Dienstmädchen in Peru: Abschied von Waschzuber und Herd
Minderjährige arbeiten als Babysitter und in der Küche. Sie haben kaum eine Perspektive. Nun beginnen peruanische Hausangestellte, für ihre Rechte zu kämpfen.
LIMA taz | Cecilia Flores deutet auf ein einfaches Haus in der Mitte der staubigen Straße von Villa San Luís. "Dort wohnt Doña Suzana", sagt sie und steuert auf das Gebäude in dem Stadtteil am Rande der peruanischen Hauptstadt zu. Villa San Luís gehört zu den jüngeren Stadtvierteln Limas.
Oben am Ende des Viertels, das von einem Bergrücken begrenzt wird, stehen noch einfache Baracken aus Holz, Bastmatten und Folie; unten wo Suzana Reyes wohnt, sind die Baumaterialien der ersten Stunde schon Ziegeln und Beton gewichen. Dann hört man einen Schlüssel ins Schloss gleiten und schließlich öffnet eine Frau von Ende Vierzig die stabile Eingangstür. Mit einem breiten Lächeln nimmt sie die junge Kollegin zur Begrüßung in den Arm und gibt den Weg ins Innere des Hauses frei.
"Suzana ist so etwas wie meine Eintrittskarte in dieses Stadtviertel, denn sie kennt alle Nachbarn, weiß wer als Hausmädchen arbeitet, welche jungen Mädchen dem Beispiel ihrer Mütter folgen könnten und wo man helfen muss", erklärt die 26-jährige Psychologin, als sie auf dem Sofa Platz genommen hat. Seit fünf Jahren arbeit sie als Freiwillige in der Casa de Panchita.
Das Zentrum im Herzen Limas ist der wichtigste Anlaufpunkt für Hausangestellte in Lima und genauso wie Suzana trägt auch sie die himmelblaue Weste der Organisation als Erkennungszeichen, wenn sie in den Vororten wie Villa San Luís oder Pamplona Alta unterwegs ist.
"Hier ist vom peruanischen Wirtschaftsboom der letzten Jahre kaum etwas angekommen. Arbeit für uns Frauen gibt es meist nur als Hausmädchen oder beim Besticken von Kinderkleidung", erklärt Suzana Reyes. Auch sie stammt aus einem kleinen Dorf aus dem Hochland. "Schon mit sieben Jahren habe ich zu Hause den Haushalt geschmissen und nie daran gedacht, das als Arbeit wahrzunehmen", erklärt die 49-Jährige mit einem Lächeln.
Vorgezeichneter Weg für Mädchen vom Land
Als dann wenige Jahre später die Mutter starb, war sie als Älteste fortan für den Haushalt zuständig. "Ein vorgezeichneter Weg für die Mädchen vom Land. Nahezu automatisch sind sie für das Hüten der Jüngeren verantwortlich, verlassen die Schule oft frühzeitig und nehmen mit elf, zwölf oder dreizehn Jahren dann ihre erste Arbeit als Babysitterin an", erklärt Suzana.
Bei ihr war es etwas anders, denn als die Familie nach Lima umzog, begann sie als Kellnerin in einer der unzähligen Garküchen, um etwas dazuzuverdienen. Da hat sie gelernt sich durchzusetzen, was ihr später als Dienstmädchen in den Haushalten der Mittelschicht zugute kam. Auch heute arbeitet sie noch im Haushalt einer Mittelklassefamilie in Surco - nur ein paar Blocks von Villa San Luís entfernt.
Dreimal die Woche putzt, wäscht und kocht sie dort, um dann anschließend für die Casa de Panchita in Villa San Luís und dem angrenzenden Stadtviertel von Pamplona Alta unterwegs zu sein. Dann spricht sie mit den Müttern, mahnt, ihren Kindern eine Chance zu geben, sie zur Schule zu schicken, denn sonst bleibt nur der Kreislauf von Herd und Waschzuber.
"Meine eigene Tochter ist ein gutes Beispiel, denn sie war im letzten Jahr in Genf, um bei der Internationalen Arbeitsorganisation auf die Probleme von uns Dienstmädchen in Peru aufmerksam zu machen", erklärt Suzana Reyes. Sie ist sichtlich stolz, dass ihre Tochter Evelyn es geschafft hat. Die 19-Jährige hat nicht wie viele ihrer Altersgenossen aus Villa San Luís nur die Grundschule absolviert, sondern auch die weiterführende Schule und das Abitur geschafft.
Verantwortlich dafür ist Suzana Reyes. Seit knapp zehn Jahren sorgt sie dafür, dass nicht nur ihre eigenen, sondern ein ganzer Schwarm von Kindern aus der Nachbarschaft in die Casa de Panchita ins Zentrum Limas gelangen, um ihnen Perspektiven abseits des Lebensalltags von Villa San Luís aufzuzeigen.
