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Neubau

Die taz zieht um Machs gut, altes Haus!

Alles in diesen Mauern atmet Geschichten. Ein letzter Rundgang durch die Rudi-Dutschke-Straße 23.

Die Putten und der Schriftzug trennen sich: Ende September 2018 wurde der taz-Schriftzug von der Fassade des Altbaus in der Rudi-Dutschke-Straße abmontiert Bild: Karsten Thielker

Kersten Augustin: Der Fahrradständer

Der Fahrradständer der taz ist eine Weltraumschleuse. Hier werden aus gefürchteten oder geachteten Fachredakteuren für Dings oder Bums wieder Menschen. Sie tragen dann schiefe Fahrradhelme und schieben klapprige Räder mit Kindersitzen. Der Fahrradständer ist eine ziemlich exakte Uhr: Um 9 Uhr ist noch fast alles leer. Um 9 Uhr 15 kriegt man gerade noch so einen Platz. Um 9 Uhr 30 muss man am Zaun anschließen. Der Fahrradständer ist ein Kalender: Im Sommer kommen sogar die Schönwetterradler und nehmen den echten Radlern mit ihren wasserfesten Fahrradtaschen die Stellplätze weg.

Am schönsten aber ist es, nach Feierabend am Fahrradständer zu stehen und die Touristen anzuschauen, die ungläubig kichernd, den Kopf im Nacken, das Kunstwerk von Diekmanns Penis an der Hauswand der taz bestaunen und dann ein Foto machen. Sie sehen immer aus, als würde eine Schülergruppe über die Reeperbahn laufen. Ich bin mir sicher: Würde die taz für jedes Touristenfoto der Hauswand einen Euro kassieren, hätten wir das neue Haus bar bezahlen können. 

Annabelle Seubert: Der Bürgersteig

Kopfhörer, Kopftücher, Anzüge und Handys, ein Hut, ein Schnauzer, die Rollkoffer. Eine Frau, der zwei goldene Ballons hinterher wehen, die eine „20“ formen. Links, am Checkpoint Charlie, bricht sich das Herbstlicht in den Fenstern der Hochhäuser, rechts ist die Litfaßsäule – und gegenüber, bei Tim Raue, jenem eher arg teuren Restaurant, noch zu. Dort, hinter den Scheiben, jedenfalls bis 17 Uhr: schwere, graue Vorhänge, die „uns“ von „denen“ trennen.

Ein bisschen fühlt es sich an wie im Zentrum der Welt – zwischen Raue und Redaktion, an den Tischen auf dem Gehweg vorm taz Café. Ich meine, bleiben wir großspurig: wenn nicht hier, wo dann?

Man hört hier alles und riecht eine Menge. Die Abgase des M29 etwa, der Richtung Neukölln fährt oder woandershin, wo man nie ist. Früh morgens oft einen Parfümstoß, da sind die Leute frisch geduscht. Meist laufen sie die Rudi-Dutschke-Straße entlang, als müssten sie zu einem wichtigen Termin in Manhattan, crazy busy, oder, ganz anders: als schlenderten sie über eine Promenade in Südfrankreich. Manchmal klingt es auch nach Savoir-vivre, wenn hier ein Lkw hupt – als lege gerade eine Fähre vom Hafen ab.

An einem Tisch vorm taz Café kann man den Menschen ansehen, ob gerade wieder Fashion Week ist. Und dann zieht vielleicht eine Pferdekutsche vorüber. Man kann für sich sein, bleibt aber nie allein – die beiden Großraucher der taz sagen, „Guck, da: arabisch, holländisch. Die Touristen gehen ins Hostel, die Prekären ins Jobcenter“ und „wann sind Sprüchepullis bloß in Mode gekommen?“ Die Lay­ou­te­rin sagt, sie habe letzte Nacht in ihrem Bus geschlafen, der um die Ecke steht, weil ihre Schicht gestern so lang war. Am Morgen hat sie sich noch schnell ein T-Shirt beim Discounter gekauft, zum Wechseln.

