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Discounter backen unhygienischSchmutziges Geschäft

Erst kassieren, dann ohne Händewaschen Brötchen in die Backstationen legen: Solche Zustände fanden Kontrolleure in vielen Filialen von Billigketten vor.

Ein Bild wie aus dem Lehrbuch: Die Realität sieht oft anders aus. Bild: dpa

BERLIN taz | Lebensmittelkontrolleure haben in Backstationen von Discountern und anderen Supermärkten flächendeckend Verstöße gegen die Hygieneregeln festgestellt. "2010 gab es bei 80 Kontrollen in Baden-Württemberg 65 Verstöße", sagt der Referatsleiter Lebensmittelüberwachung im Verbraucherministerium in Stuttgart, Manfred Edelhäuser. Die Beanstandungsquote lag also bei mehr als 80 Prozent.

Edelhäuser: "Das war schon grob daneben." Da Ketten wie Lidl und Aldi die Backautomaten bundesweit nach dem gleichen Muster aufstellen, sind die Ergebnisse wahrscheinlich auf ganz Deutschland übertragbar.

Meist stehen die Öfen am Eingang der Filiale. Während der ganzen Öffnungszeiten werden in ihnen tiefgefrorene Teiglinge aufgebacken. Da die Ware "frisch" und sehr billig ist, haben sich Backstationen zu einer existenzbedrohenden Gefahr für herkömmliche Bäckereien entwickelt. Allein Lidl hat die Öfen nach eigenen Angaben inzwischen in rund 2.000 seiner Filialen in Deutschland aufgestellt. So haben die Discounter ihren Umsatz mit Backwaren drastisch steigern können.

Den niedrigen Preis erreichen die Ketten auch, indem ihre normalen, nicht in der Bäckerbranche ausgebildeten Verkäufer die Backstationen nebenbei betreuen. Zwar verpflichten die Unternehmen das Personal zumeist, die Hygienevorschriften einzuhalten.

Kassieren, Regale bestücken, Teiglinge auflegen

Aber die baden-württembergischen Behörden haben beobachtet: "Wer unter hohem Zeitdruck abwechselnd kassieren, Regale bestücken, Gemüse aussortieren und Lieferanten betreuen muss, hat keine Zeit, sich jeweils gründlich die Hände zu waschen und einen sauberen Arbeitsmantel überzuziehen, bevor er Teiglinge auflegt", schreiben die Lebensmittelkontrolleure in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht für 2010.

Auch die Ausgabeöffnungen der Geräte würden oft schlecht gereinigt. Nur bei einer Handelskette benutzten die Mitarbeiter dafür spezielle Einwegtücher. "In den übrigen Fällen hantieren die Beschäftigten an den Ausgabeboxen mit Wassereimer und Putzlappen", heißt es in dem Kontrollbericht. Bei dieser Variante ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Keime übertragen werden.

Zudem fehlten in vielen Filialen beispielsweise Handwaschbecken im Produktionsbereich, berichtet Referatsleiter Edelhäuser. "Manchmal werden die Teiglinge im Abfallkartonlager aufbewahrt, weil es sonst keinen Platz gibt."

Mittlerweile hätten viele Filialen nachgebessert, lobt Edelhäuser. Bei der neuen Lidl-Station etwa könnten Kunden nicht mehr Brötchen berühren und dann zurücklegen. Eine DIN-Vorschrift für die Technik der Backstationen sei in Arbeit. Trotzdem sieht Edelhäuser immer noch "bei einem Drittel Änderungsbedarf".

Aldi ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme zu dem Bericht bis Freitagabend unbeantwortet. Lidl erklärte, das Unternehmen kenne den Bericht nicht und könne sich deshalb nicht dazu äußern.

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8 Kommentare

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  • N
    noevil

    Warum werden in dem Bericht die Namen der negativ aufgefallenen Firmen genannt, dagegen die Namen der positiven Geschäfte so schamhaft verschwiegen?

     

    Als Käufer tunkt mich Ihr Bericht in den Schmutzeimer, ohne mir die postiven Alternativen zu nennen. Meiner Meinung nach gehört auch das zu einer ausgewogenen und neutralen Berichterstattung, die mich aufklärt, mich aber auch davor schützt, mich nur hilflos und angeekelt zu winden.

