Diskussion um Gestalt des Gendarmenmarkts: Gendarmenmarkt wird entlaubt
Bezirk und Land planen die Umgestaltung des Gendarmenmarktes. Mehr als hundert Bäume müssen dafür fallen. Dagegen regt sich Widerstand von den Grünen bis zur CDU.
Es ist einer der schönsten Plätze Europas, wenn nicht gar der schönste Platz. Das betonen Befürworter und Gegner der Umgestaltung des Gendarmenmarktes in Mitte immer wieder. Doch hier enden schon die Gemeinsamkeiten. Seit die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Planungen vorgestellt hat, bei denen unabhängig von der Variante mehr als hundert Ahornbäume weichen sollen, regt sich Protest.
"Es gibt andere Orte, die eine Umgestaltung deutlich nötiger hätten", sagt Frank Keidel vom Verein der "Freunde und Förderer Gendarmenmarkt". Seit vergangenem Donnerstag stehen Vereinsmitglieder auf dem Platz und sammeln Unterschriften - nach Angaben von Keidel 800 bis 1.000 täglich. Er fährt auch einen ganzen Schwung an Argumenten gegen die Umgestaltung auf: Der Platz sei jetzt schon ein Touristenmagnet, funktioniere also als Platz. Bei der Gestaltung in den 80er Jahren sei mit hochwertigen Materialien gearbeitet worden, Schäden gebe es nur aufgrund der mangelhaften Pflege in den vergangenen 20 Jahren. Und außerdem stehe der ganze Platz unter Denkmalschutz.
Gegen die Umgestaltung hat sich seit Bekanntwerden der Pläne vor einigen Monaten eine breite Allianz gebildet. Die Grünen sind ebenso dabei wie die CDU, die Platzfreunde genauso wie das ansässige Gewerbe. Dabei ist die Planung noch nicht abgeschlossen: Der derzeitige Entwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht vier Varianten vor. Sie unterscheiden sich in der Art der genutzten Oberflächen und der Platzierung von Bäumen. Allen gemein ist, dass Ahornbäume weichen müssen und dass die Platzoberfläche eine einheitliche Höhe bekommen soll, um barrierefrei zu werden. Darüber hinaus sollen die Gebäude einen "Respektabstand" erhalten, um "die Fassaden in ihrer großartigen Wirkung nicht zu beeinträchtigen". Keidel kann darüber nur lachen: "Es fehlt doch völlig der Respekt vor der Gestaltung in den 80er Jahren."
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) will den Platz in seiner jetzigen Form erhalten. "Eine Umgestaltung, wie sie derzeit geplant ist, ist überhaupt nicht notwendig", sagt Jochen Brückmann, Bereichsleiter für Stadtentwicklung bei der IHK. Auch wenn kleinere Modernisierungen etwa bei technischen Anlagen und Leitungen durchaus im Sinne des Gewerbes seien.
Mathias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, verteidigt die Planung: "Die Frage ist, wie man einen schönen Platz noch schöner machen kann." Abgesehen davon befinde man sich momentan noch in der Planungsphase samt Bürgerbeteiligung. Doch auch die wird von Keidel kritisiert: "Ich habe den Eindruck, dass das eher eine Pseudobürgerbeteiligung war." Es sehe so aus, als habe schon vorher festgestanden, was herauskommen soll.
Die EU zahlt
Dem widerspricht Gille: Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen und dementsprechend offen in seinem Ausgang. Offen sind auch die Kosten. Eine von verschiedenen Seiten genannte Zahl von 6 Millionen Euro hält Gille für zu hoch, ohne eine andere Zahl zu nennen. Klar ist nur: 90 Prozent der Kosten sollen aus EU-Mitteln kommen, den Rest tragen Bezirk und Land.
Das Geld ist auch einer der Kritikpunkte der Gegner. Von "Luxussanierung" spricht die CDU, von "übertriebener Historisierung" die Grünen. "Die Schönheit des Gebäudeensembles gewinnt ihren Charme gerade im Zusammenwirken mit der alltäglichen urbanen Nutzung", sagt die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig. Und der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Oliver Friederici, fordert: "Bevor ein einziger gesunder Baum am Gendarmenmarkt gefällt wird, gilt es, die übrige innerstädtische Infrastruktur zu pflegen." Keidel vom Förderverein befürchtet sogar, dass in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erste Bäume gefällt werden könnten, um Fakten zu schaffen.
Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat von Mitte, hat nach den ersten Reaktionen angekündigt, noch einmal kritisch über seine Argumente nachdenken zu wollen. Der Platz solle nach der Umgestaltung mindestens so grün sein wie vorher, teilte er am Dienstag mit. Der Verein traut Gothes Selbstkritik nicht - und will vorerst weiter Unterstützerunterschriften für einen Planungsstopp sammeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland