Dokukomödie über eine Messie-Mutter: "Dazu dieser Gestank. Horror"

Mutti war ein Messie, jetzt ist sie tot. Ein Gespräch mit dem Schweizer Filmemacher Thomas Haemmerli, der nach dem Tod seiner Mutter die vermüllte Wohnung aufräumt und dabei eine Doku dreht.

Regissuer Haemmerli mit einem Fundstück aus der Wohnung. Bild: neue visionen

taz: Herr Haemmerli, "Sieben Mulden und eine Leiche" ist in der Schweiz bereits vor einem Jahr in den Kinos gelaufen, Sie haben mittlerweile also etwas Abstand gewonnen. Bereuen Sie es inzwischen, den Film gemacht zu haben?

Thomas Hammerli: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Einige Details würde ich heute zwar anders lösen, aber im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden mit dem Film. Die Reaktionen bestätigen das: Der Film ist international recht erfolgreich und hat einige Preise bekommen.

Sie haben im Nachhinein kein schlechtes Gewissen Ihrer Mutter gegenüber?

Nein. Meine Mutter ist tot, wie soll ich ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen entwickeln? Der Film hat keinerlei Einfluss auf sie.

Sie stellen Ihre Mutter in dem Film als durchgeknallten Messie dar, als Frau, die ihr Leben verpfuscht hat?

Das würde ich so bestreiten. Aber es ist relativ simpel, jegliche Positionen zu demontieren, die versuchen, im Jenseits noch irgendetwas zu konstruieren - eine Empörung oder eine Reaktion eines Verstorbenen. Ich bin Anhänger der Verantwortungsethik, die nach den Folgen des Tuns fragt. Für meine Mutter hat mein Film keine Folgen, für meinen Bruder und mich schon.

Warum haben Sie die Aufräumarbeiten in der Wohnung Ihrer toten Mutter mit der Kamera dokumentiert?

Zunächst nicht, weil ich vorhatte, einen Film daraus zu machen. Ich filme und fotografiere ständig. In dieser Hinsicht bin ich durch und durch Medienarbeiter. Das ist bei mir ein Reflex.

Ist es ein Reflex, der Distanz schafft - der das Dokumentierte sofort fiktionalisiert?

In solch einer Schocksituation zu filmen, schafft Distanz, ja. So war es auch in der Wohnung meiner toten Mutter. Ich würde aber nicht sagen, dass die Kamera fiktionalisiert. Das Geschehen wird sofort Gegenstand von Analyse, es tauchen sofort Fragen auf. Etwa: "Was bedeutet das, was ich da gerade drehe?" Man gelangt dadurch auf eine intellektuelle Ebene, die natürlich auch dabei hilft, sich die Realität der Situation ein bisschen vom Leibe zu halten.

Man könnte sagen, genau dies ist das eigentliche Thema Ihres Films: Verdrängung.

Wenn Sie das so sehen. Mir ging es darum, das Messie-Problem meiner Mutter zu thematisieren. Die Messie-Problematik ist ja viel verbreiteter, als man gemeinhin annimmt, und ich finde es wichtig, dass man mehr darüber weiß. Meiner Mutter hätte es geholfen, wenn ihr Problem nicht so ein Tabu gewesen wäre. Ich habe schon Feedback von Leuten bekommen, die sagten, sie seien nach dem Film nach Hause gegangen und hätten aufgeräumt. Das ist ein Riesenkompliment. Das übergeordnete Thema von "Sieben Mulden und eine Leiche" ist aber der Tod. Philippe Aries hat in seinem Werk "Geschichte des Todes" beschrieben, wie der Tod in den Fünfzigerjahren Sache der Medizin wurde und damit aus dem Lebensalltag verschwand. Jetzt beobachten wir das Paradox, dass der fiktionalisierte Tod immer präsenter und aufdringlicher wird, durch Serien im Fernsehen wie "C.S.I" und so weiter, in denen man die unglaublichsten Dinge in Nahaufnahme sieht. Aber reale Tote sieht man fast nie - obwohl es das Normalste der Welt ist, zu sterben, zur Leiche zu werden.

Sie zeigen in Ihrem Film zwar nicht die Leiche Ihrer Mutter, aber der Verwesungsgestank in ihrer Wohnung ist bis zum Schluss präsent.

Ja, die Aufräumarbeiten waren für meinen Bruder und mich eine Zumutung. Aber gleichzeitig war klar: Einer muss es ja machen. Dieser Müllberg war keine Metapher, das war keine Fiktion, das war echter Schrott! Schrott, den wir zwölf Stunden am Tag wegschaffen mussten. Dazu dieser Gestank. Horror.