Dann kommt ein Lieblingskollege, er lacht über meinen Stift und meinen Block. „Harte Recherche!“, sagt er, fragt: „Kaffee?“, bringt zwei Becher, dreht sich eine Zigarette, und dann schauen wir zusammen ein vorvorletztes Mal die Fassade des Gebäudes hoch. 

Georg Löwisch: Die Empore

Das Geheimnis dieses Lieblingsorts kennen nur wenige, eine Berlin-Redakteurin gehört dazu, eine von der Meinungsseite, früher die stellvertretende Ressortleiterin des Wochenendteils. Und ich. Bei vielen geheimen Plätzen ist es so, dass sie ihren Zauber nur zu bestimmten Zeiten haben. So ist das auch auf der Empore des taz Cafés, die Lieblingszeit dieses Lieblingsorts ist zwischen acht und neun in der Früh.

Bevor ich den Platz nehme, gehe ich unten an den Tresen, der Kollege oder die Kollegin sagt etwas Freundliches oder nimmt mich etwas hoch, es ist auf jeden Fall immer angemessen. Ich bekomme aufs Tablett einen doppelten tazpresso, eine kleine Orangensaftschorle, die genau wie ein Capri-Eis schmeckt, eventuell einen einzelnen taz-Brownie. Die taz nehme ich mir vom Stapel.

Oben auf der Empore leuchtet die Morgensonne, ich habe die Eingangstür im Blick. Dann lese ich – und wenn ich von der Zeitung aufschaue, kommt oft gerade eine Kollegin oder ein Kollege ins Haus. taz, tazler, taz, tazlerin, taz, tazlerin. Man trinkt tazpresso, liest die taz, und es wirkt, als spazierten die tazler im Sonnenlicht aus den Artikeln der Zeitung heraus. 

Katja Kullmann: Das Entree

Echter, schwerer, hie und da leicht angeschlagener Marmor an den Wänden! In Schokosahnepuddingbraun, elfenbeinfarben gesprenkelt! Große, schön schlierige Spiegel! Und: Reliefs! Zweidimensionale Wandbilder von antiken Gottheiten! Es gibt keinen eleganteren Ort in der taz als den Eingangskorridor des alten Haupthauses. „Juhu! Endlich habe ich es jetzt auch mal in großbürgerliche Kreise geschafft!“ – so konnte man kurz träumen, wenn man diesen Weg in die Redaktion wählte, statt quer durchs poppig rote taz Café ins Treppenhaus zu spazieren.

Das Gebäude stammt aus der Zeit um 1910, als es gesellschaftlich noch etwas hermachte, bei einer Zeitung zu arbeiten, und als rund um die Kochstraße ein blühendes Verlagsviertel entstand. Der Architekt Carl Kühn mixte ein bisschen Neobarock mit einem Schuss Jugendstil. Zu den Erstmietern zählten angeblich ein Inkassounternehmen und eine Stummfilmproduktion. Die Götter im Entrée sollten ihnen wohl gute Geschäfte bescheren. Bis heute halten dort Venus, Amor, Merkur und Vulcanus die Stellung. Sie haben mir zum Feierabend immer zugezwinkert, vor allem der kleine Amor natürlich – ich schwöre! Ach, ich werde sie vermissen. 

Helmut Höge: Der Konferenzraum

Wenn wir Wikipedia nicht hätten, wüssten wir nicht: „Ein Konferenzraum ist ein meist speziell ausgestatteter Raum zur Abhaltung von Konferenzen, Tagungen, Symposien, Kongressen, großen Besprechungen und Versammlungen.“ Da die taz einen solchen hat, wissen wir aber auch: Er steht meistens leer. Oft wird er nur zur Morgenkonferenz genutzt. Manchmal kommen „Gäste“ zum Zuhören und setzen sich in die zweite Reihe vor die großen Topfpflanzen am Fenster. Wenn sie aufstehen, brechen sie oft Blätter oder ganze Zweige ab mit ihren Stühlen. Dann schimpft ihr Betreuer über diese „Scheißökos“ in einer Hausmail. Am Ende des Panoramafensters befindet sich eine Eisengittersäule, durch die Kabel nach oben führen. Daran lehnte eine Yuccapalme, die vier Meter hoch gediehen war und aus dem Topf zu kippen drohte.

