Daumenkino: Die polnische Braut
Böse Stadt: kalt und abweisend ihre Mauern, teilnahmslos die Bewohner. Mit wehendem Mantel (unter dem sie völlig nackt ist) entflieht eine junge Frau dem Moloch, offen und wirr ihr Haar, blutig das Gesicht. Völlig entkräftet bricht sie auf einer saftigen Wiese inmitten von herabgefallenen Äpfeln zusammen, fällt einem verdutzten Bauernburschen direkt vor die Füße. Dieser Landwirt namens Henk, praktischerweise Junggeselle, trägt die Schöne in sein nebenliegendes Gehöft, säubert sie, legt sie zu Bett, all dies mit betonter Diskretion.
So glasklar diese Exposition, so vorhersehbar die sich anschließende Handlung: Denn selbstverständlich sind die beiden füreinander bestimmt.
Die allmähliche Annäherung der scheinbar so unterschiedlichen Menschen vollzieht sich parallel zu den Aktionen der Gegenpartei. Zuhälter nämlich, die die Polin Anna in den Westen gelockt haben, sind nicht gewillt, kampflos aufzustecken. Nach reichlich dreißig Minuten signalisiert uns Tschechows an der Wand hängende Flinte ein Ende mit Schrecken. Als die Luden immer penetranter ihr vermeintliches Eigentum zurückfordern, werden sie von Anna und Henk arbeitsteilig erschossen, zerhackt und verbuddelt. Ja, in den letzten Minuten gerät Karim Traïdias Film ausgesprochen trashig: Über der Leiche eines der Übeltäter taumeln die Liebenden plötzlich aufeinander zu, verfallen in einen heftigen, wenn auch kurzen körperlichen Rausch.
Was durch die ungeschickte Inszenierung wie eine geschmackliche Entgleisung wirkt (der Drehbuchautor Kees van der Hulst distanziert sich im Abspann von dieser Szene), verweist jedoch nur auf das eigentliche Gebrechen des Films: auf den unaufrichtigen Umgang mit Sexualität, vermischt mit vordergründiger gesellschaftspolitischer Argumentation.
Einem allein lebenden Mann rollt eine nackte Frau direkt ins Schlafzimmer, schutzbedürftig, exotisch, schön – was könnte ihm eigentlich Besseres widerfahren? Die geradlinige männliche Sexualfantasie verrät sich gerade durch die umgehende Entsexualisierung des Helden: Henk scheint gar nicht zu bemerken, dass es sich bei Anna um eine Frau handelt, er hat keinen Blick für ihre Reize; dem Zuschauer hingegen werden sie ausführlich vorgeführt. Voyeurismus findet zwar statt, wird aber permanent kaschiert.
Statt zum sinnlichen Kammerspiel gerät das Ganze zum polemischen Vehikel. Henk nämlich steckt mit seinem Hof in der Krise. Wenn er verbittert seine karge Scholle pflügt, mit Holzpantinen über die Tenne knallt oder an den Grabsteinen seiner Ahnen grübelt, bekommt der Film einen regelrecht völkischen Drall.Claus Löser
„Die polnische Braut“. Regie: Karim Traïdia. Niederlande 1998, 96 Min.
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