: „Die sind enttäuscht“
MUSLIME Die Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer erklärt, inwiefern der interreligiöse Dialog gescheitert ist
■ Die 43-jährige Professorin für Geschichte und Theorie der Religionen an der Uni Bremen studierte Religionswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Bochum und Marburg. Ihr Schwerpunkt sind interreligiöse Dialoginitiativen. Auf dem Kirchentag wird ein Forschungsprojekt vorgestellt, für das eine vom Familienministerium finanzierte Vorstudie bereits abgeschlossen ist. EIB Foto: Uni Bremen
INTERVIEW EIKEN BRUHN
taz: Frau Klinkhammer, der größte muslimische Verband in Bremen nimmt am Kirchentag nicht teil, weil ihm die Haltung der evangelischen Kirche zum Islam nicht passt. Verweigern die Muslime den Dialog?
Gritt Klinkhammer: Ich kann den Rückzug der Bremer Schura nachvollziehen. Es ist zwar richtig, dass der Kirchentag unschuldig ist, weil er nichts dafür kann, dass sich die evangelische Kirche heute stärker vom Islam distanziert. Man kann es aber als religionspolitisches Signal verstehen – das umso stärker wirkt, als der Konflikt ausgerechnet in Bremen ausgetragen wird – der Stadt, die lange als Vorreiter des interreligiösen Dialogs galt.
Es ist kein Bremer Phänomen?
Nein. Viele Muslime haben sich spätestens nach der Veröffentlichung der Handreichung „Christen und Muslime in Deutschland“ – die auch innerhalb der evangelischen Kirche umstritten ist – vor drei Jahren aus den Dialogprojekten zurückgezogen. Aus Überlastung, aber häufig auch aus Enttäuschung darüber, dass sich so wenig geändert hat. Die Handreichung ist dafür nur ein Beispiel. Ein anderes ist das negative Bild, das die Medien immer noch von den Muslimen zeichnen.
Welches Bild der Medien meinen Sie?
Schauen Sie sich doch die Berichterstattung des Spiegels und ähnlicher Publikationen an. Da wird der Islam nach wie vor als verantwortlich für Integrationsprobleme dargestellt – und zudem als mittelalterliche Religion. Leute wie Necla Kelek und Ayaan Hirsi, die in solchen Medien stets Gehör finden, schüren eine solche polarisierende Sichtweise. Solche Leute fordern im Grunde die Abschaffung des Islam – das kann man mit einer Religion natürlich nicht machen. Mal abgesehen davon, dass damit Probleme wie Ehrenmorde nicht beseitigt würden, weil sie nicht genuin aus einer Religion erwachsen.
Wäre es dann aber nicht klüger für muslimische Verbände, den Kirchentag als Podium zu nutzen? So verstärkt sich doch der Eindruck einer muslimischen Parallelgesellschaft, die die Auseinandersetzung scheut.
Es hätten zwar mehr sein können, aber es sind Muslime und Musliminnen auf dem Kirchentag vertreten, auch aus Bremen.
Die so den anderen in den Rücken fallen?
Oder damit zeigen, wie vielfältig der Islam ist und dass es nicht einen tiefen Graben in Bremen gibt, sondern unterschiedliche Positionen – das wird ja auch kaum wahrgenommen.
Dem Vorsitzenden der Bremer Schura ist die Auseinandersetzung mit dem Islam auf dem Kirchentag zu „soft“, die „harten“ Themen würden ausgespart.
Sicherlich ist ein einmaliges und auf religiöse Begegnung angelegtes Großereignis wie der Kirchentag nicht der richtige Ort, um Details der Integrationspolitik zu diskutieren.
Ist das anders in den Dialogforen der Republik?
GRITT KLINKHAMMER
Die sind auch zu nett, meinen Sie? Der Vorwurf ist beliebt: Interreligiöser Dialog ist Ringelpiez mit Anfassen. Tatsächlich, das hat unsere Untersuchung gezeigt, werden diese Treffen unterschätzt. Da wird auch mal heftig gestritten. Themen wie das Kopftuch oder auch gefühlte Nichtwahrnehmung auf beiden Seiten reißen immer noch mit, das geht zum Teil an die Substanz und kann zu Verletzungen führen. Erstaunlich ist, dass viele trotzdem am Ball bleiben.
Und die anderen?
Manche lösen die Konflikte vielleicht dadurch, dass sie einfach wegbleiben. Gerade bei den Muslimen ist die Fluktuation hoch. Das aber, wie es häufig geschieht, als Konfliktscheue zu interpretieren greift zu kurz: Tatsächlich liegt das oft daran, dass 99 Prozent der Muslime das ehrenamtlich machen, während die andere Seite häufig in einer hauptamtlichen Funktion mit zeitlichen und materiellen Ressourcen ausgestattet ist.
Ein anderer Vorwurf lautet, die, die den Dialog mit den Muslimen suchen, seien naiv.
Das ist eine unhaltbare Behauptung. Es stimmt, dass manche anfänglich den Dialog dazu genutzt haben, sich milder zu präsentieren, als sie in Wahrheit gedacht und gehandelt haben. Je klarer aber wurde, dass die Teilnahme an solchen Runden nicht den direkten Zugang zu materiellen Ressourcen bedeutet, desto uninteressanter wurden sie für diejenigen, die an einem Austausch – der bedeutet, die eigenen Positionen zu überdenken – gar nicht interessiert sind. Das gilt für alle Seiten: Nichtgläubige, Christen und Muslime müssen sich fragen, ob die eigenen Fragen auf Erkenntnis und gemeinsame Gestaltung zielen oder ob man das Gegenüber nur widerlegen und bekehren möchte.
Laut Ihrer Studie suchen Christen aus Neugier den Kontakt, während die Muslime – vor allem die Männer – größeren Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen wollen. Werden die Dialoge instrumentalisiert?
Die Hoffnung, über den interreligiösen Dialog an der Gesellschaft zu partizipieren, ist doch berechtigt. Manche Muslime und Nichtmuslime haben gehofft, dass eine institutionelle Integration durch die Dialoge möglich würde. Aber: Diese Hoffnung hat sich kaum erfüllt. Es gibt bis heute in Bremen keine verbindliche Regelung zum Islamunterricht an Schulen, es gibt in keinem Bundesland eine Bewegung in der Körperschaftsfrage, wie also die Moscheevereine analog zu den Kirchen für ihre Arbeit Unterstützung durch den Staat bekommen können. Dabei zeigt gerade der Evangelische Kirchentag, dass solche Verträge mit religiösen Vereinen möglich sind: Das Land Bremen hat 7,5 Millionen Euro beigesteuert.
Das heißt, dass das Dialogvorhaben gescheitert ist?
Das kommt auf die Erwartungen an. In Bremen wurde der Dialog, von dem ja heute kaum etwas geblieben ist, von ganz oben initiiert, vom damaligen Regierungschef Henning Scherf. Entsprechend groß ist die Enttäuschung darüber, dass sich das Land Bremen bis heute zu nichts verbindlich verpflichtet hat, etwa zu einem Vertrag mit den Muslimen, in dem das Zusammenleben und der Beitrag des Staates wie der der Muslime geregelt sind.
Der 130-seitige EKD-Text 86, veröffentlicht im November 2006, hatte es in sich. Das aber war anfangs leicht zu übersehen. Der Rat der EKD nannte es harmlos „Handreichung“. Auch der Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ deutete seine Sprengkraft bloß an.
Das Papier, unterschrieben vom EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, rechnete schonungslos mit dem Islam und dem bisherigen Dialog zwischen Muslimen und Christen in Deutschland ab. Ein Beispiel: „Das interreligiöse Beten kommt aus theologischen Gründen nicht in Betracht. Auch jegliches Missverständnis, es finde ein gemeinsames Gebet statt, ist zuverlässig zu vermeiden.“ Oder mit Blick auf die Scharia, das islamische Recht: „Christen lehnen nicht nur um der Rechtsstaatlichkeit willen, sondern auch zum Schutz der Religionsfreiheit jegliche staatliche Anerkennung oder auch nur Hinnahme einer solchen islamischen Rechtsprechung ab.“ Alle heißen Themen, vom Geschlechterbild des Islam bis zur Mission, sprach die „Handreichung“ in oft geradezu schroffer Art an.
Die Folge: Muslimische Verbände sagten ein für Februar 2007 geplantes Gespräch mit der EKD ab. In einem Positionspapier als Antwort auf die „Handreichung“ warfen sie der EKD vor, sie grenze sich ab und profiliere sich auf Kosten der Muslime. Es folgte eine Eiszeit im Dialog. Nach einem vierten Muslime-EKD-Treffen 2008, hat sich die Lage entspannt. Zumindest ein wenig. PHILIPP GESSLER
Aber was bringt der interreligiöse Dialog dann?
Tragfähige Verbindungen, auf die man im Ernstfall zurückgreifen kann. Die gibt es auch noch in Bremen. Außerdem wollen wir in unserer derzeitigen Forschung herausfinden, wie in den Dialoginitiativen Konflikte ausgetragen und gelöst werden und welche nachhaltigen Wirkungen davon auf die gesamte Gesellschaft ausgehen.
Sie wissen aber bereits jetzt, dass die bestehenden Projekte verbesserungswürdig sind.
Natürlich gibt es Probleme. Man muss sich Gedanken über die ungleichen Besetzungen und ihre Gründe machen. Ganz wichtig ist auch, das Diskutierte nach außen zu vermitteln und mit politischen Instanzen zu verschränken – im Sinne der Partizipation. In vielen muslimischen Vereinen wächst ein Bewusstsein dafür, dass der Dialog, der meistens von engagierten Einzelpersonen geführt wird, in die Gemeinden durchsickern muss. Die Ditib-Moscheen bilden deshalb jetzt Multiplikatoren aus. Man wird sehen, ob das wirklich eine Lösung bringt.
Aber Riesenveranstaltungen werden das wohl nie, oder?
Nein. Viele Christen wie Muslime interessieren sich einfach nicht dafür – auch weil sie glauben, ganz gut nebeneinanderher oder miteinander leben zu können. Wie notwendig ein Austausch ist, sieht man stets dann, wenn es Probleme gibt. Aber die wenigsten halten offenbar eine solche Konfrontation aus, wo die eigenen Werte und Vorurteile infrage gestellt werden.