Dann befestigte jemand von der EDV einen Router an der Säule, damit die Konferenzraumnutzer Internetanschluss haben – mit der Folge, dass der Yucca ringsum alle Blätter abstarben. Sie bekam einen anderen Fensterplatz, an ihre Stelle wurde eine auch sehr große Birkenfeige gestellt. Diese war anscheinend Kummer gewohnt, oder jedenfalls sah man ihr auch nach zwei Jahren nichts an, vielleicht waren ihre viel dünneren kleinen Blätter strahlenresistenter als die harten großen der Yucca, die ansonsten fast unverwüstlich ist. Die Birkenfeige wirkt dagegen sensibel, wenn man so sagen darf. Solche Gedanken kommen einem im Konferenzsaal, wenn nicht gerade zwischen 9 Uhr 45 und 10 Uhr 45 die Weltläufe dort durchgehechelt werden.

Die Welt wird uns vernichten, könnten die Pflanzen, denen die Konferenzstühle dabei oft zu nahe kommen, auch sagen.

Christian Specht: Die Lounge

Ich bin gern hier in der Lounge. Hier trifft man Leute, die sich Kaffee holen, und man kann Leute sehen, die schlechte Laune haben. Die knallen dann ihre Tassen auf die Spüle. Oder so wie jetzt: Die Leute unterhalten sich, Martin holt sich gerade Kaffee und hat einen Filzstift in der Hand. Und ich sitze auf der Couch.

Irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Wand gegenüber zu weiß ist und zu hässlich. Da musste ich die anmalen. Ich hab erst mit dem Hasen angefangen und dann den Koch gemalt. Dann kam die Schrift dazu, die Sätze hab ich aus der taz abgeschrieben: „Wir sind alle Menschen“. Und: „Stoppt das Sterben, nicht die Retter“. Ich wünsche mir, dass das auch so bleibt, wenn wir ausziehen. Das ist Kunst. Wenn einer die Kunst anrührt, gibt’s Ärger. 

Paul Wrusch: Der Fahrstuhl

Worauf ich mich im neuen Haus am meisten freue? Auf den neuen Fahrstuhl. Den alten hasse ich. Für Lasten ist er gemacht, nicht für Menschen, und trotzdem fahren Menschen damit. Täglich. Bestimmt über hundertmal. Wenn nicht gerade ein kleiner Zettel in jeder Etage an seiner Tür hängt: „Der Aufzug ist kaputt. Otis ist informiert“. Dann kommen irgendwann zwei Arbeiter in Blaumännern, sie turnen auf dem Fahrstuhl herum – ja, obendrauf –, und dann geht er wieder. Manchmal einige Wochen, manchmal auch nur wenige Tage. Dann muss man sich wieder sechs Etagen ins Dachgeschoss schleppen, man hustet und pustet und schimpft – und denkt, ach, lieber Fahrstuhl, so schlecht bist du doch gar nicht.

Die Fahrt ja ohnehin jedes Mal ein Erlebnis. Zu beiden Seiten offen, da rauscht auf der einen die milchige Glaswand vorbei, auf der anderen graues Metall zwischen den Geschossen. Aber bloß nicht hinfassen, sonst löst die Lichtschranke aus, es piept laut, man bleibt stecken und muss diverse Knöpfe drücken, bis es weitergeht. Das Erste, was neue KollegInnen hier lernen: Bloß nicht in die Lichtschranke kommen!

Auf dem Weg nach oben passiert man fünf Etagen, in fast allen ein kleines Fenster, durch das man manchmal wartende KollegInnen sieht, denen man hinterherwinkt, weil der Fahrstuhl mal wieder nicht hält. Wenn er denn hält, hält man die Tür auf, weil die KollegInnen waghalsig sechs Tassen Kaffee balancieren oder einen Teller mit einem vegetarischen Reisgericht. Oder Kopierpapier. Dann redet man, viel Zeit ist ja nicht, übers Wetter, über Kaffee, über die Titelseite oder macht Komplimente über das T-Shirt. Oder man redet nicht. Guckt aufs Handy oder liest Plakate, die an der Fahrstuhlwand hängen, zum 38. Mal. 

