Direktorin des Busch-Museums über Karikatur: "Eine wunderbare Zeit für die Karikatur"
Gisela Vetter-Liebenow ist Direktorin des Wilhelm-Busch-Museums in Hannover. "Karikaturen", sagt sie, "sind angewandte Kunst".
taz: Frau Vetter-Liebenow, woran liegt es, dass Max und Moritz ihre Popularität nicht verlieren?
Gisela Vetter-Liebenow: Es ist die Fähigkeit von Wilhelm Busch, uns in die Seele zu schauen. Man findet sich in den Geschichten wieder und kann mit ihnen auf Abenteuer gehen. Sie erzählen davon, was man gerne gemacht hätte oder vielleicht auch selber erlebt hat. Es ist auch der Reiz des Verbotenen: In diesen Geschichten kann man dem Verbotenen mit Lust begegnen.
Gäbe es da nicht auch andere Kinderbücher, die das leisten?
Sicher. Aber nach wie vor bekommen ganz viele Leute Max und Moritz mit als erstes Buch in die Hand. Das setzt sich von Generation zu Generation fort. Und was einen in diesen ersten Erfahrungsschritten begegnet, ist ja ziemlich nachhaltig.
Nach ihren Streichen werden Max und Moritz zu Korn gemahlen und von Enten gefressen. Ist die Geschichte nicht eigentlich zu grausam nach heutigen pädagogischen Vorstellungen?
Der entscheidende Punkt ist: Die Geschichte ist gezeichnet. Sie ist nicht real. Das böse Ende der beiden ist auch irreal. Das tut nicht wirklich weh. Und man solidarisiert sich auch nicht mit den beiden. Aber es macht Spaß, den beiden Bösewichten zuzugucken.
Wie haben Sie Max und Moritz kennengelernt?
53, stammt aus Konstanz, studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Neuere Deutsche Literaturgeschichte und kam über ihre Magisterarbeit zum Thema Karikatur. Sie arbeitet seit 25 Jahren im Wilhelm-Busch-Museum und ist seit Juni dessen Direktorin.
Ich bin nicht der typische Fall. Ich komme aus dem Südwesten von Deutschland. Da hat Wilhelm Busch nicht die Bedeutung wie in Niedersachsen. Ich habe ihn erst als Jugendliche im Bücherschrank entdeckt.
Wilhelm Busch ist im Norden weiter verbreitet als im Süden?
In Niedersachsen sind die Orte, in denen er geboren wurde, gelebt hat und gestorben ist. Er hat hier eine andere Präsenz. Das Geburtshaus ist in Wiedensahl, das Sterbehaus in Mechtshausen. Die Schaumburger Landschaft feiert ihn als bedeutendsten Sohn ihrer Region. Im Südwesten gibt es diese Intensität in der Breite nicht.
Wird auch der Humor regional unterschiedlich rezipiert?
Nein. Man kann nur sagen: Wilhelm Busch kommt vom Land und auch die Figuren und Typen, die er darstellt, kommen vom Dorf und nicht aus der Großstadt.
In Ihrem Museum geht es nicht nur um Wilhelm Busch, sondern generell um Karikatur und Zeichenkunst. Welche Qualitätskriterien muss eine Karikatur erfüllen, damit sie es zu Ihnen ins Museum schafft?
Zunächst haben wir einen künstlerischen Anspruch an das Werk. Die Karikatur muss gut umgesetzt sein. Außerdem muss sie inhaltlich überzeugen. Das Blatt kann unschlagbar sein in seiner Komik, aber es geht bei Karikatur nicht nur ums Lachen, sondern auch um Kritik, um die Beschreibung von Zeitumständen und gesellschaftlichen Ereignissen oder Personen. Das muss einen packen.
Wie sieht die Sammlung des Museums aus?
Unsere Sammlung spannt einen Bogen von der Zeit um 1600, wo man den Beginn der Karikatur im Umfeld der Brüder Carracci sieht, bis heute. Sie enthält mehr als 35.000 Arbeiten. Es sind viele Blätter dabei, die hervorragend gezeichnet sind und einen leisen Humor haben. Oder eine kritische, drastische Bestandsaufnahme eines historischen Ereignisses leisten.
Politische Karikaturen funktionieren nur, wenn der Betrachter den zeitgeschichtlichen Kontext kennt. Wie lösen Sie dieses Problem im Museum?
Wir erklären die Hintergründe auf den Bildlegenden der Ausstellung. Außerdem gibt es den Katalog zur jeweiligen Ausstellung, es gibt Führungen und mitunter auch einen Audioguide.
Sind Karikaturen Kunst?
Selbstverständlich können Karikaturen Kunst sein. Die Karikatur ist eine angewandte Kunst. Allerdings sind gerade im 19. Jahrhundert die Originale bei den Zeitungen abgegeben worden und nach der Veröffentlichung auch schon mal im Papierkorb gelandet. In dieser Zeit zählte nur das gedruckte Bild. Aber da hat sich einiges getan. Nehmen wir einen Gerhard Haderer, der für den Stern seine Karikaturen auch mit großem Zeitaufwand malt. Diese Zeichnungen sind im Original noch mal schöner.
