Die zeozwei-Kontroverse: Kein Öko ohne AfD

Welzer hat Recht: Ökos sind unpolitisch. Und es gibt keinen sozial-ökologischen Umbau, ohne Rechtspopulisten und Armut mitzudenken, meint Fred Luks.

AfD, Trump und Co. sind politisch schwere Kost. Trotzdem sollte sich die Umweltbewegung intensiver mit Populismus auseinandersetzen Bild: Reuters

Sind Ökos unpolitisch? Nach Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal-Instituts, Felix Ekardt, sächsischer BUND-Vorsitzender und Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), schließt der Wiener Nachhaltigkeitsforscher Fred Luks die zeozwei-Kontroverse ab.

Die zeozwei-Kontroverse, Folge 5: Fred Luks' Schlusswort

Harald Welzer hat es uns mal wieder gezeigt: Ökos seien „unpolitisch“, sagt er. Wer „unpolitisch“ genannt wird, gilt in bestimmten Kreisen – universitäre Biotope, Nachhaltigkeitsszene, Umweltbewegung – bekanntlich als rechts, unreflektiert, naiv oder einfach nur blöd. Auf diese Diagnose kann man unterschiedlich reagieren. So könnte man sehr grundsätzlich fragen, ob es so etwas wie echte Nachhaltigkeitspolitik überhaupt gibt und was das für die „Ökos“ heißt. Folgt man Autoren wie Ingolfur Blühdorn (Simulative Demokratie), versucht die derzeitige Politik lediglich, Nachhaltigkeit zu simulieren, um ein grundlegend nicht-nachhaltiges Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zu erhalten.

Ich will hier weniger fundamental ansetzen und einen Blick auf den Nachhaltigkeitsdiskurs werfen und auf blinde Flecken, die den Vorwurf des Unpolitischen leider bestätigen. In der Nachhaltigkeitsszene gibt es, da hat Kollege Welzer völlig Recht, einen „inneren Selbstbestätigungsdiskurs“, der oft auf gegenseitiges Schulterklopfen hinausläuft. Das kann thematische Engführungen zur Folge haben: Wie auch die zeozwei-Kontroverse zeigt, spricht man zwar viel über den umfassenden Umbau der Gesellschaft – aber weniger darüber, was in dieser Gesellschaft gerade los ist. Dass aber ein sozial-ökologischer Umbau nicht gelingen kann, wenn man aktuelle politische Themen wie Verteilung und Populismus (AfD! Front National! Trump!) außen vor lässt, scheint mir auf der Hand zu liegen.

Ökos stellen entscheidende Fragen nicht

Das Übersehen unangenehmer sozialer Tatsachen ist nicht nur für „die Ökos“ ein Problem, sondern für sich kritisch positionierende Diskurse überhaupt. Jüngstes Beispiel: Carolin Emcke, aktuelle Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, hat ein interessantes Buch geschrieben. „Gegen den Hass“ ist ein gewiss als Ermutigung gemeintes Plädoyer, das fundamentalistische Sehnsüchte nach Homogenität und Reinheit klug auseinandernimmt. Doch leider wird das Buch wahrscheinlich weder für den Frieden noch gegen den Hass viel ausrichten – es handelt sich nämlich weitgehend um leicht zustimmungsfähige Selbstbestätigungsliteratur.

Denn: Es bleibt unklar, wie Adam Soboczynski in der Zeit feststellt, auf welche Weise Emckes dekonstruktivistische Übungen politisch und gesellschaftlich wirksam werden können. Die (selbstverständlich immer zu interpretierenden) harten sozialen Fakten, mit denen der sich ausbreitende Hass ja auch zu tun hat, bleiben im Hintergrund. Wenn man auf gesellschaftlichen Fortschritt aus ist, muss man aber handfeste soziale und ökonomische Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. Didier Eribon hat das in seinem gefeierten Buch „Rückkehr nach Reims“ sehr anschaulich gezeigt: Die „Gewalt der sozialen Welt“ (Eribon) prägt gesellschaftliche Entwicklungen und individuelle Lebensläufe. Dass das regelmäßig übersehen wird, ist ein Problem – auch eines der Nachhaltigkeitsdebatte.

