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Die wa(h)re meinungsfreiheit

■ Reporter ohne Grenzen arbeiten für uneingeschränkte Pressefreiheit.

In Algerien wird ein Redaktionsgebäude durch einen Sprengstoffanschlag zerstört; in Togo werden Journalisten durch Verfolgung, Haft und Mord gefügig gemacht. Marodierende Kriegsbanden setzen in Bosnien Kopfgelder auf Journalisten aus. Der Golfkrieg ist inzwischen das Beispiel für „Generäle als Chefredakteure“.

Bei uns werden Redaktionsräume vom Verfassungsschutz durchsucht; bei Demonstrationen Filmaufnahmen beschlagnahmt und mißliebige JournalistInnen schon mal von „Ordnungshütern“ zusammengeschlagen. Finanzkräftige Anzeigenkunden suchen sich einen neuen Werbeträger, wenn ihnen der Inhalt einer Medienpublikation nicht gefällt, und erwirken damit eine redaktionsinterne Zensur für zukünftige Themen. Ein Boden, auf dem sich das Infotainment nährt.

JournalistInnen, die an ihrem Berufs-Ethos unbeirrt festhalten, verlieren schnell den Job, wenn ihre VerlegerInnen auf dieser Ebene nicht mitziehen und nur das ökonomische Überleben eines Medienbetriebes im Auge haben. Die organisierte Kriminalität gewinnt ihrerseits weltweit Einfluß auf redaktionelle Entscheidungen. Die Reihe der Mißstände ließe sich beliebig fortsetzen; die Realität hat die Phantasie längst überholt.

Die Rolle der JournalistInnen, im Grundsatz als BeobachterInnen und ChronistInnen erklärt, wird immer häufiger zu einer (lebens)gefährlichen Profession. Die Meinungsfreiheit als elementares Menschenrecht ist in der Verwirklichung bedrohlich angeschlagen.

Machthaber totalitärer Staaten sorgen dafür, daß Meinungsfreiheit in ihrem Wirkungsbereich keine Bedeutung für die interne Landesverfassung erlangt. Demokratien mit rechtsstaatlicher Grundlage bemühen sich um kompliziertere Unterdrückungen, die nicht so leicht durchschaubar sind wie die Zensur mit der Gewehrkugel. Dennoch ist dies vergleichsweise eine gemütliche Auseinandersetzung und hat zumindest Chancen, gerichtliche Klärung zu finden. In Krisenregionen und vielen Trikont-Staaten wird lieber auf eine Notstands-Gesetzgebung zurückgegriffen und das Selbstverständnis einer freien Kommunikation be- und verhindert.

Bereits 1985 haben französische JournalistInnen die Dringlichkeit erkannt, für den Grundsatz der Meinungsfreiheit – und daraus abgeleitet den der Pressefreiheit – einzutreten und sich zu organisieren. Reporters sans frontières (Reporter ohne Grenzen) wurde gegründet. Weltweit tritt diese Vereinigung für die Installation und den Erhalt freier Medien ein. In der Pariser Zentrale werden seither Informationen gesammelt und veröffentlicht, die sich mit der Unterdrückung journalistischer Arbeit beschäftigen. Untersuchungs-Missionen werden in verdächtige Länder entsandt.

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Reporter ohne Grenzen stärken kritischen JournalistInnen den Rücken

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Ein dichtes Netz von RechercheurInnen und InformantInnen ergänzen das Bild von Verletzungen der Meinungsfreiheit. So begreift sich Reporter ohne Grenzen (ROG) auch als Menschenrechts-Organisation und nicht als Selbsthilfe-Verbund der Presse. Die Zusammenarbeit mit vielen anderen Organisationen wie amnesty international, article 19 (GB), Index on Censorship etc. etc. ist obligatorisch.

Dieser Einsatz wird vom Europarat sowie der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen unterstützt; RSF/ROG hat dort beratenden Status. Von der UNO anerkannt, organisiert Reporter ohne Grenzen alljährlich am 3. Mai den internationalen Tag der Pressefreiheit, gibt wie amnesty international einen Jahresbericht zur Lage der Medien in über 150 Ländern heraus und den Bildband „100 Fotos für die Pressefreiheit“.

Um JournalistInnen den Rücken zu stärken, die sich in ihrem Beruf für die Umsetzung der Meinungsfreiheit öffentlich und außerordentlich verdient gemacht haben, vergibt eine internationale Jury von ROG jedes Jahr einen Preis. Im Dezember 1995 ging diese mit 15.000 Mark dotierte Auszeichnung an die nigerianische Journalistin Christine Anyanwu. Da sie in ihrem Land im Gefängnis sitzt, nahm stellvertretend der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka den Preis in Paris entgegen.

Die Aufmerksamkeit von Menschenrechtsorganisationen reicht allein nicht aus, um demokratische Strukturen zu verbreiten und umzusetzen. Das Bewußtsein, inwieweit man durch die eigenen Lebensumstände Mitverantwortung an den Zuständen in weniger entwickelten Ländern trägt, muß von allen täglich erbracht werden. Vielleicht existiert der eigene Arbeitsplatz nur, weil „meine“ Firma Geschäfte mit Billiglohnländern betreibt?

Doch nicht allein die südliche Erd-Halbkugel schreibt Menschenrechte zu klein und unterdrückt die Medienberichterstattung. Auch die hochtechnisierte Medienwelt verführt zum Verzicht ehrlicher, nicht beeinflußter Hintergrundinformationen. Multimedia-Terminals, ein Überangebot von Informationen, lassen den Blick für das Wesentliche unscharf werden. Sprachmanipulationen der Medien verfälschen Tatsachen. Auch so kann der weiteren Existenz von Unrecht anderswo Unterstützung signalisiert werden. Der bei uns anhaltende Trend zum „Fast-food-info-Konsumenten“ und die damit verbundene Technik, erschweren den Zugang zu seriös vorgestellten Zusammenhängen. Ein gefährlicher Interessenverbund aus Politik, Wirtschaft und Medien-Macht hält uns professionell auf Distanz zur Realität.

Doch zunächst gilt es, den Grundsatz der Pressefreiheit überall durchzusetzen, dann folgen zwangsläufig moralische wie ethische Ansprüche.

Frank Uckermann

Der Autor ist freier Journalist und Mitglied von Reporter ohne Grenzen.

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