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Dienst am StrandDer einsame Wachgänger

Klaus Klar ist schon fast sein ganzes Leben Rettungsschwimmer. In diesem Sommer wacht er über einen Strandabschnitt auf Fehmarn - ganz allein. Dafür hat der Polizist aus Niedersachsen seinen Sommerurlaub genommen.

Das Meer im Blick: Der Polizist Klaus Klar hat den Strand immer im Auge. Trotzdem ist dieser Job für ihn Erholung. Bild: Uta Gensichen

Jeder Arbeitstag von Klaus Klar beginnt mit dem Hissen der Flagge. Vormittags ab halb zehn schraubt der braungebrannte Mann, nur in Badehose und T-Shirt bekleidet, zwei Metallstangen zusammen und steckt sie in eine Schlaufe an seinem Wohnmobil. Möwen umkreisen ihn dabei neugierig und kreischen in den Ostseewind. Am Ende des Mastes hängen zwei Fahnen, die vom Wetter schon ganz ausgeblichen und zerfleddert sind. Die obere zeigt das Wappen der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), die untere ist rot und gelb. Sie zeigt den Badegästen und Kapitänen auf dem Wasser an, dass dies ein bewachter Strandabschnitt ist.

Für diesen Abschnitt ist Klar verantwortlich. Der 55-Jährige ist schon sehr lange Rettungsschwimmer. Mit 15 Jahren hat er sich bei der DLRG eingeschrieben. Drei Wochen Urlaub hat er sich in diesem Jahr genommen, um im Sommer ganz alleine den Strand des Campingplatzes Wulfener Hals auf Fehmarn zu bewachen. "Meine Devise lautet: Ich mach hier Urlaub, ich will Spaß und ich mache den Rettungswachdienst", sagt Klar.

Hier auf der Insel ist er weit weg von seiner Arbeit als Streifenpolizist in Niedersachsen. Weit weg von Familienstreitigkeiten, zu denen er gerufen wird. Weit weg von eingeklemmten Unfallopfern, die er vor gaffenden Zuschauern zu schützen versucht. Wie viele Leichen er in seinem richtigen Leben als Polizist schon gesehen hat, weiß Klar nicht mehr.

Die DLRG

Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ist die größte Wasserrettungsorganisation der Welt. 2009 hat sie rund 57.000 Rettungsschwimmer ausgebildet.

An Nord- und Ostseeküste werden im Sommer 2010 rund 3.600 ehrenamtliche RettungsschwimmerInnen im Einsatz sein.

In Schleswig-Holstein arbeiten weitere 1.900, in Mecklenburg-Vorpommern 1.300 und an der Nordsee in Niedersachsen knapp 400 Ehrenamtliche.

8.100 Einsätze leisteten die HelferInnen im vergangenen Jahr, außerdem halfen sie vorbeugend in Not geratenen Wassersportlern.

723 Menschen wurde das Leben gerettet, davon 40 Mal unter Einsatz des eigenen Lebens.

Dafür weiß er ungefähr, wie viele Menschen dem Rettungsschwimmer Klaus Klar ihr Leben zu verdanken haben. Es sind vier. Darunter ein Kind, das zu lange unter Wasser war und wiederbelebt werden musste. Ein anderer war nach einem Segelunfall stark unterkühlt und wäre ohne die Rettungsschwimmer wahrscheinlich erfroren. Und was bekommt er zurück? "Auf ein Dankeschön lege ich keinen Wert", sagt er. Ihn interessiere nur, ob jemand überlebt habe. "Und das reicht."

An diesem Nachmittag im Juli kann Klar natürlich noch nicht ahnen, dass nur wenige Tage später ein zehnjähriger Junge am Wulfener Hals ums Leben kommen wird. Bei einem Tauchgang in der Ostsee war dieser nicht wieder aufgetaucht. Eine weitere Urlauberin schwebte tagelang in Lebensgefahr. Klar hätte an diesem Tag eigentlich wie gewohnt Wachgang gehabt. Aus dienstlichen Gründen aber reiste er einen Tag vor Ende seines Sommerurlaubs ab, der Strandabschnitt war deshalb unbewacht. Verhindern können hätte er den Unfall dennoch nicht. Die Tauchergruppe war zu weit weg und zu tief unten im Wasser, um von der DLRG beobachtet werden zu können.

Gefahr und Ödnis, so scheint es, sind ständige Begleiter von Rettungsschwimmern. In den ersten zwei Wochen auf Fehmarn ist bei Klar nicht so richtig viel passiert. Ein paar Schnittwunden von spielenden Kindern, ein Hitzschlag, weiter nichts. "Die Umgebung ist prima, hier hab ich meine Ruhe", sagt Klar, blinzelt in die Sonne und lehnt sich in seinen Gartenstuhl zurück. Der steht auf dem Rollrasen des Deichs. Eine Reihe Findlinge grenzen das vertrocknete Grün vom schmalen Strand ab.

Es ist kurz nach zehn und die meiste Arbeit des Tages hat Klar nun hinter sich. Die DLRG-Flagge hissen, das Motorboot an die Boje binden, Temperatur von Luft und Wasser messen, Gartenstühle raus und hinsetzen. Klar steckt sich eine Zigarette an. Ab und zu müsse das mal sein, sagt er und grinst. Der Duft des Rauches vermischt sich mit dem Geruch von Algen und Salzwasser. So schmeckt Urlaub.