Doris Akrap: Die Raucherecke

Dort, wo die Raucherecke sein sollte, war immer schon besetzt. Ein alter Einkaufswagen, in dem leere Bierflaschen zwischen dem verschmierten Putzzeug der Reinigungskräfte übernachteten, hatte dort seinen Stammplatz gefunden. Am Ekelwagen musste man sich nun, vom Konferenzraum kommend, vorbeiquetschen, um in den letzten Raucherbereich der taz zu gelangen: ein Quadratmeter Treppenabsatz vor einem großen Fenster. Auf dem Fenster prangte ein großer Aufkleber, auf dem in einem roten Kreis eine Zigarette abgebildet und durchgestrichen war. Trotz des Verbots hingen dort vor und nach jeder Konferenz und Versammlung alle Raucher rum.

Das allein wäre völlig uninteressant gewesen, wenn nicht ständig die Nichtraucher dabeigestanden hätten. Denn hier wurde geredet. Hin und wieder über das, was in die Zeitung sollte. Meistens aber über die, die die Zeitung machten. Also hängten sich die Nichtraucher ans Treppengeländer, ließen sich von der Decke baumeln oder stellten sich zu den Bierflaschen in den Einkaufswagen, um mitreden zu können. Die Raucherecke stand im Verdacht, Palastrevolutionen, Übernahmestrategien und andere Umstürze zu planen und zu koordinieren. Dabei passierte dort nur eines: Viel Rauch um sehr viel Worte. 

Waltraud Schwab: Das Kabuff

Keine Ahnung, ob Kabuffs in der Weltliteratur und sonstigen großen gesellschaftlichen Auf­reger­plattformen eine Rolle spielen. Besenkammern ja, aber Kabuffs? Überhaupt Kabuffs, was sind das? Für alle, die ’ne Kurzversion wollen: Ein Kabuff ist ’ne Art Besenkammer ohne Besen. In der taz gibt es so einen Raum, ich arbeite drin. Bald nicht mehr.

Das Kabuff, von dem ich mich verabschiede, ist vielleicht zwölf Quadratmeter groß und hat eine Dachschräge auf einer Seite, denn es liegt im sechsten Stock, und zwar, was nicht unwesentlich ist: auf der Südseite.

Das Kabuff steht voller Bücher, die Bibliothek von Christian Semler, diesem Querdenker, dieser gewaltigen taz-Kraft, diesem zauberhaften Kollegen, der 2013 starb, ist im Kabuff untergebracht. Denn bevor ich ins Kabuff zog, arbeitete Semler hin und wieder da drin. Rauchend, so weit ich mich erinnere. Außer den Büchern ist das Kabuff mit zwei Türen, zwei Schreibtischen und einem kleinen Fenster in der Dachschräge bestückt, das sich nur minimal öffnen lässt. Dazu muss man das Rollo hochziehen – und das geht wirklich gar nicht. Aus zwei Gründen.

Zum einen, weil hochgezogen die Sonne nicht nur aufs Kabuff, sondern auch ins Kabuff knallt. Im Sommer ist es dann so heiß, dass, wer darin arbeitet, in einen aufgeweichten Zustand gerät, der einem Rausch ähnelt. Also bis aufs Unterhemd ausgezogen habe ich mich dort jedenfalls.

Zum anderen geht es auch nicht, weil ich was an den Augen habe und mich Licht blendet. Und zwar so, wie ich mir Verhörmethoden in Unrechtsstaaten vorstelle, wo einem ein Scheinwerfer direkt aufs Gesicht gerichtet ist. „Bitte machen Sie das aus.“ Was für andere nur Sonne ist, ist für mich mehr als das. Deshalb bin ich ins Kabuff gezogen, denn das ist der dunkelste Raum in der taz. Ein Nichtraum. Fragt sich, was für einen Journalismus ich darin gemacht habe. Nichtjournalismus vermutlich. Wegwerfliteratur.  Ja, das ganz bestimmt. Aber eine Pointe hat dieser Text nicht. Die Kurzversion hätte gereicht. 

