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■ Die über 8.000 Vermißten aus der ostbosnischen Stadt Srebrenica sind vermutlich alle tot. Die UN-Sonderberichterstatterin Elizabeth Rehn fand am Sonntag keinen Hinweis auf Gefangene, die das Massaker vom Juli 1995 überlebt haben könntenS

Die über 8.000 Vermißten aus der ostbosnischen Stadt Srebrenica sind vermutlich alle tot. Die UN-Sonderberichterstatterin Elizabeth Rehn fand am Sonntag keinen Hinweis auf Gefangene, die das Massaker vom Juli 1995 überlebt haben könnten

Spurensuche in der Stadt des Grauens

Die Mission der Diplomatin ist heikel. Elizabeth Rehn, die Menschenrechtsbeauftragte der UNO, will an diesem Sonntag morgen Spuren der Verbrechen sichern helfen, die im Sommer letzten Jahres in Srebrenica begangen wurden. Sie will die Hinweise prüfen, die überlebende Frauen aus Srebrenica, die heute in Tuzla leben, ihr mit auf den Weg gegeben haben: Hinweise auf Lager und Stätten des Mordens, Hinweise auf Orte, wo einige der mehr als 8.000 verschollenen Männer überlebt haben könnten. Politisch bedeutsam an Rehns Mission ist, daß sie diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den bosnisch-serbischen Behörden lösen will.

Der Troß verläßt Sarajevo. Über die vereisten Straßen ist bald das serbisch-bosnische Gebiet erreicht. Ein Wagen der serbischen Polizei setzt sich an die Spitze der Kolonne und führt sie durch eine vom Krieg verwüstete Landschaft. In der serbischen Hochburg Bratunac sind wieder Menschen auf der Straße, sind die Häuser noch intakt. Srebrenica 10 km, steht auf dem Straßenschild.

Vorbei an der ehemaligen UNO-Basis ist nach fünf Kilometer Fahrt das Lager von Kranica erreicht. Hier sind nach dem Fall von Srebrenica Tausende Männer festgehalten und eine bisher unbekannte Anzahl von ihnen ermordet worden. Der lange Flachbau, der früher als Lagerhalle diente, ist leer. Heu liegt auf dem Boden, wo sich einstmals Gefangene drängten. Brandspuren oberhalb der Fenster sind zu sehen und Einschußlöcher an den Türen.

In Srebrenica sind die meisten Häuser noch heil. Doch überall liegt Müll herum: auf der Flucht zurückgelassene Möbelstücke, Kleider, Unrat. Neue Bewohner haben sich in den von Muslimen verlassenen Wohnblocks eingerichtet. Es sind serbische Flüchtlinge aus dem Westen Bosniens und Evakuierte aus der Region um Sarajevo. 15.000 sollen es sein, sagt Bürgermeister Milenko Canic. Der ehemalige Lehrer will Rehn bei ihrer Arbeit unterstützen.

Sie nimmt ihn beim Wort. Sie möchte den Keller eines Supermarktes sehen, wo nach Hinweisen von Flüchtlingen Gefangene gehalten werden. Als endlich der Schlüssel gefunden ist, drängt sie sich umringt von Fernsehteams durch die Tür. Doch im Keller is niemand. Die dortigen Räumlichkeiten hätten zwar als Gefängniszellen durchaus dienen können; auf dem Boden finden sich Spuren von Wachs. Doch konkrete Hinweise auf Gefangene gibt es nicht.

Eine publikumswirksame Inszenierung?

Da taucht die Information eines holländischen Fernsehteams auf, auf einem Berg bei Kranica lägen Leichen. Rehn entscheidet sich für einen Fußmarsch durch das verminte Gebiet. An einem Waldrand liegen Gerippe, teilweise sind Köpfe vom Rumpf getrennt. Bei manchen ist die Wirbelsäule in zwei Teile geteilt, die Beine stecken noch in angemoderten Jeans. Kleidungsstücke, Habseligkeiten liegen verstreut am Fundort herum. Ausweise werden gefunden, manche von ihnen in gutem Zustand. Es handelt sich um muslimische Männer aus Srebrenica.

Weitere Leichen sollen hier im Wald und der nächsten Umgebung liegen, erklären serbische Polizisten. Offenbar sind die etwa zehn hier Ermordeten in einen Hinterhalt geraten. Die von serbischen Journalisten gestreute Behauptung, die Männer hätten sich nach einem Streit, ob sie weiterfliehen oder kämpfen sollten, selbst erschossen, wirkt unglaubwürdig. Doch stutzig macht, daß die Papiere dort heute noch liegen. „Gerade diese“, so sagt ein Mitarbeiter der UN-Menschenrechtskommission, wären von den Angreifern damals wohl eingesammelt worden.“ Deshalb bestünden Zweifel, ob die Namen auf den Papieren etwas über die Identität der Toten verraten können.

Geht es bei dem Fund um eine Inszenierung? Ist es nicht seltsam, daß die Leichen, von deren Existenz zumindest das serbisch-bosnische Militär wissen mußte, gerade dann der Öffentlichkeit vorgeführt werden, nachdem Elizabeth Rehn angereist ist? Der Mann, der dem holländischen Fernsehteam nach eigenen Angaben den Hinweis auf die Toten gab, heißt Miroslav Durenić. Und der ist Gouverneur des Distrikts von Bratunac und Srebrenica.

Durenić empfängt Rehn zum Abendessen in einem Hotel in Bratunac. Der Serbe soll im Juli letzten Jahres, vor dem Massaker, die Verhandlungen über die Evakuierung der Bevölkerung von Srebrenica mit der UNO geführt haben. „Die Menschenrechtskommission wird jegliche Unterstützung für ihre Arbeit von seiten der serbischen Behörden erhalten“, betont er. Elizabeth Rehn ist höflich, aber auch bestimmt. Sie läßt durchblicken, daß jegliche Versuche der Vertuschung sinnlos seien. Sie fragt nochmals nach den Gefangenen. Und dann fällt der entscheidende Satz: „Es gibt keine Gefangenen mehr in den Camps“, sagt Durenić. Die Frauen in Tuzla könnten jederzeit unter Zusicherung sicheren Geleits nach Srebrenica zurückkehren, um sich selbst zu überzeugen.

Durch Schnee und Eis bahnt sich der Troß den Weg nach Tuzla. Serbiens Präsident Slobodan Milošević habe dem US-amerikanischen Außenminister Christopher zugesichert, er würde mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeiten, heißt es in den Nachrichten. Bedeutet dies, die Kriegsverbrechen würden aufgedeckt? Die im Hotel Tuzla wartenden Frauen aus Srebrenica bekommen von Elizabeth Rehn dagegen eine schlechte Nachricht: „Die vermißten Männer sind wahrscheinlich tot.“ Erich Rathfelder, Srebrenica

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