Auf dem Weg zur gesellschaftlichen und ökologischen Transformation muss auch die Verteilungsfrage gestellt werden Bild: dpa

Demokratie und Nachhaltigkeit werden eben nicht nur durch Wachstum und Digitalisierung bedroht, sondern auch durch Verteilungsprobleme und Populismus. Das nicht sehen zu wollen, ist in der Tat unpolitisch. Welzer beobachtet richtig, dass die entscheidende Frage von „Ökos“ oft nicht gestellt wird: Wie alles zusammenhängt. Dass ökologische und soziale Fragen auf das Engste zusammenhängen, dürfte aber klar sein. Das heißt auch, dass man das Soziale und das Politische mitdenken muss, wenn man an Nachhaltigkeit interessiert ist.

Wer „die Moderne modernisieren“ (Welzer) will, wer eine sozial-ökologische Kultur voranbringen möchte, wer sich für eine nachhaltige Wirtschaft interessiert, die nicht auf dauerndes Wachstum angewiesen ist – der oder die kann nicht unberücksichtigt lassen, dass die Verteilung von Einkommen, Vermögen, Arbeit, Lebenschancen und Umweltverbrauch eine zentrale Frage unserer Zeit ist. Von den großen weltweiten Ungleichheiten ganz abgesehen: Auch innerhalb reicher Gegenwartsgesellschaften ist Verteilung ein Schlüsselfaktor für eine gelingende Transformation. Und zwar einer, der eng mit der populistischen Bedrohung zusammenhängt, die im krassen Gegensatz zu allen Hoffnungen auf Nachhaltigkeit steht und die Armuts-, Migrations- und Globalisierungsthemen instrumentalisiert.

Die Communitiy muss das „Wir“ hinterfragen

Uwe Schneidewind liegt richtig mit seinem Hinweis, dass systemische Fragen im Nachhaltigkeitsdiskurs durchaus thematisiert werden. Und Felix Ekardt macht einen guten Punkt, wenn er auf das Zusammenspiel von Politischem und Privatem hinweist. Aber beide lassen die skizzierten Fragen weitgehend außen vor. Eine Transformation muss aber hier und heute anfangen, einen anderen Ansatzpunkt haben „wir“ nicht. Und das Hier und Heute ist eben nicht von Interessenharmonie, Reflexivität und Ökologieorientierung geprägt, sondern von Verteilungsproblemen, Populismus und Wachstumsdenken. Eine politisch wirksame Nachhaltigkeitscommunity müsste das zur Kenntnis nehmen.

Daraus folgt unter anderem, dass das in dieser Community so oft gehörte „Wir“ hinterfragt gehört. Denn „wir“ sind am Verbrauch von Ressourcen und am Ausstoß von Treibhausgasen durchaus unterschiedlich beteiligt: Reiche Menschen haben meist einen höheren Anteil am Umweltverbrauch als arme. Und arme Menschen sind von Umweltbelastungen in der Regel stärker betroffen als reiche.

Und es folgt, dass auch die Nachhaltigkeitscommunity angesichts des grassierenden Populismus wachsam sein muss – und aufpassen sollte, selbst nicht populistisch zu agieren. Sprüche wie „Unser Postwachstum ist nicht eure Krise“ sind zwar polemik-, aber kaum politiktauglich. Die Wachstumsfrage ist aufs Engste mit der Verteilungsfrage verknüpft. Es liegt auf der Hand, dass dieses ohnehin heikle Thema in einer Wirtschaft ohne Wachstum massiv an Brisanz gewinnen wird. Sich nicht zu fragen, was das für die populistische Bedrohung bedeuten würde, wäre in der Tat unpolitisch.

Wer eine sozial-ökologische Transformation fördern und eine reduktive Moderne in die Welt bringen will, muss deshalb auch Verteilungsfragen und populistische Strömungen thematisieren. Alles andere wäre am Ende selbst populistisch.

FRED LUKS leitet das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er bloggt unter www.fredluks.com und arbeitet gerade am Buch „Brot und Spiele. Überleben und gut leben im 21. Jahrhundert“.

Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.

Am 06.10.2016: Welzers Anklage

Am 10.10.2016: Schneidewinds Replik

Am 13.10.2016: Felix Ekardt antwortet

Am 24.10.2016: Nieberts Erwiderung