ist, daß wir drinbleiben und sie von innen reformieren sollen. Das ist nicht mehr gewaltfreie grüne Politik! Früher waren wir absolute GegnerInnen bestimmter chemischer Stoffe und Produkte. Heute wird bei den Grünen sogar über Grenzwerte für Dioxin, Blei und Radioaktivität diskutiert, und man taktiert mit einem möglicherweise sehr langsamen Ausstieg aus der Atomenergie, um die SPD im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl zu beruhigen.

Taktik wozu?

Viele Leute bei den Grünen orientieren sich und die Partei ganz stark auf die Gruppierung, die man einmal verlassen hat, auf die SPD. Das ist genau der Weg zurück dahin, von wo wir uns 1979 mit Gründung der Grünen verabschiedet haben. Anstatt unsere radikalen grünen Utopien – zum Beispiel soziale Verteidigung, Blockfreiheit usw. – konkret und unbeirrbar weiterzuentwickeln, werden wir von der Entwicklung im Warschauer Pakt überholt und bewegen uns immer kompromißbereiter auf die Sozialdemokratie zu.

Viele sehen darin den Ausdruck eines Reifungsprozesses der Grünen.

Wieso ist es ein Zeichen von Reife, wenn eine Partei ihre Identität und ihr Profil preisgibt, um einer anderen Partei zu gefallen? Früher waren wir reif genug, deutlich herauszustellen, was uns von der SPD trennt und was uns gemeinsam ist. Heute bemüht man sich schon fast krampfhaft um den Nachweis, daß man brav und berechenbar geworden ist. Realitätsbezogen sind für mich die radikalen Ideen und Konzepte, die die Grünen am Anfang aufgestellt haben in einer Welt, deren Realität aus Hunger, Elend, ökologischen Katastrophen und Gewalt in vielfacher Form besteht. Gerade damit aber befassen sich grüne Gremien und Delegiertenversammlungen immer weniger.

Ein „Realo“ hat mal gesagt, Visionen gehörten nicht auf die Regierungsbank.

Schlimm genug. Denn dieser Satz bedeutet wirklich das Ende grüner Politik. Er zeigt, daß man sich absolut von allem verabschiedet hat, was jemals erdacht, erträumt oder gewünscht war. Er bedeutet die Rückkehr zur klassischen Sachzwangpolitik, die die Grünen einmal bekämpft haben: „Leute in der Alternativbewegung, fahrt ruhig in Urlaub und ruht euch aus, dann können wir in Ruhe Politik da oben machen, unsere grünen Minister werden das schon für euch regeln.“ Eine solche Haltung hat für mich nichts mehr mit den Grünen zu tun. Ich glaube auch, daß grüne MinisterInnen noch nicht zu unseren Visionen passen. Denn der Regierungspartner SPD müßte erst lernen, grüne Visionen zu respektieren. Davon kann jedoch heute noch keine Rede sein.

1980 traten die Grünen als grundlegende Alternative zu den herkömmlichen Parteien an. Sind sie das heute noch oder eher das kleinere Übel?

In ihrer jetzigen Verfassung sind sie eindeutig in der Rolle des kleineren Übels. Dennoch stehen sie in der tristen Parteienlandschaft der Bundesrepublik für viele Menschen immer noch als eine Alternative da. Aber mehr in einem abwartend-resignativen Sinne, nicht mehr in der Art eines hoffnungsvoll-mitreißenden Aufbruchs. Der generelle Tenor ist: Die Grünen sind immer noch ein bißchen ehrlicher, glaubwürdiger und fleißiger als die anderen, aber ihren Biß haben sie verloren. Joseph Beuys hat kurz vor seinem Tod gesagt: Die Grünen sind stinklangweilig geworden. Und damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Grünen sind eine richtige Machterwerbs- und Wahlkampfpartei geworden, sehr taktisch und routiniert, ständig auf sich selbst fixiert. Aber eigentlich stören sie keinen mehr, weil sie ihre Aufmüpfigkeit verloren haben. Statt Sand im großen Getriebe zu sein, haben sie selber ihr kleines grünes Getriebe entwickelt, das den Eindruck verbreitet: es läuft und läuft, und irgendwann kommen wir irgendwo auch an die Macht, und dann machen wir alles anders.

Wenn du bei dem bleibst, was du 1982 gesagt hast –die Zukunft der Grünen könne nicht darin liegen, daß sie Machterwerb im Stil der etablierten Parteien betreiben–, darfst du den Grünen jetzt keine Zukunft mehr geben.

Ich bin mir tatsächlich nicht sicher, ob die Grünen die nächste Wahl oder das, was danach folgen wird, mit ihrer Identität überleben werden. Vielleicht überleben sie, dann aber nicht mehr als grüne Partei, obwohl sie dann wahrscheinlich immer noch so heißen werden. Aber selbst wenn das eintritt und die bundesdeutschen Grünen scheitern, glaube ich immer noch, daß der Weg in die Zukunft, wenn es sie für uns gibt, grün ist.

Was sind die Grünen gegenwärtig, was könnten sie sein?

Ich habe das Gefühl, das Bild der Grünen wird immer oberflächlicher, ausgefranster und verschwommener. Die Grünen laufen allen Themen hinterher, ergreifen wenig Initiative, wollen es fast jedem recht machen und verlieren das, wofür sie wirklich angetreten waren, immer mehr aus den Augen. Mein Wunsch wäre, daß die Grünen sich vier oder fünf grüne Themen und Ziele setzen, die sie mit aller Kompromißlosigkeit verfolgen, auch wenn sie dann vielleicht nicht über sieben oder acht Prozent hinauskommen. Da bleibe ich bei meiner früheren Aussage: wenn die Grünen zu Beispiel acht Prozent Zustimmung für die Forderung bekämen, die Armee bei uns abzuschaffen, dann wären mir diese acht Prozent lieber als zwanzig Prozent, die für eine Reform der kleinen Schritte in der Nato sind. Das Gespräch führte

Michael Schroeren

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