Gibt es noch Vorbehalte in der Kunstwelt, die Karikatur als Kunst zu akzeptieren?
Die gibt es. Das erfahre ich, seit ich mich mit der Karikatur beschäftige. Aber da hat sich schon etwas getan. In den Anfängen hat die Karikatur noch schwerer um ihren Rang gekämpft. Ihre Kritiker nahmen schlechte Werke und sagten: „Das ist doch keine Kunst.“ Das könnte man bei der bildenden Kunst genauso tun. Da gibt es genauso Werke von Amateuren, mit denen man die bildende Kunst disqualifizieren könnte.
Wie geht es den Zeichnern mit der Bezeichnung „Karikaturist“?
Die Zeichner sind da selbstbewusster geworden. André Françoise zum Beispiel hatte Schwierigkeiten damit, als Karikaturist bezeichnet zu werden, weil der Begriff oft auch einen abwertenden Charakter hat. Damit kämpfen die Zeichner. Und sie kämpfen auch damit, dass man alles unter Karikatur verstehen kann, was irgendwie mit Zerrbild zu tun hat.
Dafür sind auch die Grenzen zwischen Karikatur und bildender Kunst fließend.
Ja. Nehmen Sie Friedrich Karl Waechter: Der hat in seinem Werk viele Bilderzählungen. Die können Sie nicht als Karikatur bezeichnen und dennoch haben sie Elemente davon. Er ist ein Künstler: Seine Art, Geschichten zu erzählen, auf die Welt zu schauen, Menschen zu sehen ändert sich ja nicht. Er verändert nur sein Handwerkzeug ein bisschen.
Wie verhalten sich Karikatur und bildende Kunst im Werk von Wilhelm Busch zueinander?
Wenn Sie seine Gemälde genau ansehen, finden Sie auch etwas von dem, was den Karikaturisten auszeichnet. Nämlich das genaue Hinschauen und die Fähigkeit, das Wesentliche zu erkennen. Das zeichnet seine Karikaturen aus: den wunden Punkt zu erkennen.
Wo finden Sie anspruchsvolle aktuelle Karikaturen?
Bei den Künstlern selbst oder in Zeitungen und Magazinen. Oft sind es auch Bücher: Viele Zeichner publizieren ihre Werke in Buchform. Und viele nutzen Internetplattformen.
Klingt danach, als hätte man finanziell gesehen wenig zu lachen als Karikaturist.
Einerseits ist es kein leichter Stand. Andererseits ist erstaunlich, welche Unmengen an Büchern produziert werden. Und natürlich gibt es Abdruckrechte auch im Internet. Der Bedarf an Bildern ist nach wie vor recht groß: Das Phänomen, dass Bilder Inhalte viel schneller transportieren können als viele Worte, hat sich ja nicht verändert.
Hat die politische Karikatur nicht an Bedeutung verloren im Lauf der Zeit?
Das kann man nicht global beantworten. In England ist die Karikatur unglaublich lebendig. Steve Bell hat es ganz schön gesagt: „Je verrückter es in der Politik zugeht, je verrückter sich die Politiker über die Medien inszenieren, umso mehr hat die Karikatur Möglichkeiten, das zu demaskieren.“ Im Grunde genommen ist es für die Karikatur eine wunderbare Zeit.
Was unterscheidet die englische Karikatur von der deutschen?
Ihre Härte. Wie zum Beispiel mit Margaret Thatcher in der englischen Karikatur umgegangen wurde, war heftig. Das wäre in Deutschland im Moment nicht vorstellbar. Gerald Scarfe, der für die Sunday Times zeichnet, sagte: „Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Diese Zumutungen, die wir als Bürger von der Politik erleben, sollen wir nicht mit gleicher Münze heimzahlen dürfen?“ Karikatur ist für ihn ein Ventil. Damit tun wir uns hier in Deutschland viel schwerer.
Hatten Sie schon den Fall, dass Sie eine Karikatur lieber nicht zeigen wollten?
Es gibt kaum Tabus, allenfalls beim Thema Religion. Wir hatten einmal den Fall, dass Besucher gesagt haben: „Das ist für mich zu viel, da gehe ich raus.“ Aber das Anecken gehört auch dazu. Wenn allerdings auf eine plumpe Art versucht wird, zu provozieren, und man merkt, dass eigentlich nichts dahinter steckt, dann würde ich sagen: „Das ist nicht überzeugend.“ Aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich schon mal sagen musste: „Das zeigen wir nicht.“
Wie sind Sie auf das Thema Karikaturen gekommen?
Im Studium und durch Zufall: Mein Professor machte mich auf den Simplicissimus und Thomas Theodor Heine aufmerksam. Darüber habe ich meine Magisterarbeit gemacht. Dann habe ich mich an dieses Museum gewandt, weil ich promovieren wollte. So bin ich hier reingewachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau