: Die schlitzohrigen Tabellenschleicher
■ Fußball-Zweitligist Blau-Weiß 90 schlägt den SV Meppen recht ansehnlich mit 2:0
Charlottenburg. Noch immer ist kaum jemand »heiß auf Blau-Weiß«. Nur die Verantwortlichen des Berliner Zweitligisten bewiesen wieder Sinn für Komik, als sie das nette Liedchen über die Lautsprecher ins fast leere Olympiastadion tröten ließen. Ein Aufwärtstrend ist aber nicht mehr zu übersehen: Mit 2.219 Fans erschienen diesmal glatt 107 mehr als beim letzten Mal. Da bleiben viele Fragen offen, zum Beispiel die, ob Berliner Fußball-Interessierte einen Hang zur Selbstquälerei besitzen.
Denn bei den immer noch gut besuchten Spielen der Herthaner gibt es überhaupt nichts zu sehen, weder Tore noch ein erträgliches Auftreten zumindest der Gastmannschaften. Die Blau-Weißen aber erweisen sich immer mehr als gekonnte Schleicher an die Tabellenspitze. Nur noch zwei Punkte sind es bis zu einem Aufstiegsplatz, und kaum jemand nimmt zur Kenntnis, wie die Blau-Weißen dies bewerkstelligt haben.
Denn deren Ballgetrete ist des öfteren hübsch anzuschauen. Diesmal gegen den SV Meppen war es eher durchwachsen, die für den Erfolg entscheidenden Fähigkeiten aber klar zu erkennen. Das beginnt mit solidem Bemühen, Tore zu verhindern; Holger Gehrke kassierte nun schon seit 513 Minuten keines mehr und hält es damit schon fast so lange durch wie Walter Junghans bei den Herthanern im letzten Jahr.
Daran wollten auch die Gäste aus Meppen gar nichts ändern. Sie beließen ihre Bemühungen bei ganz wenigen Konterversuchen. Zwei Torschußübungen waren das feststellbare Ergebnis. Den Blau-Weißen fielen da schon mehr Grundlagen des ansehnlichen Fußballspiels ein. Vor allen die Herren Levy, Motzke, Schlumberger und Adler beherrschten solchermaßen Künste: schlugen tatsächlich lange Pässe, die berühmten »in den freien Raum«, wo meist Gartmann Meppener Abwehrversuche durcheinanderquirlte.
Sie kombinierten auch, fünf- oder sechsmal hintereinander und ohne Pause, dazu noch unerhört schlitzohrig. Wie zum Beispiel Adler und Motzke, die am Strafraum ganz souverän einen dopelten Doppelpaß begannen, der an fünf Meppenern vorbei im ersten Tor endete. Richtig erstligareif sozusagen war der zweite Torerfolg. Arg bedrängt hatte Adler am Elfmeterpunkt die Traute, den Ball zu Regisseur Schlumberger zurückzulupfen, welcher ohne Hektik und ganz ungeniert den Ball auf einer klassisch-bananenmäßigen Flugbahn ins Tor fluppen ließ.
Für diese lustigen Kunststückchen gab es artigen Beifall der bescheiden gewordenen ZuschauerInnen. Und die Blau-Weiß-Spieler konnten sich wieder den Luxus erlauben, fast dem gesamten Publikum zu Dank und Abschied die Hände zu schütteln. Trainer »Horschtle« Ehrmanntraut benutzte für die gezeigten Leistungen den Begriff »Arbeitssieg«, war aber dennoch zufrieden.
Nur, der geringe Publikumszuspruch bereitet halt Sorgen. »Mit mehr Besuchern sind sicher noch bessere Leistungen möglich«, sprachs Trainerle und weiß genau, daß die Situation am nächsten Wochenende ganz verzwickt wird. Laut pfiffig ausgehecktem DFB- Spielplan werden die Berliner Fußballfans vor die Entscheidung gestellt: Am Sonnabend kommt im Rahmen der ersten Liga mit dem Tabellenzweiten Eintracht Frankfurt die wohl auf lange Sicht letzte Gelegenheit ins Olympiastadion, die einzig geniale Fußballmannschaft live bei der Arbeit anzuschauen, den Hertha-Kasperle-Verein zu blamieren, und am Sonntag darf dann Blau- Weiß gegen die andere Eintracht aus Braunschweig den Hüpfer auf Platz drei in Liga zwei probieren. Schmiernik
Blau-Weiß 90: Gehrke — Levy — Niebel, Schmidt — Gartmann, Kutschera, Schlumberger, Motzke, Kunert — Bujan (56. Deffke), Adler.
TSV Meppen: Kubik — Böttche — Bruns, Heuermann, (46. Dlugaczyk), Helmer , Schulte, Menke, Deters, (75. Rolfes), Korek — Hanses, Thoben.
Zuschauer: 2.219. Tore: 1:0 Adler (25.), 2:0 Schlumberger (71.)
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