Peter Unfried: Der Katzentisch

An einem Montagmorgen im November 1991 stieg ich hoch in den obersten Stock des taz-Hauses, um ein Praktikum bei der Redaktion Leibesübungen anzutreten. Ich war aus Tübingen gekommen und am Wittenbergplatz und am Halleschen Tor umgestiegen. In der hintersten Ecke saßen die Sportredakteure Matti Lieske, Michaela Schießl und Hagen Boßdorf, Letzterer an einem angebauten Katzentisch. Hagen stand dann auf und ging nach China zur Frauenfußball-WM oder so. Schießl sagte, ich könne mich an seinen Katzentisch setzen, was ich auch tat. Dann gab sie mir Essenmarken und schickte mich runter in den vierten Stock zu Doris, die mich ins „System“ einweisen würde. Es roch unfassbar schön nach alten Zeitungen und, wie ich damals beschloss, der ganz großen Welt.

Manuel Schubert: Der Lärm

Solange die Fenster geschlossen waren, blieb es im alten taz-Haus nicht unbedingt still, aber doch einigermaßen aushaltbar – um zu arbeiten. Die hohen Decken des Altbaus und die bunt verstreuten Regale fingen so manch lautstark geführtes Telefonat oder Gespräch von Kolleg*innen akustisch wieder ein. Doch sobald die Fenster offen standen, wurde es, egal übrigens ob man im taz-Stammhaus an der Rudi-Dutschke-Str. 23 arbeitete oder in der taz-Dependance Charlottenstraße 13 (schräg gegenüber), unschön. Denn vor unseren Fenstern kam jeden Tag eine epische Lärm-Oper zur Aufführung.

Die Rudi-Dutschke-Straße stellt eine wichtige Verbindung zwischen Kreuzberg und Mitte her, entsprechend dicht ist der Verkehr. Kleinwagen, Vierzigtonner, E-Roller, Harley Davidson und Bierbike – sie bilden das Orchester des Schreckens, dessen Spiel konzentriertes Arbeiten erfolgreich verhinderte. Zudem rücken Löschzüge der nahegelegen Feuerwache über die „Dutschke“ aus und sorgen für besonders nervtötende Crescendi.

Damit nicht genug. Der Höhepunkt dieses alltäglichen Lärmdramas folgte, wenn im Festsaal um die Ecke in der Charlottenstraße Großfamilien Hochzeiten feierten. Neben den laut hupenden Hochzeitskorsos stachen dabei die postpubertären Teile der Hochzeitsgesellschaften besonders hervor. Jene jungen Männer steuerten hochgezüchtete Sportwagen, mit welchen sie ihre Ränkespiele an der Kreuzung von „Dutschke“ und Charlottenstraße austrugen. Stets ging es dabei offenbar nur um eine Frage: Wer hat den imposanteren, stärkeren, lauter dröhnenden Schlitten unterm Arsch.

Zum Glück steht das neue taz-Haus am südlichen Ende der Friedrichstraße, der Durchgangsverkehr ist weit weg. Endlich mal Ruhe.

Nicola Schwarzmaier: Der Hinterhof

Normalerweise betrete und verlasse ich das Hauptgebäude der taz durch das Café und nutze dann das Treppenhaus. Den oft betriebsgestörten Lastenaufzug kann man ohnehin erst ab dem ersten Stock nutzen. Es sei denn, man hat einen Schlüssel, den ich nicht besitze.

Wenn man allerdings von oben nach unten fährt, kann man bis ins Erdgeschoss fahren. Wo man dann landet – das ist kein Ort für offizielle Gäste. Der Aufzug hält im Hinterhof. Ein enger, dunkler Ort zwischen dem benachbarten Altenheim und den zwei Küchen des Cafés und des Sale e Tabacchi. Vollgestellt mit Müll­eimern, Altglascontainern, Kartons, Kanistern und Rattenködern.

