Dokumentarfilm "Unter Kontrolle": Womit zu rechnen ist

"Unter Kontrolle" von Volker Sattel zeigt die Atomenergie als Technik der Vergangenheit - mit nüchternem Blick und epischem Atem.

Wir betreten mit Volker Sattel eine fremde und seltsame Welt, an der ganz und gar nichts Furchterregendes zu erkennen ist. Bild: farbfilm

Bei einer Kernspaltung war persönlich noch niemand dabei. Der physikalische Vorgang muss, damit er seine zerstörerische Kraft nicht entfalten kann, von massiven Vorrichtungen umgeben werden, und irgendwo zwischen diesen Reaktorkesseln, Schutzmänteln, Betonkuppeln sitzen Ingenieure in einem Kontrollraum und blicken auf Leuchtanzeigen. Die Technologie zur friedlichen Nutzung der Kernkraft ist ein perfektes Beispiel für eine Rationalität, die sich selbst mit Schutzmänteln umgeben muss, damit ihre Widersprüche zumindest nach innen nicht allzu deutlich sichtbar werden.

Der Dokumentarfilmer Volker Sattel hat mit "Unter Kontrolle" nun Einblick in das Innere dieser Technologie genommen. Er hat sich Zugang verschafft zu deutschen Kernkraftwerken, er hat mit den Menschen gesprochen, die dort arbeiten, und er ist dabei auf ein System gestoßen, das sich schon mehr oder weniger auf seine Abwicklung eingestellt hat.

Die langen Dreharbeiten, die ein Film dieser Art erforderlich macht, haben dabei mehrfache, bittere Ironien mit sich gebracht - und nun ist durch die Ereignisse in Japan auch noch eine im Vergleich zur Premiere während der Berlinale drastisch veränderte Rezepionssituation hinzugekommen.

Der gelassene Duktus von "Unter Kontrolle" erweist sich vor diesem Hintergrund als entscheidend - man wird mit diesem Film nicht agitieren können, man bekommt aber eine Menge Reflexionsmaterial an die Hand, man kann sich mit den Aufnahmen auf die "lange Dauer" der Atomenergie einlassen, die ja noch in ihrer Stilllegung eine Menge Arbeit macht.

Vor diesem Hintergrund erwies es sich auch für die Filmemacher - neben Volker Sattel vor allem sein Ko-Autor Stefan Stefanescu - als Glücksfall, dass Österreich den Ausstieg aus der Atomenergie noch vor dem Einstieg vollzogen hat. 1977 fand eine Volksabstimmung statt, bei der sich die Gegner der Nuklearenergie knapp und gegen die Bestrebungen der eigenen Regierung durchsetzten.

Seither steht im niederösterreichischen Zwentendorf ein Reaktor herum, der als Museum und Ersatzteillager dient - und damit als idealer Drehort für "Unter Kontrolle". Hier fällt auch ein entscheidender Satz: "Das Volk war mit der Entscheidung überfordert", sagt einer der Ingenieure, der meint, er könnte aufgrund seiner technischen Ausbildung qualifiziertere Aussagen zum Thema machen. Dass er mit seinem Satz etwas sehr Wichtiges und Richtiges trifft, entgeht ihm dabei - er bedauert es nur bis heute, dass Zwentendorf nie in Betrieb gehen konnte.

Falsches Vertrauen

Dass die Atomenergie eine Demokratie strukturell überfordert, weil sie Risikoabwägungen notwendig macht, die in ein herkömmliches Denken in Alternativen kaum integrierbar sind, das wird in "Unter Kontrolle" beiläufig anschaulich. Wir betreten mit Volker Sattel eine fremde und seltsame Welt, an der ganz und gar nichts Furchterregendes zu erkennen ist, allenfalls eine gewisse Monumentalität, die nicht von ungefähr an Kirchenbauten erinnert.

Und im Grunde haben wir es hier ja tatsächlich mit einer modernen Religion zu tun, mit einer technokratischen Variante des Vertrauens auf einen berechenbaren Gott, der nicht würfelt. In keiner einzigen Szene geht es Sattel um so etwas wie eine Denunzierung dieses Systems, im Gegenteil gewinnt der atomare Sektor hier mit jedem Schritt hinein in das Szenario eine unvermutete Vertrautheit - die fremde und seltsame Welt wird durch die Dialekte der Ingenieure, durch ihr gelassenes Sprechen, durch die fast schon behaglich durchexerzierten Katastrophenpläne zu einem Exempel umsichtiger Sorgfalt und eingebauter Absicherungen.

