Die sanfte Tour der Autonomen

Mit phantasievollen Aktionen und Diskussionsveranstaltungen will die „Antifaschistische Aktion Halle e.V.“ linke Kultur vermitteln / Die Autonomen wollen weg vom Image des Bürgerschrecks  ■ Aus Halle / Saale Detlef Krell

In der Kellnerstraße ist Halle/ Saale auszuhalten. Nur ein paar Schritte vom Marktplatz mit der Marienkirche und dem Händeldenkmal entfernt, steht die Backsteinhäuserzeile wie verloren. Die Fenster blicken auf Supermarktbaracken, versteckt im Grünen liegt der Hof. Dort sitzt heute der Sharp-Skin neben dem Opa vom Bund der Antifaschisten. StudentInnen, Arbeitslose und manchmal auch einige Bauarbeiter plaudern bei Bier oder Tee. Die Kellnerstraße ist Bürgertreff, auch wenn einige Zeitungen das Gerücht köcheln, in dem „linksextremen“ Haus lägen die Leichen nur so im Keller.

Marcus ist Anfang zwanzig und will anonym bleiben. „Nichts zur Person bitte“, das fehlte noch, als autonomer Antifa mit Visitenkarte bei gewissen Organen registriert zu werden. Angewidert zitiert der Student eine BILD- Schlagzeile: „100 Linksextremisten bauen ihr besetztes Haus in Rufweite der Polizei zur Festung aus.“ Ein Späher des Blattes hätte an jenem lauen Maiabend zwar nur beobachtet, wie einige Leute neue Blumenkästen anbringen. Doch um einen „Szene-Krieg“ und „sinnlose Gewalt“ herbeizuschreiben, sei „denen anscheinend jede Lüge recht“, meint der erklärte „Autonome“ nachdenklich.

Vor drei Jahren wurde die Kellnerstraße besetzt. BewohnerInnen und Freunde richteten dort ihr Wohnhaus und die Szene-Kneipe ein. Eine „alternative Abendschule“, ein Info- und ein Bücherladen und andere Projekte sind hier untergekommen. Ein „besetztes Haus“ ist die Kellnerstraße längst nicht mehr, denn der Halleschen Wohnungsbaugenossenschaft konnte ein Mietvertrag abgerungen werden, „zu denkbar schlechten Konditionen“, wie die BewohnerInnen meinen. Marcus erzählt, daß zu den MieterInnen auch ausländische StudentInnen gehören, für sie sei die Kellnerstraße eine sichere und angenehme Adresse.

Heute abend kommt der Antifaschist Jupp Gerats in den Saal des Hauses Kellnerstraße. Er soll von seinen Jahren im Exil, über den Widerstand gegen das Naziregime und von seiner Bekanntschaft mit der Familie von Anne Frank berichten. Es werden wohl, vermuten die jungen Leute am Tisch, wie an den Abenden zuvor, um die 30 BesucherInnen kommen, darunter in erster Linie wohl Insider, aber auch die eine oder der andere „von draußen“. Die Gesprächsrunde ist Teil der „Antifaschistischen Aktionswoche“ in Halle, veranstaltet von der autonomen „Antifaschistischen Aktion“ und anderen BürgerInnen-Gruppen der Stadt.

Eine Woche lang stehen Gespräche und Filme auf dem Programm. Es geht um Kriegsdienstverweigerung, die Rassenpolitik der NSDAP, die Situation von Sinti und Roma, um die Widerstandsaktionen in Dachau und Neuengamme und die alltägliche Frauenfeindlichkeit. Schließlich soll in dieser Woche ein Workcamp in der Gedenkstätte Buchenwald und Aktionen gegen den eventuellen Rudolf-Heß-Aufmarsch Mitte August in Wunsiedel vorbereitet werden.

Zwei Straßenecken von der Kellnerstraße entfernt, im „Reformhaus“, ist das Zentrum der Halleschen Bürgerbewegungen. Dort sitzen unter anderem die Jusos, der Eine-Welt-Verein und die Vereinigte Linke. Zwei Antifa- Generationen, die Autonomen und die „Alten“, nutzen gemeinsam ein Büro. Die einen haben schon die Altnazis am eigenen Leibe erfahren, die anderen kennen die Jungnazis oft noch aus der Schule. „Angenehm, mit euch zusammenzuarbeiten“, stellt einer der Senioren vom Bund der Antifaschisten fest, und Gernot von der Antifaschistischen Aktion Halle lächelt zurück: „Wichtig ist, was uns verbindet, da brauchen wir Unterschiede und Differenzen nicht zu verwischen.“

Auch Gernot, den in der linken Hallenser Szene wohl jeder kennt, bleibt lieber anonym. Er schüttelt seine blonde Rastamähne, läßt die hausgemachte Pizza kalt werden und referiert die Geschichte der Halleschen Antifa. Als ihr Geburtsdatum gelte der 1. November 1989. Das „Reformhaus“ sei als Zusammenschluß oppositioneller Gruppen von Halle entstanden, „die damals noch SDP hießen und Demokratischer Aufbruch, eben alles, was es so gab. Wir waren von Anfang an dabei.“ So bekam die Gruppe, als das „Reformhaus“ der Bürgerbewegung zur Verfügung gestellt wurde, gleich eine feste Adresse. „Büro mit Telefon, das ist schon außergewöhnlich für eine Ost-Antifagruppe“, lobt der „von mir aus auch Autonome“ die Arbeitsbedingungen.

Fünfzig Leute seien sie zu Anfang gewesen, vorwiegend aus studentischen Kreisen. Für Gernot liegt diese Aufbruchszeit schon Ewigkeiten zurück: „Irgendwie begannen wir eben mit der Arbeit.“ Die einen setzten auf Theorie und Parteiarbeit, die anderen auf Aktion. Die einen gründeten die Antifaschistische Aktion Halle e.V. – einen Verein, „so richtig mit Anmeldung“ –, hockten im Büro und debattierten sich die Köpfe heiß, die anderen, „so eine Art autonome Antifa“, wollten mit der Vereinsmeierei nichts zu tun haben. „Bis wir uns gesagt haben: Wenn wir auf diese Weise weitermachen, werden wir kaum etwas von unseren politischen Ideen auch nur andeutungsweise durchsetzen können. Also müssen wir uns für die Öffentlichkeit zugänglich machen.“

Er habe „keine Probleme“, sich als „autonom“ zu bezeichnen, wenn damit gemeint sei, „unabhängig, meinetwegen auch militant“. Als Bürgerschreck will Gernot jedoch nicht gelten: „Wir wollen Leute von außen für unsere Aktionen und politischen Ziele interessieren und sie nicht mit irgendwelchem Klischee-Verhalten abschrecken. Wenn jemand Probleme hat, sollen da nicht nur anonyme Typen sein, an die er sich kaum rantraut, weil die ja so gefährlich aussehen. Er soll hierher kommen und mit uns reden können. Das ist der Sinn des Vereins.“

Halle/Saale habe eine, wie Gernot beiläufig meint, „ziemlich nazifreie Innenstadt“. Deshalb könne sich die autonome Antifa auch anderen Themen widmen: dem Paragraph 218, Bad Kleinen oder dem neue Innenminister. „Wir haben nicht, wie vielleicht in Dresden oder Rostock, den permanenten Fascho-Streß.“ Noch einen Unterschied zu anderen Städten macht Gernot für die Hallenser aus: „Gespräche mit Neonazis sind für uns kein Thema. Wir haben mit denen nichts zu reden.“ Deshalb sprengten die Antifaschisten auch die Vorführung des umstrittenen Dokumentarfilmes „Der Stau“. Nicht etwa, um Krawall zu machen, sondern um gegen „Verharmlosung“ der Neonazis von Halle zu protestieren. Der Film habe „zwar gezeigt, wie diese Typen eigentlich sind, nämlich ziemlich banal und dumm, aber da wird ein Trugschluß genährt: Weil die dumm sind, sollen sie nicht gefährlich sein. In dem Film sagt einer dieser Neonazis, daß er von Gewalt nichts hält. Der gleiche Mann sitzt inzwischen im Knast, weil er an dem Überfall auf die Disko in Obhausen beteiligt war, bei dem ein Besucher totgeschlagen wurde.“