Für einen Moment fühle ich mich wie in New York, der Geruch nach Abfall und abgestandenem Fett, nach Angebranntem und Zigarettenrauch. Kü­chen­mit­arbeiter*innen lehnen in der Tür und rauchen, jemand wirft klirrend Flaschen in die Container.

In wenigen Schritten erreicht man die schicke Friedrichstraße und erinnert sich kaum, dass es diesen düsteren Platz überhaupt gibt.

Barbara Junge: Die Kammer

Mein Lieblingsort in der taz ist etwa vier Quadratmeter groß, er hat ein dreiteiliges Fenster und leuchtet bei Sonnenschein wunderschön hell. Ich kenne ihn noch gar nicht so lange. Erst bei einer sentimentalen Abschiedstour durchs Haus habe ich ihn für mich entdeckt.

Während der fast legendären Rudi-Dutschke-Haus-Adieu-­Par­ty gingen Gereon Asmuth und ich kürzlich Stockwerk für Stockwerk durch das alte Gebäude. Wir beide haben vor Jahren in genau der gleichen Woche als Praktikant und Praktikantin bei der taz angefangen. Das hat schon einen gemeinsamen sentimentalen Abschied verdient. Gereon ist, anders als ich, die ganze Zeit über bei der taz geblieben, er zeigte mir den Raum.

Der Boden in meinem geheimen Raum ist mit grauen und roten Steinbröckchen bedeckt. Am Rand kreuzen sich in rechtwinkliger Anordnung graue Stromleitungs-Ummantelungen und blassgelbe Heizungsrohre. An der Decke sind weinrote Wasserleitungen befestigt. Und wenn man den Staub wegwischt, sieht man ein kleines Viereck, 10 mal 10 Zentimeter vielleicht, mit Lochmuster im Boden. Dadurch kann man alles hören, was im Raum drunter passiert.

Auf dem Boden meines Lieblingsraums liegt eine Kippe. Ich hätte dort auch gern noch gesessen, ein Glas Wein getrunken und eine Zigarette geraucht.

Jürn Kruse: Das Klo

Es gibt zwei Arten von MitarbeiterInnen: die einen, die am Arbeitsplatz nicht können, die anderen, die können. Ich habe schon von so vielen Leuten gehört, dass es für sie unvorstellbar sei, bei der Arbeit – um das Ganze mal beim Namen zu nennen – kacken zu gehen. Ich kann das.

Aber dafür braucht es eben auch das richtige Klo. Denn davon gibt es auch zwei Arten. Schlimm sind diese Klos, die in solchen Plastikverschlägen stehen, die nicht bis zur Decke durchgezogen sind und bei denen untenrum auch noch 30 Zentimeter Platz gelassen wurde. Da hätte man auch gleich Maschendrahtzaun zwischen die Bottiche spannen können.

Nein, gute Klos, die Entspannung und Behaglichkeit ausstrahlen, müssen so sein wie die Toiletten im vierten Stock des taz-Altbaus. Jede Kloschüssel steht in einem einzelnen Raum, gekachelt, eineinhalb bis zwei Quadratmeter groß, mit richtiger Tür und eigenem Fenster. Mehr braucht es nicht, um Ruhe vor dem Alltag zu bieten.

Nur das Klopapier, das ist Mist: rau, zweilagig, reißt schnell. Aber irgendwas ist ja immer.

Zum Abschied möchte ich auf die Worte von Heinz Strunk aus dem Lied „Mein bester Freund“ zurückgreifen: „Mein bester Freund, die Kackwurst, muss leider dampfend untergehen. Ein letzter Gruß, der Kackwurst: Ahoi! Auf Wiedersehen!“

Felix Zimmermann: Der Keller

Tief unten im taz-Haus an der Rudi-Dutschke-Straße erstreckt sich ein obskures Gewirr aus Gängen. Wer sich auskennt oder findig ist, kann dort, ohne nur einmal einen Schlüssel benutzen zu müssen, in das kalte Herz der Zeitung vordringen, in den Kühlraum des Cafés, wo verschiedene Biersorten lagern und Wein. Gut, wenn man eine Abschiedsparty oben auf dem Dachgarten macht und sich so dermaßen im Gästeaufkommen verkalkuliert hat, dass um 9 Uhr abends schon alle Flaschen leer sind.