     

    Was ist das für eine Philosophie, die nur das für erwähnenswert hält, was angeprangert werden muss und die Positivliste für vernachlässigbar hält? So allmählich denken unsere Nachbarländer, man könne hierzulande ALLES nur noch mit spitzen Fingern anfassen, wenn überhaupt...

     

    WO SIND WIR HIER EIGENTLICH?

  • MN
    mein Name ist Hase

    Wir haben es zugelassen, dass die Bäckereien in Deutschland systematisch vernichtet wurden. Den Konzernen war das nur recht. Jetzt haben wir den Dreck.

     

    Hilfe, wir werden amerikanisiert!

  • S
    spock

    ...bei jedem bäcker und bei jedem biobäcker werden die brote mit den händen angefasst, mit denen eben noch kassiert wurde. pfui deibel!

  • B
    Besserwessi

    Kassieren, dann ohne Händewaschen Brötchen für den nächsten anfassen, war Standardpraxis in Deutschlands Bäckereien.

  • R
    reblek

    "Während der ganzen Öffnungszeiten werden in ihnen tiefgefrorene Teiglinge aufgebacken." - Während der "ganzen" Öffnungszeiten und nicht während der halben? Wahrscheinlich doch eher wegen der "gesamten".

    "Da die Ware 'frisch' und sehr billig ist, haben sich Backstationen zu einer existenzbedrohenden Gefahr für herkömmliche Bäckereien entwickelt." - Kaum zu glauben. Wo ich wohne, gibt es auf einer Strecke von ca. 500 Metern sechs Bäckereien, davon vier "herkömmliche", eine davon im Foyer von Rewe. Zusätzlich gibt es im Rewe-Laden eine Backstation, macht also quasi sieben Bäckereien. Offensichtlich ist das Backen in allen Läden ziemlich einträglich - wahrscheinlich bei den Billigbäckern auf Kosten der Beschäftigten.

  • W
    Wolfgang

    armes Deutschland, das wir diese Backautomaten überhaupt brauchen.

     

    Demnächst kommt noch der Fleischomat, da machen wir dann die Wurst aus den Zutaten auch per Knopfdruck.

     

    geht einfach alle zum ordentlichen Handwerk und kauft dort eure Ware, dann braucht es kein extra DIN norm dafür.

  • C
    cayce

    Totale Hysterie. Man kanns auch übertreiben mit der Hygiene. Die Welt ist nun mal schmutzig und voller Bakterien. Auch unser Essen ist voller Keime. Das ist normal und eine gewisse Grundbelastung hilft uns, gesund zu bleiben. Keimfreie ernährung gibt es nicht, und wer es versuchen wollte wird spätestens nach Berühren eines Toilettentürgriffes oder einer fremden Computertastatur tot umfallen.

  • GS
    Ge schäft

    Kantinen und Buffets z.b. in Hotels lassen auch jeden zulangen.

     

    Aber der Bericht spielt den neuen(?) Aldi-Backautomaten in die Hände. Wie Zigarettenautomaten aber für Brötchen(15 Cent), Brot und Brezeln(29 Cent). Die anderen Brot-Sorten und Teilchen liegen eh fabrik-verpackt daneben.

    Manchmal hat Automatisierung doch Vorteile.

     

    In einem TV-Bericht über Schweine-Schlacht-Betrieb mit ich glaube 100.000 Schweinen pro Woche hiess es: Man muss die Hände unter den Seifenspender halten um durch die Dreh-Schranke zu kommen. Dann wird man garantiert auch die seifigen Hände waschen und es nicht "vergessen" oder etwas wichtigeres zu tun zu haben wie früher möglicherweise .

    Wo keine Kontrolle (wie beim Staat und Steuern und GEZ-Gebühren) laufen Dinge schnell aus dem Ruder.

    Wenn Hausaufgaben oder Geschwindigkeitskontrollen nicht kontrolliert werden, macht sie auch keiner oder hält sich dran.