Die taz FUTURZWEI-Debatte: Anders wirtschaften – aber wie?

Die Folgekosten der von Corona heruntergebremsten Wirtschaft sind immens. Wie kann man den Schaden begrenzen und gleichzeitig sozialökologisch umsteuern? Zwei Vorschläge.

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Plädoyer für eine dynamische Wirtschaft

Von RALF FÜCKS

Seuchen machen konservativ. Sie erinnern daran, dass wir die Dinge nie ganz im Griff haben, trotz aller Errungenschaften der modernen Medizin und der Sicherheitspuffer, die der Sozialstaat bietet. Mehr noch: Sie verweisen uns auf unsere verdrängte Sterblichkeit. Kein Wunder, dass Krisenvorsorge und Risikoprävention sprunghaft im Kurs steigen. Die Corona-Krise wirkt als Katalysator für den Ausbau des Sicherheitsstaats.

Covid-19 folgt auf eine ganze Serie von Einschlägen, die den Optimismus der 1990er-Jahre erschütterten: 9/11 und die folgenden Terroranschläge in Europa, die entfesselte Gewalt im Irak und in Syrien, die Finanzkrise von 2008. Auch die große Fluchtbewegung von 2015/16 gehört zu den Ereignissen, die das Gefühl von Kontrollverlust verstärkten. Nicht zuletzt lässt sich der Klimawandel immer weniger verdrängen. Wenn die Zukunft als multiple Bedrohung erscheint, wächst die Tendenz, sich unter die Fittiche des Staates zu begeben, die Grenzen dichtzumachen und sich in der nationalen Wagenburg zu versammeln. Die globale Zirkulation von Menschen, Gütern und Kapital, gestern noch als Fortschritt gefeiert, erscheint jetzt als Gefahr für Sicherheit und Stabilität.

Zu den absehbaren Lerneffekten der Corona-Krise zählt die Wertschätzung eines öffentlichen Gesundheitssystems, das hinreichende Krisenreserven bietet. Die Ökonomisierung von Kliniken wird seit Covid-19 kritischer bewertet. Scheinbar altmodische Einrichtungen wie Gesundheitsämter stehen plötzlich in einem anderen Licht da. Dass wir keine medizinische Schutzausrüstung vorrätig halten, wird so schnell nicht wieder passieren. Dass Europa bei medizinischen Geräten und IT-Hardware weitgehend von China abhängig ist, ist ein Risikofaktor.

Wo die internationale Arbeitsteilung bislang von Kosteneffizienz bestimmt wurde, werden jetzt Aspekte der Krisenprävention eine größere Rolle spielen. Damit wächst auch der staatliche Einfluss auf das Wirtschaftsleben. Er wird noch verstärkt durch die massiven Staatshilfen für Unternehmen, die im Zuge der Corona-Krise ins Trudeln geraten. Es wäre eine verpasste Chance, noch einmal zig Milliarden in überholte Strukturen zu pumpen, statt sie als Anschub für die ökologische Modernisierung der Wirtschaft zu nutzen.

Wir sollten es mit dem neuen Etatismus aber nicht übertreiben. Nicht nur wegen seiner illiberalen Schlagseite. Der Ausnahmezustand, die Schließung von Grenzen und die drastischen Eingriffe in Freiheitsrechte dürfen nicht zur Regel werden. Auch kann die Krisenfestigkeit unserer Gesellschaft nicht allein vom Staat gewährleistet werden. Das zeigt sich auch in der aktuellen Pandemie. Resilienz erwächst aus dem Zusammenspiel von staatlichen Instanzen, wissenschaftlicher Kompetenz, starken Unternehmen und einer eigenverantwortlichen Bürgergesellschaft. Auch die grenzüberschreitende Kooperation von Politik und Wissenschaft verbessert unsere Fähigkeit, mit Krisen fertigzuwerden. Entgegen dem landläufigen Vorurteil trifft das auch für die ökonomische Globalisierung zu. Sie ermöglicht die Diversifizierung von Bezugsquellen und Exportmärkten. Wäre die deutsche Wirtschaft allein vom europäischen Markt abhängig, wäre der Einbruch noch deutlich größer.

Die Utopie der Entschleunigung und Reduktion, die jetzt von manchen Propheten eines neuen Zeitgeists gefeiert wird, grenzt an Realitätsflucht. Die Corona-Krise konnte durch vorübergehende Stilllegung des sozialen Lebens gebremst werden. Vorbei wird sie erst sein, wenn Medikamente und Impfstoffe zur Verfügung stehen. Zugleich wird deutlich, dass eine schrumpfende Ökonomie mit großen sozialen Verwerfungen und Kosten einhergeht. Verglichen mit dem Klimawandel ist die Covid-19-Pandemie eine überschaubare Herausforderung. Die Reduktion von Treibhausgasen gegen null erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution, eine lange Welle von Innovationen und Investitionen zur Erneuerung unseres Energiesystems, des Verkehrs und des Produktionsapparats. Eine Welt von bald zehn Milliarden Menschen braucht nicht nur handlungsfähige politische Institutionen, sondern ein hohes Maß an kreativer Dynamik. Ihre Treiber sind Wissenschaft, Unternehmertum und eine aktive Zivilgesellschaft. Sicherheit gibt es nur im Wandel.

RALF FÜCKS ist Geschäftsführer des Thinktanks Liberale Moderne und Autor von Intelligent wachsen.