Ach Keller, wir wussten, du würdest uns nicht im Stich lassen. Die letzte Sause im alten Haus sollte nicht allzu früh am Abend enden müssen. Wir haben das aber nur einmal gemacht, Ehrenwort!

Viel häufiger nahmen wir den direkten Weg in eine Art Hauskapelle, wo mehrere Reihen eines Holzregals aufgereiht stehen und die heiligen taz-Reliquien verwahren. Kein vertrockneter Federkiel eines taz-Gründers, keine Plastiktüte, mit dem das Geld für „Waffen für El Salvador“ zu den Kämpfern gebracht wurde, keine Kiffertüte des ersten Chefredakteurs, sondern, sortiert in Stapel, liegen dort sämtliche Ausgaben der taz, von den ersten Nullnummern bis heute. Das Zeugnis einer stets sich wandelnden Zeitung, ein Zeitstrahl auf Papier gebannt, bundesrepublikanische Geschichte, Archiv eines irgendwie linken Daseins und Bewusstseins, weiter wachsend.

Am schönsten wäre es, sie würden den Keller versiegeln, wenn wir bald gehen: so, wie er jetzt ist.

Mit dem Lastenaufzug, Baujahr 68, geht es ganz nach unten, ein schwarzes K zeigt die tiefste Tiefe an. Zeug steht da rum, Überbleibsel früherer Benutzergenerationen, fast schon eins geworden mit dem Erdboden, blecherne Regalbretter, abgewetzte Bürostühle, taz-Moder. Das alles müssten die, die später an dieser Stelle nach Ursprüngen ihrer Zeit suchen, beiseite räumen, bis sie zu jenem Raum vordringen, der die alten taz-Ausgaben konserviert hat. Ein Sensationsfund wäre das. Und vielleicht wäre ein paar Räume weiter noch ein prickelnder tazsecco übrig. Mit dem könnten sie anstoßen. Wir von der Party haben den jedenfalls nicht angerührt. 

Ulrich Gutmair: Der Pavillon

Der Pavillon sitzt ganz oben auf dem Dach des alten Neubaus. Hoch über der Rudi-Dutschke-Straße wurde er über viele Jahre als Raum unter anderem für die wöchentliche Sitzung des Kulturressorts genutzt. Bei allzu zähen Diskussionen und der ermüdenden Erörterung bürokratischer Details von Dienstplänen gestattete er den verträumten Blick in die Weite des Berliner Himmels.

Mit schönen Erinnerungen belegt ist er aber auch aus einem anderen Grund. Wann immer auf der Dachterrasse eine Party stattfand, verwandelte sich der Pavillon früher oder später in einen Dancefloor. An einen Moment erinnere ich mich besonders gut. Aus irgendeinem Grund war ich der letzte DJ bei der ausufernden Abschiedsfeier von Deniz Yücel. Unten saß die Polizei im Streifenwagen, Nachbarn hatten sich wohl beschwert, die Beamten fanden aber keinen Weg nach oben.

Die Morgensonne blickte auf die bereits leicht entgleisten Züge der letzten Tänzerinnen, als ich „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherben spielte. Deniz war außer sich. Altlinker Kitsch! Ich blieb hart, das Lied wurde zu Ende gespielt. „Für mich heißt das Wort zum Sonntag: Scheiße. Das Wort zum Montag: Mach mal blau.“ Keine große Lyrik, aber Power hatten diese Zeilen Rio Reisers immer noch, an diesem Morgen im Pavillon.

