: Dioxin aus PVC-Werk übersehen deponiert
■ ICI produziert weiter / Griefahn: Keine Ursache für Mißbildungen
Hannover/Wilhelmshaven Klärschlämme mit zum Teil hohen Konzentrationen des Ultragiftes Dioxin aus einem PVC-Werk in Wilhelmshaven sind jahrelang auf Hausmüll- und Sondermülldeponien entsorgt worden. Das teilten Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) und Vertreter der betroffenen britischen Chemiefirma ICI am Dienstag in Hannover mit. Die Dioxinbelastung in den Schlämmen des seit 1982 arbeitenden ICI-Werks in Wilhelmshaven wurde erst jetzt festgestellt. Die Entsorgung der Schlämme auf der örtlichen Hausmülldeponie und im nordrhein-westfälischen Ochtrup ist seit Jahresbeginn gestoppt. Griefahn schloß einen Zusammenhang zwischen der Dioxinbelastung und den vor einer Woche bekannt gewordenen Mißbildungen an Armen und Händen von neugeborenen Kindern aus.
Bisher war eine Dioxinkontrolle des Klärschlamms aus PVC-Werken keine Pflicht. Firmenvertreter räumten ein, daß zwar 1988 im Abwasser erhöhte Dioxinwerte gefunden, damals jedoch als gefahrlos bewertet wurden. Inzwischen hätten sich die Bewertungsmaßstäbe geändert. Seit 1982 sind jährlich rund 1.200 Tonnen Schlamm auf die Hausmülldeponie Wilhelmshaven gelangt. Sie weisen erhöhte Dioxinwerte von 5.000 bis 7.000 Milliardstel Gramm (Nanogramm) pro Kilogramm auf. Die Deponie soll jetzt untersucht werden. Extrem hohe Belastungen haben die Metallschlämme aus dem PVC-Werk, die bis 1991 zur Sondermülldeponie Hoheneggelsen bei Hildesheim (320 Tonnen), danach zur nordrhein-westfälischen Sondermülldeponie Ochtrup (bisher 400 Tonnen) gebracht wurden. Hier überschreiten die Werte 400.000 Nanogramm pro Kilo. Zum Vergleich: Die Höchstwerte bei Dioxin-belastetem Kieselrot auf Spiel- und Sportplätzen lagen laut Griefahn bei 200 000 Nanogramm/kg.
Die Produktion in dem Wilhelmshavener Werk der britischen Unternehmensgruppe ICI, dem größtem PVC-Hersteller in Europa, geht unterdessen unvermindert weiter. Die hochgiftigen Schlämme werden vorerst auf dem Gelände zwischengelagert. Die Firma mit 400 Mitarbeitern in Wilhelmshaven sucht jetzt nach technischen Verbesserungen in der Produktion. Die Grünen im Landtag werteten die Dioxinfunde im Klärschlamm als Beleg dafür, daß der Ausstieg aus der PVC-Produktion notwendig sei. Für eine Belastung der Umgebung des Wilhelmshavener Werks gibt es bisher keine konkreten Anhaltspunkte. Laut Ministerin Griefahn ist die Meinung unter Toxikologen einhellig, daß Dioxin als Ursache für die Fehlbildungen in der Region Wilhelmshaven ausscheidet. Das ICI-Werk sei jetzt gefordert, nach zusätzlichen Filteranlagen und Veränderungen in der PVC-Produktion zu suchen, um die Dioxinbelastung der Schlämme zu senken. Die SPD-Politikerin hat ihre Länderkollegen darauf hingewiesen, daß man bisher – offenbar fälscherlicherweise – davon ausgegangen, daß eine fehlende Dioxin-Belastung von Abwässern aus der PVC-Produktion auch auf eine Unbedenklichkeit der Klärschlämme schließen lasse. dpa
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