Ironischerweise haben Sie 1995 ausgerechnet einen Film mit dem Titel "Dokumentarfilm: eine Anleitung" gedreht, in dem Sie sich über Menschen mokieren, die das tun, was Sie nun selbst gemacht haben: einen Film über ihre toten Eltern drehen.

Damals machte ich mich lustig über bestimmte engagierte Dokumentarfilme der späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahre, über absolut humorfreie, wahnsinnig pathetische Selbstfindungsfilme, in denen lange Schwenks über Landschaften zu sehen sind, während denen die Autoren im Off tiefsinnige Fragen stellen. So ein Film ist "Sieben Mulden und eine Leiche" ja nicht geworden. Es ist eine Dokukomödie. In "Dokumentarfilm: eine Anleitung" gebe ich vor, mein Vater sei gestorben, und zeige ein Bild des Satirikers Karl Kraus. Eine selbst gewählte Vaterfigur. Von ihm, und von Autoren wie Eckhard Henscheid oder Thomas Kapielski, bin ich stark beeinflusst. Unsere Welt ist ja in vielem eine Zumutung. Ich kann dem Horror nur mit Humor und Sarkasmus begegnen. Und Pathos ist mir völlig fremd.

Deswegen unterlegen Sie den Fund einer Greenpeace-Broschüre in den Müllbergen Ihrer Mutter mit kitschigen Walgesängen?

Klar. Auch Klamauk gehört dazu.

Halten Sie aus diesem Grund auch in einer anderen Szene pubertär grinsend den Vibrator Ihrer Mutter in die Kamera? Es ist eine peinliche Stelle - für Sie.

Gegen einen Vibrator ist nichts einzuwenden, er ist ein emanzipatorisches Instrument. Warum hätte meine Mutter keinen haben sollen? Trotzdem will man als Sohn nicht unbedingt den Vibrator seiner toten Mutter finden. Ich habe diese Szene reingenommen, weil mein Bruder und ich im Film oft eher cool rüberkommen. Beim Vibrator werde ich ein wenig rot, und ich finde es peinlich, dass es mir peinlich war. Es geht mir da um Selbstdemontage. Und der Vibrator ist nötig, weil der Film auch ein Sittenporträt ist.

Gegen Ende des Films sieht man Sie mit Ihrem Bruder in einem Boot vor der Küste Griechenlands, Sie halten die Urne mit der Asche Ihrer Mutter in den Händen.

Es war der Wunsch meiner Mutter, dass ihre Asche an diesem speziellen Strand von Griechenland verstreut wird. Es war ein Theater, diese Urne überhaupt nach Griechenland zu bekommen. Und natürlich hatte ich dort auf dem Meer sofort die berühmte Szene aus "The Big Lebowski" im Kopf: Achtung beim Öffnen der Urne, es ist windig!

Ist es nicht ein Widerspruch, einerseits seiner Mutter den Wunsch nach einer Bestattung in Griechenland zu erfüllen, andererseits aber zu sagen: Was nach dem Tod passiert, ist sowieso egal, deswegen kann ich auch einen Film über meine Mutter machen, der ihr so garantiert nicht gepasst hätte?

Das ist es. Den Bestattungswünschen eines Toten zu entsprechen, ist trotzdem richtig, weil es zum sittlichen Konsens unser Gesellschaft gehört - selbst wenn es eigentlich absurd ist. Es ist richtig, weil es so schwierig zu denken ist, dass nach dem Tod nichts mehr eine Rolle spielt. Und für die Hinterbliebenen ist es ein tröstendes Ritual.

Und, ist die Urne inzwischen wieder aufgetaucht?

Wie meinen Sie das?

In besagter Szene auf dem Meer sieht man, dass sich die Urne nicht öffnen lässt, weil sie versiegelt ist. Der Versuch, sie zu versenken, scheitert, weil sie schwimmt. Ob der Versuch ihres Bruders, sie vom Boot aus zu zertrümmern, erfolgreich ist, bleibt unklar. Man vermutet also: Die Urne wird wieder auftauchen, sie wird Sie verfolgen, es wird ein Sequel geben.

Wenn man genau hinschaut, sieht man in der Slow Motion: Es hat funktioniert. Die Urne ist kaputtgegangen. Aber das bringt natürlich gut das Paradox auf den Punkt, in dem ich als Filmemacher stecke: Die Dinge, die ich als Sohn auf keinen Fall möchte, sind die Dinge, die für mich als Profi die interessantesten sind.

INTERVIEW: JAN KEDVES "Sieben Mulden und eine Leiche". Regie: Thomas Haemmerli. Dokumentarfilm, Schweiz 2007, 84 Min.

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