Jeden Sonntagmorgen startet der Bus mit dem Ziel Avenida República de Chile. Dort befindet sich die Casa de Panchita - eine Oase von Frauen für Frauen auf rund fünfhundert Quadratmetern. In dem dreistöckigen Gebäude ist jeder Winkel genutzt, um Frauen und Mädchen, die in unzähligen Haushalten Limas oft rund um die Uhr schuften und manchmal nur den Sonntag freihaben, etwas zu bieten. Englisch kann frau hier genauso lernen wie das Kochen, Computerkurse absolvieren, sich mit Kolleginnen austauschen, sich rechtlich beraten, psychologisch helfen lassen oder einfach nur ausspannen - bei einem Buch in der Bibliothek oder auf dem Sofa in der Eingangshalle.
Vom minderjährigen Dienstmädchen zur Informatikerin
Dort ist am Wochenende immer etwas los und Delia Juana Quispe sitzt dann meist am Eingang, um das Hin und Her ein wenig zu ordnen. Die 26-Jährige hat den Sprung vom minderjährigen Dienstmädchen zur Informatikerin geschafft. Nun will sie Webdesignerin werden und liest nebenbei Fachzeitschriften. Ein Beispiel, auf das die beiden Gründerinnen der Casa, Blanca Figueroa und Sofia Maurico, sehr stolz sind. "Es gibt eine ganze Reihe junger Mädchen und Frauen, die es geschafft haben, den Kreislauf von Armut und Hausarbeit zu entfliehen."
Molestar Quispe, die kleine Schwester von Delia Juana, gehört auch dazu. Sie ist Köchin und will Küchenchefin in einem der Feinschmecker-Restaurants von Lima werden. Jeden Sonntag bringt sie engagierten Dienstmädchen bei, wie man das Nationalgericht Ceviche, ein Fischgericht, oder die traditionellen Eintöpfe aus der Andenregion pfiffig zubereitet. Das wirkt sich genauso wie der Englisch- oder Computerkurs auf den Lohn aus, wie die ersten Erfahrungen mit der eigenen Jobvermittlung in der Casa de Panchita zeigen.
Alltägliche Kinderarbeit
"Wir vermitteln qualifiziertes Personal an Haushalte, die Mindestanforderungen erfüllen", erklärt Sofia Mauricio. Faire Bezahlung, geregelte Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch und Krankenversicherung sind das und dafür mussten die dienstbaren Geister in Uniform lange kämpfen. "In Peru sind fast ein Drittel der rund 500.000 Hausmädchen minderjährig und viele kommen vom Land und sind den Arbeitgebern faktisch ausgeliefert", erzählt Sofia Mauricio. Sie berichtet aus eigener Erfahrung, denn mit gerade sieben Jahren musste sie in einer fremden Familie anfangen zu arbeiten.
Typische Biografien in Peru, die, wenn es nach den Frauen der Casa de Panchita geht, bald der Vergangenheit angehören. Die agieren nicht nur in den Armenvierteln rund um Lima, wo sie Hausangestellte beiderlei Geschlechts über ihre Rechte informieren sowie Angebote für deren Kinder konzipieren, sondern auch international.
Die Entsendung von ehemaligen Kinderarbeitern wie Evelyn Reyes und deren Freundin Fiama Chiroque im Sommer 2010 zur Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nach Genf, wo sie über die Verhältnisse in Peru berichteten, hat die ILO-Verantwortlichen für das Schicksal von Millionen von Hausangestellten in aller Welt sensibilisiert. Die sind nicht nur in Lateinamerika unzureichend organisiert.
"Weder in Peru noch in Mexiko gibt es eine Gewerkschaft und der Widerstand gegen die hemmungslose Ausbeutung steckt oft noch in den Kinderschuhen", berichtet Sofia Mauricio. Ihr Vorbild ist die Gewerkschaft der Hausangestellten im Nachbarland Bolivien. Die hat auf nationaler Ebene ein Gesetz durchgedrückt, welches die Rechte der Hausangestellten festlegt und nimmt auch auf internationaler Ebene eine Vorreiterfunktion ein.
Das möchte Suzana Reyes auch in Peru erreichen. "Bisher sind wir meist auf den guten Willen des Arbeitgebers angewiesen. Klare Vorgaben wären in Peru ein echter Fortschritt", so die umtriebige Frau. Zweimal pro Woche ist sie mit Cecilia Flores unterwegs, um den Kontakt zu den Kindern von Hausmädchen und deren Familien zu halten, Kurse zu vereinbaren oder auch bei Problemen in der Schule zu helfen. Das zeigt Wirkung, denn in vielen Familien wird nun darauf geachtet, dass die Schule nicht zu kurz kommt. Ein Erfolg, der ohne Frauen wie Suzana Reyes kaum möglich wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe