■ Zur „definitiv letzten“ Friedensinitiative für Bosnien
: Die schlechteste aller Optionen

Wenn die Führer der reichsten Industriestaaten, der G-7-Gruppe, plus Boris Jelzin sich kommendes Wochenende zu ihrem Gipfel in Neapel treffen, wird ihnen der bislang letzte Friedensvorschlag vorliegen, mit dessen Hilfe das 27 Monate währende Blutbad in Bosnien beendet werden soll. Bis jetzt ist jeder dieser Pläne gescheitert. Die europäisch-russisch-amerikanische „Kontaktgruppe“ schlägt die ethnische Teilung des Landes vor. 51 Prozent des Territoriums sollen an die kroatisch-bosnische Föderation gehen und 49 Prozent an ein serbisches Gebilde, das zunächst formal innerhalb des bosnischen Staatsverbandes verbleibt.

Diesmal hat Europa unter der Führung Frankreichs und Britanniens Washington überzeugt, sich den Pressionen gegen „alle Seiten des bosnischen Konflikts“ anzuschließen, die durch Gewalt geschaffene Tatsache der Teilung zu akzeptieren – und das Prinzip aufzugeben, nach dem Aggression und Völkermord vermittels ethnic cleansing nicht belohnt werden dürfen. Es ist das erste Mal, daß alle beteiligten Seiten – Europa, Rußland, die USA – in ihrer Vorgehensweise übereinstimmen. Ich glaube, daß dieser gemeinsame approach in die Irre führt.

Dabei geht es einmal, aber nicht hauptsächlich, um die rechtliche und moralische Haltlosigkeit einer Friedensformel, die auf der Teilung Bosnien-Herzegowinas basiert. Nach dieser Formel würden diejenigen, die die schlimmsten Verbrechen in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begangen haben, dafür das halbe Territorium eines völkerrechtlich anerkannten Staates einheimsen. Gewaltsame Grenzänderungen und Annexionen würden dadurch sanktioniert, und ein gefährlicher Präzedenzfall angesichts der steigenden Welle des Ultranationalismus wäre geschaffen. Aber schlimmer als all das ist, daß diese Friedensformel keinen Frieden schaffen wird.

Selbst wenn der vereinte Druck der Mächte, die die „Kontaktgruppe bilden, sowohl die bosnische Regierung als auch die selbstproklamierte „Serbische Republik“ dazu brächte, schließlich die Friedensformel zu akzeptieren (was beide Seiten aus höchst unterschiedlichen Motiven bislang verweigerten), bleibt eine ernste Frage: Wer wird die Serben dazu bringen, sich freiwillig von Dutzenden bosnisch-herzegowinischer Städte zurückzuziehen und damit ihre Eroberungen von 70 auf 50 Prozent des bosnischen Territoriums zu reduzieren? Hunderttausende von Serben sind in die eroberten Gebiete geströmt, haben Häuser und Vermögen an sich gerissen. Schwer vorstellbar, daß es dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević oder dem selbsternannten bosnisch-serbischen Führer Karadžić gelingen könnte, diese Kriegsgewinnler zur Aufgabe ihrer Beute zu überreden, nur weil irgendwo irgendwelche Papiere unterzeichnet worden sind.

Alle bisherigen internationalen Vermittler im „Bosnien-Konflikt“ haben eine einfache Wahrheit verkannt: Der Druck zur Teilung des Landes ist die Quelle der bosnischen Tragödie und nicht deren Lösung. Landkarten mit ethnisch „reinen“ Regionen haben seit Beginn der Krise nur dazu gedient, jeweils neue Runden des ethnic cleansing einzuläuten. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß die jetzt neu gezeichneten Karten einen anderen Effekt haben werden. Die Serben werden die eroberten Städte nicht preisgeben, und wer sollte von den Bosniern und Kroaten erwarten, daß sie eine „Realität“ akzeptieren, nach der Städte, in denen sie geboren wurden, jetzt denjenigen gehören sollen, die sie aus ihnen vertrieben haben? Mit solchen „Lösungsvorschlägen“ sorgt die internationale Gemeinschaft nur dafür, daß genau die Spannungen und die Gewalt sich fortsetzen, denen doch ein Ende gesetzt werden sollte. Statt von der Agenda der Weltpolitik zu verschwinden, würde Bosnien-Herzegowina bald wieder ganz oben figurieren.