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Plädoyer für eine wachstumsunabhängige Wirtschaft

Von STEFFEN LANGE und TILMAN SANTARIUS

Noch nie in demokratischen marktwirtschaftlichen Gesellschaften wurde die Wirtschaft durch politische Maßnahmen – also beabsichtigt – so stark heruntergefahren wie gegenwärtig. Doch die Herausforderung der Corona-Krise besteht nicht nur darin, einmalig eine Krise von einigen Monaten zu überwinden. Die Entwicklungen weltweit zeigen: Die Einschränkungen zur Bekämpfung des Corona-Virus werden ökonomische Tätigkeiten langfristig verringern. Eine Studie des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung beispielsweise rechnet für Deutschland vor: Kontakteinschränkungen von (nur) drei Monaten führen übers Jahr gerechnet zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 10 bis 20 Prozentpunkten. Wenn über einen längeren Zeitraum wiederkehrend solche Maßnahmen verhängt werden müssen, werden die Folgen jedoch bedeutend größer sein. Das Ergebnis: Eine stark fluktuierende Konjunktur um ein insgesamt deutlich niedrigeres Niveau der Wirtschaftsleistung.

Zur Lösung der Corona-Krise werden bekannte wirtschaftspolitische Maßnahmen nicht genügen. Die Situation ist eben nicht vergleichbar mit der globalen Finanzkrise nach 2007, in der günstige Kredite der Zentralbanken relativ kurzfristig Liquidität schafften und Konjunkturpakete die Wirtschaft wieder ankurbelten. Zwar sind auch jetzt kurzfristig Stützungszahlungen und Liquiditätsgarantien sinnvoll. Doch solche Maßnahmen werden nicht alle ökonomischen Probleme der Corona-Krise lösen. Denn Produktion und Konsum liegen nicht aufgrund einer Dysfunktionalität des Markts brach, sondern infolge der Kontakteinschränkungen.

Hinzu kommt: Aus ökologischer Sicht sollten wir auch gar nicht versuchen, wieder auf den alten Wachstumspfad zurückzukehren. Sonst gelangen wir von einer Krise in die andere. Auch während Corona die Debatte prägt, schreitet die Klimakrise weiter voran. Angesichts der Dringlichkeit, die Treibhausgasemissionen zu senken, sollten wir nicht klimablind die Corona-Krise lösen, um dann 2021 oder noch später mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft zu beginnen. Stattdessen können wir die Überwindung der Corona-Krise und der Klima-Krise integriert angehen.

Vier Prinzipien könnten die Politik leiten. Erstens dürfen staatliche Hilfen nicht mit der Gießkanne ausgeschüttet werden, sondern müssen ökologisch gerichtet sein. Konkret heißt das etwa: Eine Rettung von Fluggesellschaften muss mit einem radikalen Umbau der Branche inklusive einer Reduzierung der Flüge einhergehen; Hilfen für Automobilkonzerne gibt es nur bei Abschaffung des Verbrennungsmotors.

Zweitens müssen begrenzte Mittel auch sozial ausgerichtet werden: Finanzielle Hilfen dürfen nicht für Gutverdienende und Vermögende, sondern nur für Bedürftige zur Verfügung gestellt werden. Dabei sollte international gedacht werden: Nicht nur für Deutschland, sondern solidarisch für ein geeintes Europa und weltweit auch für krisengebeutelte Länder des globalen Südens müssen Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Drittens sollten die sozialökologischen ›Kobenefits‹ der Corona-Krise verstetigt werden. Eine Ausweitung von Homeoffice ist nicht nur virologisch sinnvoll, sondern auch sozial – weil sich die Vereinbarkeit von Job und Familie verbessert – und ökologisch – weil sich Verkehr vermeiden lässt. Ferner ist der Rückgang des Konsumniveaus für viele Unternehmen zwar ein Problem, ökologisch aber ein Segen.

Dies bringt uns zur vierten Perspektive: Die Lösung der Corona-Krise können wir nutzen, um unsere Wirtschaft wachstumsunabhängig zu gestalten. Jetzt unmittelbar bedarf es eines Grundeinkommens, um Verdienstausfälle in der Krise abzufedern, Maßnahmen zur Vermeidung von Massenarbeitslosigkeit und eine solidarische Finanzierung der Mehrkosten im Gesundheitssystem.

Genau diese Maßnahmen machen auch langfristig Sinn. Bereits vor der Corona-Krise gab es eine Tendenz der sinkenden Wachstumsraten, und aus ökologischer Sicht ist weiteres Wachstum in Hocheinkommensländern wie Deutschland nicht mehr tragbar. Wenn Konsum und Produktion nicht mehr steigen, müssen vor allem die Sozialversicherungssysteme und der Arbeitsmarkt angepasst werden. Statt mit Konjunkturpaketen wieder die alten Muster von Beschleunigung und Kaufrausch anzustacheln, sollten Arbeitszeitverkürzungen (›kurze Vollzeit‹), verstärkte staatliche Umverteilung in die Care Economy und Genügsamkeit beim Konsum verstetigt werden.

Wenn wir eines in den letzten Monaten gelernt haben, dann ist es das: Grundsätzliche politische Eingriffe in die Ökonomie sind möglich. Margaret Thatcher hat einst über den neoliberalen Wachstumskapitalismus gesagt: »There is no alternative.« Die gesellschaftliche Reaktion auf die Corona-Krise aber hat klar gezeigt: Es gibt ihn, den Primat des Gemeinwohls über die Wirtschaft!

Dr. STEFFEN LANGE ist Volkswirt am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.

Dr. TILMAN SANTARIUS ist Professor an der Technischen Universität Berlin und am Einstein Center Digital Future.

Ihr gemeinsames Buch Smart Green World? Making Digitalization Work for Sustainability erscheint demnächst bei Routledge.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°13 erschienen

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