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Die türkische Wut auf Deutschland ist groß

Die Entrüstung nach dem Waffenembargo der Bundesregierung geht quer durch alle Parteien/ Geht es Bonn um Kurdistan oder die Verhinderung des EG-Beitritts?/ Demirel: Ein unabhängiges Kurdistan ist eine Illusion  ■ Aus Ankara Ömer Erzeren

„Die Wut gegen Deutschland, das Mörder unterstützt und gegen die Türkei vorgeht, wächst“, lautet die gestrige Schlagzeile des türkischen Massenblattes 'Sabah‘. „Hans ist verrückt geworden. Sie wollen die Türkei wie Jugoslawien zerstückeln“, titelte bereits am Samstag die größte türkische Tageszeitung ,Hürriyet‘. Eine Welle der Entrüstung geht durch die türkischen Medien, nachdem die Bundesregierung wegen des blutigen Einsatzes der türkischen Armee in den kurdischen Regionen ein Waffenembargo verfügt hat. Süffisant druckte ‘Hürriyet‘ ein Foto, das den ehemaligen Nazi-Offizier Kurt Waldheim neben dem Kanzler zeigt — Waldheim mit einer Ordenskette für sein „außerordentliches Lebenswerk“ von dem Peutinger Kollegium geehrt.

Die von den Deutschen betriebene Vernichtung der europäischen Juden, der Beitrag der Deutschen zu dem Giftgasmassaker des irakischen Diktators Saddam Hussein an den Kurden in Halabja sind in den vergangenen Tagen Lieblingsthemen türkischer Kolumnisten. Yalim Erez, Vorsitzender der Istanbuler Handelskammer, rief zum Boykott deutscher Waren auf. Seinen BMW will Erez so schnell wie möglich loswerden. „Wenn Deutschland nicht schnell seine Haltung ändert, wird die Verwunderung der türkischen Öffentlichkeit schnell in Haß umschlagen.“ Von dem Boykott deutscher Waren, der Aufkündigung von Sparguthaben türkischer Migranten in Deutschland, ja sogar vom Verzicht auf deutsche Importe ist die Rede. „Wir haben Deutschland auf frischer Tat gefaßt“, kommentiert der Vorsitzende des türkischen Börsenvereins, Rona Yircali. Dutzende Verbände und Organisationen machen ihrem Unmut über die deutsche Haltung Luft. Doch es sind nicht nur Medien und Politiker, die die Stimmung anheizen. In den Caféhäusern Istanbuls ist die Wut auf die Deutschen spürbar. Selbst kritische Türken, die stets die Politik des türkischen Staates in den kurdischen Regionen bekämpft haben, meinen, daß die Bundesrepublik die „kurdische Frage“ nur instrumentalisiert: „Eigentlich geht es den Deutschen darum, daß sie uns nicht in der EG haben wollen.“

„Dies wollen die Deutschen“, ruft mir der Polizist Samstag nacht zu, als ich das verwüstete Parteibüro der regierenden „Partei des rechten Weges“ im Istanbuler Stadtteil Besiktas betrete. Der Staatsanwalt wirft mir einen verächtlichen Blick zu, als er erfährt, daß ich für ein deutsches Medium arbeite. Die Besetzer des Parteibüros hatten wenige Stunden zuvor Brandbomben geworfen und vorm Fenster Parolen skandiert: „Wir sind hier, um gegen das Massaker am kurdischen Volk in Kurdistan zu protestieren. Es lebe die Brüderlichkeit der Völker.“ Die 14 Besetzer wurden von der herbeigerufenen Polizei festgenommen. „Die können von Glück reden, daß sie nicht gelyncht wurden“, erzählt der Mann im Caféhaus, was nur wenige Meter vom Parteibüro entfernt ist. Als die Polizei die Besetzer abführte, prügelten die versammelten Menschen auf die Besetzer ein.

In der Öffentlichkeit kommt die Bundesrepublik in der Rangordnung der Feindbilder unmittelbar nach der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), die einen bewaffneten Kampf in den kurdischen Regionen führt und im Westen der Türkei Anschläge durchführt. Mutmaßliche PKK-Mitglieder mischten den Wasserdepots im Istanbuler Sarigazi— in den Unterkünften leben Hunderte Offiziere und ihre Familienangehörigen — Zyankali bei. Nur der Funktionsuntüchtigkeit der Pumpen ist es zu verdanken, daß nicht Hunderte unschuldige Menschen getötet wurden. Das Zyankali in Sarigazi ist für türkische Medien ein weiteres Indiz für die „terroristenfreundliche Haltung der Deutschen“. Den Berichten zufolge stammt das Zyankali aus Fässern der Degussa AG, die am Tatort gefunden wurden.

Die heftigen Reaktionen auf die Äußerungen Genschers und das deutsche Waffenembargo gehen quer durch alle Parteien. Die Opposition fordert gar eine härtere Gangart gegen die Deutschen. „Wir benötigen keine Militärhilfe aus Deutschland, um den Terrorismus in der Türkei zu bekämpfen“, sagte der Vorsitzende der „Mutterlandspartei“, Mesut Yilmaz. Der ehemalige Premier Ecevit, Vorsitzender der „Partei der demokratischen Linken“, spricht von „deutschem Expansionismus, der die Welt schon mehrfach in Katastrophen geführt“ hat.

Der türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel sprach von „falschen, ja gefälschten Presseberichten“, denen die deutschen Politiker aufgesessen seien. „Wahrscheinlich handelt es sich um ein Mißverständnis“, sagte Demirel, der recht gelassen Fragen von Journalisten auf einer Pressekonferenz Samstag morgen in Ankara beantwortete. „Es gibt keine Bestimmung, daß die Waffen, die uns die Deutschen gegeben haben, nicht den Landstreitkräften überstellt und in der Region stationiert werden dürfen.“ Die Waffen seien jedoch nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt worden. Nur gelegentlich wechselte Demirel von dem versöhnlichen Tonfall gegenüber Deutschland zu scharfen Formulierungen: „Das Feuer, das europäische oder andere Staaten in der Türkei entfachen wollen, werden wir nicht zulassen.“ Er nahm sich lange Zeit, um meine Frage zu beantworten, ob sein Vergleich der PKK mit der Baader-Meinhof-Gruppe nicht zu weit hergeholt sei, ob die Existenz der PKK nicht vielmehr in der ungelösten Kurdenfrage verwurzelt sei. Doch eine richtige Antwort blieb er schuldig: „Es gibt keine Rechtfertigung für Mord. Wenn sie sagen, daß die töten, weil es in der Türkei eine Kurdenfrage gibt— dann geben sie denen recht. Wenn das Ziel die Zerstückelung der Türkei ist, dann kann man dies nicht als Kurdenfrage bezeichnen. Es gibt in der Türkei Bürger, die Kurdisch sprechen. Doch dies sind Bürger der Türkei 1. Klasse. Wir leben seit über tausend Jahren zusammen. Alle Ecken dieses Landes gehören uns allen. Ein Bürger, der in Siirt, Mardin oder Cizre [kurdische Städte, d. Red.] geboren ist, kann ein ruhiges Leben in Istanbul führen. Wenn einige Kreise wollen, daß diese Menschen mit Paß und Visum bei uns einreisen sollen, können wir nicht sagen, daß das uns nichts angeht. Wenn in den Köpfen sich so etwas wie ein unabhängiges Kurdistan mitschwingt, dann ist das Illusion.“

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