Dieter Baumann über LAUFEN : Auf weichem Nadelboden ins Nichts
Auch die jetzigen Leistungsträger sind Hoffnungsträger für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009
Beim zweiten Anlauf hat es endlich geklappt: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft findet 2009 in Berlin statt. Glücklich könne man beim DLV darüber sein, dass die Bewerbung nicht beim ersten Mal durchgegangen sei, unkte daraufhin die Süddeutsche Zeitung, bei den derzeit schwachen Athleten hätte die Medaillenvergabe beim Heimspiel 2005 ohne deutsche Beteiligung stattgefunden. Jetzt bleibt Zeit – und damit Hoffnung – bis 2009.
Konzentration auf die Spitzenkönner lautet die Devise. Hektisch werden neue Kader gebildet, werden alte Trainer um- oder abgesetzt, und leider wird dies alles unter dem Druck der Mittelkürzung nicht lange hinterfragt. Das Konzept scheint einfach: Bis zur WM 2009 soll die volle Konzentration auf den 19-, 20- oder 21-Jährigen liegen, bis in fünf Jahren sollen sie sich hoffentlich weiterentwickelt haben. Erhält der DLV aber nur aufgrund der Reduktion des A-Kaders neue Talente?
Dieses Konzept greift zu kurz: Wie sieht denn die Perspektive über das Jahr 2009 hinaus aus? Wir rekrutieren Schüler im Alter von acht bis zehn Jahren, haben schon sehr früh ein entsprechende Wettkampfangebot. Ist dies für eine leistungssportliche Entwicklung tatsächlich förderlich, und ist die hohe Ausstiegsrate im Alter von 20 Jahren vielleicht gerade dadurch vorprogrammiert? Gibt es neben einer frühen Spezialisierung auch noch Möglichkeiten für Quereinsteiger? Wo bleibt ein durchgängiges Talentsichtungsprogramm, das auch den Schulsport integriert? Wie könnte gerade auf diesem wichtigen Gebiet die Arbeitsteilung des Fachverbandes und der Landesverbände aussehen? Es wäre eine entscheidende Aufgabe des Fachverbandes, diese Fragen zu beantworten und entsprechende Pilotprojekte auf die Beine zu stellen.
Fragen über Fragen, die Antwort der Gegenwart lautet: Konzentration auf die „jungen Wilden“, und die hat durchaus tragische Züge. Sie hat zur Folge, dass die momentanen Leistungsträger (oder sind Deutsche Meister keine Leistungsträger?), allesamt Mittzwanziger und aufwärts, dem Verband als nicht mehr interessant gelten – ran müssen sie trotzdem noch. Zum Beispiel am kommenden Wochenende. Auf der Insel Usedom findet am Samstag die EM im Crosslaufen statt. Notgedrungen wird der DLV zu diesem leichtathletischen Großereignis eine Mannschaft ins Rennen schicken, die Gastgeberrolle verpflichtet schließlich.
Allerdings haben diese Athleten aus Sicht des Verbandes nur wenig Perspektive, denn für die kommenden Jahre wird es für die Läufer im Ausland keine Trainingslager mehr geben – sie sollten sich also auf Usedom schon mal genauer umschauen. Bekanntlich gibt es auch dort hervorragende Trainingsbedingungen: Die wunderschöne Dünenlandschaft und der dichte Wald mit seinem weichen Nadelboden laden zweifelsohne zum Laufen ein. Auch die Luft ist toll auf Usedom. Und doch bleibt die Frage, ob sich nicht zu gewissen Zeiten im Jahr ein Höhenaufenthalt, zumindest für die momentanen Spitzenkönner, doch günstiger auf die sportliche Entwicklung auswirken würde.
Auch wenn der DSB mit seiner Mittelkürzung den DLV abstrafen will, quasi stellvertretend für die vielen Missgeschicke des deutschen Sports in Athen, so sind des am Ende doch wieder die Athleten, die für die verfehlte Struktur des Verbandes hinhalten müssen. Vor allem scheint es so, dass es im Moment diejenigen trifft, die seit Jahren ihre Leistung bringen, aber aus Sicht der Sportförderer nicht zur Weltspitze gehören (sie sind „nur“ Deutschlands Beste). Es trifft diejenigen, die auf dem Sprung sind, aber leider vor dem festgelegten Stichtag zur „Eliteförderung“ zur Welt gekommen sind.
Kurzum: Es trifft ein großes Heer fleißiger Athleten, denn allen Unkenrufen zum Trotz sind unsere Athleten weder zu faul, noch trainieren sie zu wenig. Tragisch für viele der momentanen Leistungsträger ist, dass man ihnen keine Perspektive bietet, und wäre es nur, dass man an sie glaubt. Nicht nur bei der Cross EM im eigenen Land, sondern sogar bis zur WM in Berlin 2009.
Fragen zur WM? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander SCHICKSAL