: „Diese typische BRD-Generation“
Die ganz normale Katastrophe zwischen Bungalow und Autohaus: Mit seinem neuen Film „Wolfsburg“ erforscht Christian Petzold weiter die Mentalität der Bundesrepublik
taz: In „Toter Mann“ hält Nina Hoss ein Geheimnis zurück, das erst am Ende entschlüsselt wird. In „Wolfsburg“ weiß man von Beginn, dass Benno Fürmann eine Schuld verschweigt. Ist das Spiel mit der Suspense Ihr Leitmotiv?
Christian Petzold: „Wolfsburg“ habe ich zuerst geschrieben. Weil das ZDF damals einen Film von Max Färberböck mit dem Thema Fahrerflucht in Arbeit hatte, habe ich „Toter Mann“ als Alternative entwickelt und zuerst gedreht. Jetzt sehe ich, wie meine beiden Filme korrespondieren, nicht nur, weil Nina Hoss die Hauptrollen spielt. Ich wollte, dass in „Wolfsburg“ Tat und Täter von Beginn an klar sind. Da findet ein Katastrophenfilm statt, der nicht das Schema karikaturhafter Normalität vorführt und dann die Katastrophe als kathartischen Schock folgen lässt. Solche „Mustermanns“ hätten mich nicht interessiert.
Wieso ein Katastrophenfilm der anderen Art?
Es geht um die Bruchlinien, mit denen Menschen danach weiterleben. Die Zeit davor spielt dennoch eine Rolle, weil ein Diskurs über die Liebe eingeführt wird. Im Auto telefonieren die Benno-Fürmann-Figur und seine Frau. Kurz darauf überfährt er ein Kind und begeht Fahrerflucht. Beide Male geht es um Vernachlässigung.
Hatten Sie beim Schreiben schon diese Sicht auf Ihr Buch?
Nein, erst beim Schnitt ist mir klar geworden, dass wir im Grunde ein Kind opfern, um die Begegnung eines neuen Paares zu erzählen. Die Mutter des verunglückten Jungen wirkt auf mich, als hätte sich ihr ganzes Leben auf das Kind konzentriert. Indem das Drehbuch das Kind opfert, kann sie ihr Leben noch einmal von vorn beginnen. Nina Hoss ist bei unseren Proben klar geworden, dass sie ab diesem Moment jünger wird im Film. Die Reife dieser Frau war auch eine Verhärtung aus dem Alleinsein heraus. Wenn sie dann mit Fürmann Auto fährt und sich auf der Rückbank umzieht, wird sie plötzlich wieder achtzehn. Solche Momente fand ich interessanter.
Wie bereiten Sie sich vor?
Ich suche Filme heraus, die korrespondieren. Bei „Wolfsburg“ waren es Filme mit Männern und Frauen in Autos. In „Driver“ von Walter Hill ist ein Mann zum Beispiel völlig aufs Fahren und Hören von Countrymusik reduziert, bis eine Frau ins Auto blickt und sein Leben durcheinander bringt. Zur Geschichte von Benno Fürmann in „Wolfsburg“ gehört, dass er als ewiger Sohn – er erzählt ja auch von seinen Eltern –, vom KfZ-Mechaniker zum Verkaufsleiter in einem Autohaus aufgestiegen ist und meint, alles gehört ihm. Er und seine Frau [Antje Westermann] sind aus dieser typischen BRD-Generation. Sie wohnen in einem tollen Bungalow, der der Frau gehört und ein kompletter Fetisch ist, so wie das Autohaus, das ihr Bruder geerbt hat.
Es stimmt doch nichts in dieser Ehe.
Antje Westermann hat wie alle, die an Theater und Probenarbeit gewöhnt sind, die richtigen Fragen an ihre Figur gestellt: Wie trage ich ein Kleid, wie durchquere ich die Wohnung als ein Kind von Aufsteigereltern. Sie geht durch den Bungalow wie durch die Geschenkesammlung nach Weihnachten. Der Mann gehört ihr auch.
Ihr Mann lebt im Auto, nicht zu Hause?
Ja, wir haben versucht, mit Fürmanns physischer Ausstrahlung zu arbeiten, indem wir fast immer reale Fahrsituationen gedreht haben. Wir sind mit ihm in Wolfsburg durch den Verkehr geflossen. Mir war wichtig, dass die Augenblicke der Beichte, Verzweiflung, Sühne und Zärtlichkeit alle im Auto stattfinden. Das Auto als Druckkammer. Er streitet da mit seiner Frau, probt da später sein Geständnis, und auch die Liebe zu Nina Hoss entsteht während der gemeinsamen Autofahrt. Das Ende muss auch im Auto passieren.
Warum „Wolfsburg“? Hätte der Film nicht auch „Oldenburg“ oder „Flachland“ heißen können?
Ich kenne Wolfsburg seit meiner Regieassistenz für Hartmut Bitomskys Film über das VW-Werk. Die Autostadt ist das Zentrum. Alles, was nicht das Werk ist, ist in meinem Film drin, behaupte ich mal. In keiner Stadt habe ich die Geschichte der BRD derart verdichtet an der Peripherie vorgefunden. Geht es VW schlecht, geht es Deutschland schlecht, der Chefdenker für neue Konzepte gegen die Arbeitslosigkeit ist der VW-Manager Hartz. Die Spuren der Nazis sind überall in Wolfsburg. Gleichzeitig ist das ein Ort ungeheurer Modernität und Produktivität, zumindest was die Durchsetzung von Rationalisierungskonzepten angeht.
Die Stadt ist doch gar nicht im Film drin. Was man sieht, ist das Leben im Auto.
In der ersten Einstellung sieht man ein weites Feld und hinten die vier Schornsteine von VW. Das legt den Raum fest. Das Werk ist immer irgendwie spürbar. Ich wollte kein Portrait der Stadt machen, sondern meine persönliche Geschichtserfahrung der BRD als Zersiedelungsgeschichte miterzählen.
INTERVIEW: CLAUDIA LENSSEN
Heute, 22 Uhr, Zoo-Palast. Morgen, 14 Uhr, Cinemax 7