Was wäre also zu tun? Der amerikanische Kongreß hält eine Antwort bereit: Hebt das Waffenembargo gegen Bosnien auf, damit das Land sich verteidigen kann. Das Repräsentantenhaus hat diesen Vorschlag mit überzeugender Mehrheit – 244 zu 178 Stimmen – angenommen. Es stimmte sogar für die einseitige Aufhebung des Embargos durch die USA. Im Senat ließ dann die Clinton-Administration schweres Geschütz auffahren. Die Aufhebung des Embargos würde den Friedensprozeß töten. Unter dem Eindruck dieses Arguments stimmte der Senat mit 50 zu 50 Stimmen, womit er dem Weißen Haus eine eindeutige Botschaft übermittelte. Scheitert der Friedensprozeß diesmal, so muß als nächster Schritt das Waffenembargo fallen.

Aber die Welt hat weit bessere Wahlmöglichkeiten, als auf die Ergebnisse eines Friedensprozesses zu warten, der sowieso scheitern wird. Bestes Beispiel ist das von Washington vermittelte bosniakisch-kroatische Abkommen, durch das der Krieg zwischen den beiden Parteien beendet und die neue bosnische Föderation geschaffen wurde. Statt den Serben fast die Hälfte des bosnischen Territoriums anzubieten, sollte die internationale Gemeinschaft sie dazu bringen, den gleichen Verfassungsrahmen und die gleichen Garantien zu akzeptieren, die Bosniaken und Kroaten bereits angenommen haben.

Es gäbe starke Überzeugungsmittel. Diplomatische – in Form der eindeutigen Botschaft, daß es keine internationale Anerkennung für gewaltsame Grenzänderungen geben wird. Ökonomische – mit der Verschärfung von Sanktionen gegen Serbien, bis das Land mehr Enthusiasmus für den Friedensprozeß aufbringt. Militärische – mit dem strikten Schutz des Luftraums von Bosniens freien Territorien. Und mit der Aufhebung des Waffenembargos, damit das Land die Mittel zur Selbstverteidigung erhält und zur Befreiung der besetzten Gebiete, falls alle Friedensanstrengungen versagen.

Ironischerweise haben die Europäer unter franko-britannischer Führung Präsident Clinton ausgerechnet während seines „D-Day“-Besuchs davon überzeugt, daß Hilfe für Bosnien „den Krieg verlängern würde“. Man kann sich unschwer ausmalen, wie es heute um Frankreich und England stehen würde, wenn das gleiche Argument – daß nämlich Hilfe für die von den Nazis besetzten Länder den Krieg verlängere – damals erfolgreich gewesen wäre.

Von vergleichbarer Qualität ist das Argument des amerikanischen Präsidenten, wonach es nicht die Aufgabe der USA ist, „auf einer Seite in den Krieg einzutreten und damit das militärische Gleichgewicht zu ändern. Indem die Weltgemeinschaft das Waffenembargo über Bosnien verhängte und ihre Arme angesichts einer brutalen Aggression verschränkt hielt, tat sie genau das, was Clinton vermeiden wollte. Sie änderte das Gleichgewicht und gab einer der beiden „Seiten“ einen entscheidenden Vorteil. Es war und ist die falsche Seite. Und dieser Mangel an Gleichgewicht ist es, der den Krieg, den jedermann so gern beenden würde, weiter verlängert. Kemal Kurspahić

Washingtoner Korrespondent der in Sarajevo erscheinenden Tageszeitung Oslobodjenje. Übersetzung aus dem Englischen: C.S.