Diskussion zum arabischen Umbruch: "Wie eine ägyptische CSU"
Ein Podium widmet sich Ägyptens Wandel - und seinen Protagonisten. Vor den Muslimbrüdern muss man nicht erschrecken, sagt Ivesa Lübben.
taz: Frau Lübben, wann waren Sie zuletzt in Kairo?
Ivesa Lübben: Im Herbst, im Vorfeld der Wahlen im November.
Gab es da schon Anzeichen des Umbruchs?
Eine ganze Menge! Einerseits waren die Wahlen derartig gefälscht, dass durch sie klar wurde: Dieses Regime ist nicht einmal zu einem Minimum an Reformen bereit. Andererseits hatte dessen soziale Basis - die auch ein autoritäres Regime braucht - längst begonnen, wegzubrechen
Welche Basis?
Zum Beispiel hatte die staatliche Gewerkschaft schon ab den großen Streiks im Jahr 2008 Konkurrenz von unabhängigen, lokalen Gewerkschaften bekommen, die sich untereinander vernetzt haben. Aber auch die Sufi-Orden, die seit Abdel-Nasser als islamisches Gegengewicht zur Muslimbruderschaft gefördert wurden, wandten sich ab.
IVESA LüBBEN Politologin und Journalistin, lehrt am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien, Marburg.
Mit Ivesa Lübben diskutieren am Sonntag im Lagerhaus dien Grünen-Politikerinnen Helga Trüpel (MdEP), Marieluise Beck (MdB) und Zahra Mohammadzadeh (MdBB). Moderiert wird die Veranstaltung von Christoph Sodemann, center-tv. Die Diskussion beginnt um 16 Uhr.
Warum?
Weil das Regime sich massiv in ihre inneren Angelegenheiten einmischte. Zudem war das selbst so sehr in sich gespalten, dass die Lager sich gegenseitig ihre Prügeltrupps aufeinander gehetzt haben - dieselben, die jetzt auf die Straße geschickt werden.
Sie diskutieren Sonntag mit einer Europa-, einer Bundestags- und einer Landtagsabgeordneten: Kann denn hiesige Politik etwas anderes tun, als die Füße still zu halten?
Sie muss auf jeden Fall die Freundschaft mit dem ägyptischen Volk suchen - statt mit einem Regime ohne Basis. Denn dieser Umschwung - da gibt es kein Zurück mehr.
Bloß ist unklar, wos hingeht.
Ich denke, dass kurz- oder mittelfristig eine Demokratisierung eintritt.
Mit der Muslimbrüderschaft, vor der viele Angst haben?
Diese Ängste werden von Leuten geschürt, die noch nie einen lebendigen Muslimbruder getroffen haben. Das sind Ärzte, Rechtsanwälte, Politologen - das, was man oft als Modernisierungseliten bezeichnet. Die Muslimbrüder bilden in Ägypten einen bürgerlichen, konservativen Mittelstand.Die sind so etwas wie eine ägyptische CSU - einschließlich der offen geführten Debatten der Parteiflügel.
Mit dem geeinten Feindbild Israel?
Es gibt wahrscheinlich derzeit keinen Araber, der Israels aktueller Politik irgend etwas abgewinnen kann. Allerdings ist das ein pragmatisch denkendes und handelndes Bürgertum, das sich zwar daran stört, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird, sobald Israel im Spiel ist: vom Recht auf Atomwaffen über UN-Sanktionen bis hin zum Erdgas, das Israel zu einem Drittel des Weltmarktpreises aus Ägypten bezieht. Das ist ja eine indirekte Subvention.
Die wird es nicht mehr geben?
Davon ist auszugehen. Aber ich glaube nicht, dass von denen irgendjemand bereit wäre, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Das sind Experten, die haben viele Juristen in ihren Reihen - und ein ausgeprägtes Bewusstsein, dass Verträge zu halten sind.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!