■ Diesjährige Preisträger im Ansichtskartenwettbewerb: Geschmack aus der Ferne
Fast das Allerschönste im Leben sind Ansichtskarten. Solche, die aus anderer Leute Urlaub kommen und auf denen „Essen gut, Wetter gut, Unterkunft gut. Bis nächste Woche, Ines“ draufsteht. Wobei das, was draufsteht, unwichtig ist. Denn worauf es ankommt, ist natürlich das Motiv. Seit langem gibt es in meinem Freundeskreis diesbezüglich den beliebten Wettbewerb des schlechten Geschmacks, bei dem es gilt, in den Postkartenständern aller Urlaubswelt Ekligkeiten in Pappe aufzustöbern und gen Heimat zu schicken. Wenn der Empfänger dann beim Betrachten des Motivs in ein ehrerbietiges „Oh mein Gott!“ ausbricht, hat sich die Ansichtskarte qualifiziert.
Um in diesem Wettbewerb einen vorderen Platz zu ergattern, reicht es allerdings nicht, dauernd nur blöde „Paris bei Nacht“ oder „Melbourne by night“-Kärtchen zu versenden. Ha! Man muß schon weit tiefer graben in den Schatztruhen fremdländischer Kitschpappdeckel, um beispielsweise Jochens diesjährige Spanien-Karte zu überbieten, auf der eine dümmlich grinsende fotografierte Frau in ein aufgenähtes (!) rotes Rüschenkleid von nie dagewesener Häßlichkeit gehüllt ist. Wenn man das wegmacht, ist die Frau darunter nackig. So was will erst mal gefunden sein! (Letztes Jahr bekam ich aus Spanien eine Karte mit einem blutenden toten Stierkämpfer, den ein nicht weniger blutender Stier aufgespießt hatte. Die war auch nett, aber den darüber aufgedruckten Satz in spanisch konnte ich leider nicht lesen. Das gab Punktabzug.)
Aus Österreich kann man zwar durchaus immer mal wieder Postkarten mit einem fotografierten Teller voll „Käsespätzle“ schicken (Rezept ist aufgedruckt!), aber besser ist es, wenn man als Motiv ein weißes Pferd wählt, das einen unübersehbaren Ständer hat und damit vor dem Eifelturm steht. Darunter der goldgravierte Satz: „Idyllisches Salzkammergut“. Schön. In kleinen Hafenstädtchen Südfrankreichs kann der geschmacklose Urlauber übrigens oft und gerne Karten mit kleinen Mädchen unter dummen Hüten drauf finden, neben denen – alphabetisch aufgelistet – die „schönsten weiblichen Vornamen Südfrankreichs“ gedruckt stehen.
Auch schön sind tschechische Kunstpostkarten in Schwarzweiß, für deren Frontseite ein offensichtlich waidwunder Profifotograf einen leeren Stuhl in einem leeren Hinterhof voller Wasserpfützen abgelichtet hat. Aus verschiedenen Blickwinkeln. Und in einer Pfütze neben dem Stuhl liegt ein nachcolorierter Apfel und ruft dem Betrachter zu: „Mach mich weg, ich bin häßlich!“ Und wer während des Urlaubs in Italien weilt, kann Postkarten erstehen, auf denen Autobahnbrücken abgebildet sind. Einfach nur Autobahnbrücken. Sonst nichts. Zwölf Stück auf einer Postkarte.
In Holland dagegen kann man für teuer Geld Karten erwerben, die in Form eines gut gerollten Joints gehalten sind und aus deren dickem Ende ein wenig eingeklebter Tabak heraushängt. Die aus Holland zu verschicken, muß allerdings als unoriginell gewertet werden.
Man möge sich eine solche Karte einstecken, aufbewahren und im nächsten Jahr von der Türkei aus versenden. Von Holland aus sollte man statt dessen lieber diese hübsche Karte mit der geriffelten Drei-D-Oberfläche verschicken, auf der zwei nackte Männer es miteinander „tun“, und wenn man die Karte leicht kippt, hat der vordere der beiden plötzlich das Gesicht von Papst Johannes Paul II. Eine nette Idee, wie wir Fans der postalischen Geschmacklosigkeiten meinen. Aus Kenia habe ich eine Karte bekommen, die war mit „original Gazellenfell“ beklebt. Auch sehr schön. Aber die tollste Karte kam dieses Jahr aus Marburg an der Lahn (!): eine Postkarte zum Aufblasen!
Wenn man so tolle Kärtchen geschickt kriegt, lohnt es sich fast, den ganzen Urlaub zu Hause zu bleiben und vor dem Briefkasten zu liegen. Was muß man in die Welt hinaus, wenn Freunde einem doch alle Schönheit dieser Erde per Post schicken? Frank M. Ziegler
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