Martin Reichert: Die Rauchertreppe

Der rechte Fuß kommt auf die unterste Stufe der Metallleiter, der linke auf die darüber – und mit Hintern und Rücken an die Wand. In der Position steht man bequem – und hat einen fantastischen Blick: Denn hier, im hinteren, schäbigsten Treppenhaus befindet sich der höchste Punkt der taz. Oder fast der höchste Punkt: Die Metallleiter führt schließlich nach oben, auf das Dach des Altbaus, wo sich Antennen, Schornsteine und der Fahnenmast drängen. Und gerüchteweise der Maschinenraum des Aufzugs, auf den nur ein Lichtschalter verweist. Aber wer will dort schon rauchen?

Über das Rauchen habe ich diesen Platz seinerzeit entdeckt, als selbiges in den Redaktionsräumen nicht mehr gestattet war. Fortan fand man sich im aschgrauen, zugigen, schlecht riechenden Hintertreppenhaus wieder. Der Raucher aber, sehr frei nach Henry Miller auf der Suche nach dem „Geschenk einer unablässigen, stetig sich neu erweckenden, neu sich speisenden Freude“, die man sich einfach anzünden kann, macht es sich dann doch so schön es eben geht. Die Kollegin aus der Kultur, zwei Stockwerke tiefer, legte sich zum Beispiel eine taubenblaue Decke auf die Treppenstufen, damit sie schön sitzen konnte während des Inhalierens.

Ich aber hatte ja die Treppe, an deren unterster Sprosse ich lächelnd rauchen und auf den Himmel oberhalb der Hochhäuser in der Leipziger Straße schauen konnte. Im Hintergrund hörte man leise den altersschwachen Wasserkasten des Klosetts säuseln, aus den unteren Etagen drangen unverständliche Stimmen herauf, Husten auch. Klar.

„Du hältst in der Hand deine Seligkeit – eine Zigarette lang“ sang einst Eva Busch, und „Das Glück, das du meinst, ist nur flüchtiger Rauch“. Nachdenken.

Viele Jahre später, ich hatte mit Rauchen aufgehört und das Rauchertreppenhaus war längst auf das Betreiben militanter Rauchgegnerinnen geschlossen worden, blickte ich einmal umgekehrt auf meinen eisernen Ausblick; vom Balkon eines der Hochhäuser der Leipziger Straße aus. Vielleicht waren die Dinge ja immer schon ganz anders, als ich sie mir hatte denken wollen. Und vielleicht ist es ganz gut, ab und an umzuziehen. 

Steffi Unsleber: Die Dachterrasse

Wenn man in Schweinfurt aufwächst, im Industriegebiet des sonst eher strukturschwachen bayerischen Nordens, dann schreibt sich das Gefühl, peripher zu sein, mit jedem Jahr tiefer in die Gedanken ein. Als ich 2012 nach Berlin zog und anfing, täglich zum Checkpoint Charlie zu fahren, wo ich noch in den Neunzigern mit meinen Eltern ehrfürchtig die nicht mehr existente Grenze überquert hatte, hatte ich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl von Dichte. Ich war im Zentrum angelangt. Und der Nullpunkt dieses Zentrums, so fühlte es sich zumindest in den ersten Monaten als Redakteurin an, war die Dachterrasse des taz-Gebäudes.

Wenn ich dort oben stand, früh am Morgen oder spät am Abend, und die Nachrichten gegenüber auf dem Dach des Springerhochhauses flimmern sah, hatte ich das Gefühl, der Rest des Landes würde um uns rotieren. Dieses Gefühl kann trügerisch sein. Auf jeden Fall ist es gefährlich. Mich hat dort oben manchmal ein Schwindel erfasst; wenn jemand bei einer Party fast übers Geländer fiel, weil er ekstatisch auf einer Bank tanzte und die Menge anfeuerte, wie Enrico einmal vor vielen Jahren.

Vielleicht auch, weil die Dachterrasse ein unwirklicher Ort ist mit ihren summenden Bienen, dem Rasensprenger und dem Duft der Hanfplantage im Großstadtgebrüll. Und auch wenn ich das Gefühl der Größe dort oben immer genossen habe, habe ich mich jedes Mal darauf gefreut, die Treppe wieder nach unten zu steigen und in die Peripherie zu fahren.