Spiegelglatt ist die Ostsee an diesem Morgen, die Sonne brennt. Noch ist der Strand fast leer. Eine Frau mit schwarzem Badeanzug und kurzen, weißblonden Haaren joggt gemächlich am Ufer entlang. Im Wasser spielen drei Kinder mit einer Luftmatratze. Obwohl sie fast 100 Meter weit entfernt planschen, trägt ein leichter Wind ihre Stimmen bis hinüber ans Ufer. Das Lachen der Kinder und das der Möwen sind das einzige, was um diese Uhrzeit die morgendliche Stille durchbricht. Einsam ist Klaus Klar aber keineswegs. Er ist kein Mensch, der lange ruhig bleibt. Und er kann Geschichten erzählen.

Geschichten aus der Zeit, als er auf Holzbrettern gesurft hat oder als Tauchen noch ohne technischen Schnickschnack erlaubt war. Seinen ersten Dienst habe er 1972 gemacht. Als Wachgänger arbeitete Klar damals auf einem Turm am Timmendorfer Strand. "Der Wachgänger sitzt auf dem Turm, guckt, und sagt Bescheid, wenn was passiert", umreißt er kurz die Aufgaben. Später war er selbst Wachleiter an verschiedenen Stationen. Dafür bekomme man sechs Euro am Tag, Wachgänger nur fünf Euro. Hinzu kommen noch Verpflegung, Unterbringung und Fahrtkosten.

Noch nie habe er an einem Binnengewässer gewacht. Wachdienst an einem See, das ist nicht seine Sache, sagt er und kneift er skeptisch die Augen zusammen und runzelt die braungebrannte Stirn. Sein Herz schlägt für die Ostsee. "Hier ist das Wetter besser als an der Nordsee", sagt er. Außerdem sei es nicht so windig.

Sein Blick geht wieder zurück auf die See. Am Horizont scheint eine Handvoll Segelboote festgenagelt zu sein. Die Sonne steht nun fast am Zenit. Es ist heiß. Und dann kommt doch noch Leben an den Strand. Eine junge Familie mit zwei Kindern rollt in Sichtweite ihre Decken aus. Der Mann in Badehose piekst einen Sonnenschirm in den feinen Sand. "Moin!", ruft Klar auf einmal. "Ganz schön spät dran heut!" Auf der Eisentreppe zwischen Deich und Strand steht ein älterer, braun gebrannter Mann mit grauem Haar und kurzen Hosen. Er lacht und zeigt auf die zwei blau-weiß karierten Klapphocker in seiner Hand. "Meine Frau kommt auch gleich", sagt er zu dem Rettungsschwimmer. Die beiden vertiefen sich in ein Gespräch über den Bäcker auf dem Campingplatz. Der sei immer viel zu voll, klagen sie. Und das bei diesem Wetter.

Der Mann wird nicht der letzte an diesem Tag bleiben, mit dem Klar klönt. "Ich sag immer: Bei mir wird man nur mit einem Lächeln vorbeigelassen." Und es funktioniert. Klar ist hier auf seinen 600 Metern Strand nicht nur Lebensretter, sondern auch Animateur, wenn es sein muss. Weinende Kinder bringt er zum Lachen, die Bedienung im Campingplatz-Restaurant zum Erröten. Es gibt heute Senfeier. Klar bekommt hier etwas Rabatt und er darf die Zeit seines Dienstes in einem Wohnwagen zwischen all den anderen Campern wohnen. Der sei aber größer als sein Gefährt am Badestrand, sagt Klar und lacht. Denn anders als an anderen Wachstationen, arbeitet er nicht auf einem Turm.

In dem kleinen Wohnwagen muss er all die Dinge unterkriegen, die er im Notfall bräuchte. Den Rettungsrucksack mit der Sauerstoffflasche, Schwimmwesten, das Fernglas und das Rettungsbrett. "Baywatch-Boje", nennt er es, weil die meisten Menschen das Brett wahrscheinlich zum ersten Mal unter der Achsel von TV-Rettungsschwimmer Mitch, alias David Hasselhoff, gesehen haben. Mittlerweile leisten die Bojen aber auch deutschen Helfern wertvolle Dienste. "Sie sind gut, wenn man jemanden rettet und in einen Strudel gerät, weil man dadurch selbst Auftrieb hat", sagt Klar.

Hier in Wulfen auf Fehmarn musste er die Baywatch-Boje allerdings noch nicht aus dem kleinen Camper holen. Der einzige Strudel, mit dem er hier kämpft, ist die Zeit. Und die geht an richtig heißen Tagen noch langsamer vorbei. Doch heute könnte das Wetter den Dienst von Klar schon früher beenden. Es ist mittlerweile später Nachmittag, die errötete Kellnerin aus dem Restaurant ist womöglich schon auf dem Weg nach Hause, da zieht sich der Himmel zu. "Der Wind dreht", sagt Klar auf einmal mit ernster Stimme. Was das bedeute? "Das weiß ich auch nicht, dafür bin ich noch nicht lange genug auf Fehmarn."

Dann kommen die ersten Schwärme von kleinen, schwarzen Gewitterfliegen. Und mit ihnen gehen die Strandbesucher. Zuerst das ältere Ehepaar. "Das reicht auch für heute", sagt die Ehefrau etwas matt, als sie an Klar vorbei geht. Sie hat einen rheinischen Akzent, kurzes rot gefärbtes Haar, die Haut dunkelbraun. Dann zieht die Familie mit den Kindern ab. Minuten später die Gruppe von Jugendlichen, die bis eben noch Volleyball gespielt hat. Klar bleibt sitzen in seinem Gartenstuhl, raucht noch eine Zigarette und guckt auf die See. "Man kann es hier gut aushalten", sagt er. In einer Woche ist er wieder Polizist. Weit weg von der Insel.

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