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Die zerbrechliche neue Freiheit Äthiopiens

■ Der Vielvölkerstaat Äthiopien soll durch die Wahlen zu Bezirks- und Regionalparlamenten dezentralisiert werden

Addis Abeba (epd/ips) — Die Wahlen vom 21. Juni sind für Äthiopien von entscheidender Bedeutung. Rund 20 Millionen Wahlberechtigte werden Bezirks- und Regionalparlamente wählen. Die Regionalverwaltungen sollen wesentliche Teile der bisher stark zentralisierten Regierungsgewalt übernehmen.

Ende vergangenen Jahres hatte das äthiopische Übergangsparlament, das nach dem Sturz des Diktators Mengistu Haile Mariam am 28. Mai 1991 gebildet wurde, entsprechend den Siedlungsgebieten der Völker Äthiopiens neue regionale Grenzen festgesetzt. Jetzt geht es darum, in diesen Regionen demokratisch legitimierte neue Verwaltungen aufzubauen. Angesichts der über 70 Völker in Äthiopien und ihrer Konflikte untereinander ist das Vorhaben ein fast unmögliches Unterfangen. Zudem finden die Wahlen in einem Land statt, das noch immer unter den Folgen eines dreißigjährigen Bürgerkrieges leidet. Mindestens 750.000 zivile Todesopfer soll er gefordert haben, die tatsächliche Anzahl dürfte nach Angaben der Menschenrechtsorganisation „Africa Watch“ jedoch noch weit darüber liegen. So forderte „allein“ die Zwangsumsiedlung in der Provinz Tigre 50.000 Todesopfer, mindestens 600.000 Menschen sollen durch die Hungersnöte, die nicht zum geringen Teil von den Regierenden selbst provoziert wurden, ums Leben gekommen sein. Und noch immer kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Die neuen Regionalverwaltungen sollen die Vorherrschaft der Amharen aus dem Norden beenden, die jahrhundertelang die herrschende Schicht bildeten und sowohl in der Kaiserzeit wie auch während der sozialistischen Mengistu-Herrschaft die Zentralregierung in Addis Abeba stellten.

Die militärische Macht in Addis Abeba besitzt derzeit die Tigre- Volksbefreiungsfront (TPLF) aus dem Norden Äthiopiens, die sich mit verbündeten Organisationen zur „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) zusammengeschlossen hat.

Zwar hat sie eine breite Koalitionsregierung mit der Mehrzahl der politisch wichtigen Organisationen gebildet, darunter vor allem auch die Oromo-Befreiungsfront (OLF), Vertreterin des größten Volkes Äthiopiens. Aber alle wichtigen Positionen in den provisorischen Regionalverwaltungen haben die Tigre zusammen mit einigen von ihnen geförderten nationalen Organisationen besetzt.

In der äthiopischen Übergangsverfassung wird zwar das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit verankert. Aber Kritiker des Regierungschefs Meles Zenawi glauben, daß es die EPRDF damit nicht ernst meine und die Nationalitätenfrage nur aufwerfe, um als kleine Volksminderheit aus dem Norden die Mehrheit der südlichen Völker weiter beherrschen zu können.

Ob die Kritiker Recht haben oder nicht, werden die Wahlen zeigen. Die Wahlvorbereitungen lassen eher Schlimmes befürchten. Nach Berichten der Oromo-Befreiungsfront wurden zahlreiche ihrer Büros geschlossen und Hunderte ihrer Funktionäre und Sympathisanten verhaftet.

Berichte unabhängiger Beobachter bestätigen diese Darstellung.

Auf Drängen der USA wurde im April die Eritreische Volksbefreiungsfront, die bis zu Mengistus Sturz den 30jährigen Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopiens Zentralregierung geführt hatte, als Vermittler zwischen der EPRDF und den Oromo herbeigerufen. Immerhin wurde erreicht, daß sich die bewaffneten Verbände in Kasernen zurückzogen und es seitdem kaum noch zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen ist. Aber die meisten inhaftierten OLF-Mitglieder sind angeblich immer noch nicht in Freiheit. Faire Wahlen sind unter diesen Umständen schwer vorstellbar.

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