Hier tut sich allerdings ein blinder Fleck auf, der viel über den Status der Atomkraft in Deutschland verrät (und vermutlich auch über die Drehbedingungen): Sattel konnte wohl in den Anlagen selbst filmen, er bekam überraschend viele Bilder zustande, die das Funktionieren verschiedener Reaktortypen anschaulich machen, er zeigt jene typische Maschinenlandschaft, in der in großem Stil Dinge ineinandergreifen und aus der am Ende etwas herauskommt, dem der Prozess seiner Herstellung ganz und gar nicht anzusehen ist.

Betreiberebene fehlt

Was er aber nicht ins Bild bekam, das ist die gesamte Betreiberebene, das betrifft die ökonomische Infrastruktur der Kraftwerke, die ja großen Konzernen gehören, während in "Unter Kontrolle" eher der Eindruck mittelständischer Betriebe entsteht, in denen (fast ausschließlich) Männer für Ordnung sorgen, die man sonntags beim Kirchgang oder beim Rasenmähen sehen könnte und mit denen man eher ein Kartenspiel zu beginnen geneigt ist als eine Diskussion über Risikofolgenabwägung.

In einer der besten Szenen des Films ist hingegen ein höherer Verantwortlicher zu hören, der selbst nicht im Bild ist, nur seine Stimme ertönt aus einem Saal, in dem die gesamte Branche zusammengekommen ist. Der Redner wiegt sich gerade - man ist ja unter sich - in der neuen Selbstsicherheit, die der Ausstieg aus dem Ausstieg der schwarz-gelben Bundesregierung dem atomaren Sektor vermittelt hat.

Sattel ist hier ein geradezu paradigmatischer Moment gelungen, denn die Kontingenz, mit der dieser bezeichnenderweise anonym bleibende Sprecher nicht rechnet, ist wenig später in Japan massiv wirksam geworden und stellt damit an den Film - wie auch an diesen Lobbyisten - die Frage nach dem, womit eigentlich zu rechnen ist.

Dabei zeigt sich, dass Volker Sattel wohl eher einen deutschen Sonderweg beschreibt als einen globalen Standard: Denn "Unter Kontrolle" zeigt die Atomenergie insgesamt als eine Technik der Vergangenheit, die allmählich historisch zu werden beginnt, was die vielen Rip van Winkles, die jeden Tag dorthin zur Arbeit gehen, noch nicht bemerkt haben, was aber in den Gewölben stillgelegter Schneller Brüter und in den zu einem Vergnügungspark umfunktionierten Kühlturm eines Reaktors ganz deutlich wird.

Dass hier ein ganzer Wirtschaftszweig Tatsachen geschaffen hat, deren Abbau weitere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird, verleiht dem ganzen Film "Unter Kontrolle" einen epischen Atem. Man erkennt dann plötzlich nicht eine Spitzentechnologie der Moderne, sondern eine weitere Ruinenlandschaft des industriellen Zeitalters, das ständig leere Strukturen untergegangener Innovationen hinterlässt. Welche Innovationen es sind, die eines Tages an die Stelle der Atomenergie treten werden, das muss Sattel nicht kümmern. Er zeigt all das, was die Kernspaltung umgibt, als ein zur Erstarrung neigendes System, das seiner eigenen Entropie gehorcht.

Irgendwann wird man sich "Unter Kontrolle" als ein historisches Dokument ansehen können, das es jetzt aber schon ist: ein Denkmal auf eine Welt, der die Verbindung nach außen schon abhanden gekommen war, bevor in der Außenwelt etwas geschah, das dann auch im Inneren der Schutzräume nicht unbemerkt bleiben konnte.

Dass sich hier etwas verselbständigt hatte, das ist die eigentlich spannende und beunruhigende Idee dieses Films, in dem Politik und Ökonomie die beiden abwesenden, aber unabweislichen Faktoren sind.

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