1990/91 sah es so aus, als ob sich in der Stadt ein Zentrum der sogenannten „Mitteldeutschen Nationaldemokraten“ etabliere. In einem besetzten Haus gaben sich die Führungskader der deutschen Neonazi-Szene die Klinke in die Hand. Doch schon bald waren die kahlköpfigen Besetzer darüber zerstritten, ob Parteiarbeit gemacht werden oder besser alles unabhängig bleiben soll. Das vorläufige Ende der hochtrabenden Pläne markierte nach Ansicht der Hallenser Antifaschisten der Neonazi-Aufmarsch vom 9. November 1991. „Zur Sonntagsdemo in Dresden waren die Hallenser Neonazis groß im Bild“, erinnert sich ein Redakteur des monatlich erscheinenden Hallenser Szene-Magazins Subbotnik in LA. „Ihre eigene Demo kurz darauf war ein jämmerlicher Reinfall. Wir haben als Antifa eine Gegendemo organisiert, zu der mindestens 2.000 Leute gekommen waren, und die Faschos standen mit gerade mal 400 da. Der Zahlenvergleich klingt vielleicht blöd, doch für diese Leute ist das wichtig.“

Immerhin waren an diesem Tag mehrere Führungskader der GdNF, der verbotenen „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, eskortiert von militanten Skins, durch die Stadt marschiert. „Aber die haben wohl gemerkt: Das ist nicht unser Pflaster.“ Der alternative Journalist kann sich ein höhnisches Lächeln nicht verkneifen: „Es dauerte gar nicht lange, und das Nazi-Haus löste sich auf.“ Auch für den Hallenser Raum haben die Antifas registriert, was neulich sogar dem Verfassungsschutz aufgefallen ist: „Die Faschos gehen in die Satellitenstädte und in die Provinz, wo es kaum eine kritische Öffentlichkeit und schon gar keine organisierte Antifa gibt.“

Unerwartete Beihilfe für mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung bekam die Antifaschistische Aktion Halle neulich von der Polizei. Als Bundesverteidigungsminister Rühe auf dem Marktplatz öffentlich den neuen Jahrgang Bundeswehrsoldaten vereidigte, knüppelte die Polizei eine Gegendemo verschiedener Initiativen brutal nieder. Marcus beobachtet seitdem einen „gewissen Stimmungswandel“ in der Bevölkerung: „Leute, die uns sonst immer vorgeworfen haben, wir würden die Auseinandersetzung mit dem Staat provozieren, merken, daß man gar nicht viel dafür tun muß, um von der Polizei Prügel zu beziehen. Man muß nur friedlich seine Meinung sagen.“

Er träume, sagt einer der Jugendlichen im Antifa-Büro, „von einer gewaltlosen Gesellschaft“. Trotzdem werde er weiterhin, „in bestimmten Situationen“, die Pflastersteine nicht links liegenlassen. Da mag keiner widersprechen: „Eine neofaschistische Veranstaltung unmöglich zu machen“, dieses Ziel rechtfertige eben auch „linke Militanz“.

Statt sich zu prügeln, würde die Hallenser Antifa dennoch vor allem auf phantasievolle Aktionen setzen, beschreibt Marcus die sanftere Tour der Autonomen, wie sie kurz vor der faktischen Abschaffung des Asylrechts ausprobiert wurde. Die Antifa inszenierte ein „Kulinarisches Mensa-Asyl“. StudentInnen, die als „Wirtschaftsflüchtlinge“ in die Mensa kamen, mußten sich einer „Asylpolizei“ ausweisen und vor einem Schlagbaum den Fragebogen des „Amts für Identitätserfassung“ ausfüllen. Dann wurden die verdutzten „Scheinasylanten“ oder „Einreiser aus sicheren Drittstaaten“ gnadenlos abgewiesen.

„Wir haben vor unseren besetzten Häusern Straßenfeste gemacht, für alle Leute, einfach gezeigt, was wir unter linker Kultur verstehen“, erklärt Gernot seine Hoffnung auf mehr Interesse in der Stadt. „Da können die Faschos doch nie mithalten. Wir hatten ziemlich guten Einblick in deren besetztes Haus. Was dort nach Führerprinzip durchgezogen wurde, schreckte doch sogar viele Faschos ab. Das war voll militärisch, da wurde im Schlafraum auf Feldbetten geschlafen.“