■ Die neue SPD: Von der AL gelernt
Als Rot-Grün 1989 in West-Berlin experimentieren durfte, gehörten die Unwägbarkeiten der Alternativen Liste zur Mitgift der damals höchst fragilen Koalition. Doch die Zeiten haben sich geändert: Aus der einst streitlustigen AL wurden die etwas langweiligeren, dafür aber um so berechenbareren Bündnisgrünen. Die SPD hingegen ruht sich aus an der Brust der CDU, schielt aus dem sicheren Schatten der Großen Koalition zwar hin und wieder verstohlen nach links, trottet aber ansonsten mehr mit als gegen Diepgen dem Wahltermin entgegen. Sollte am 22. Oktober eine hauchdünne Mehrheit für Rot-Grün zustande kommen, lassen nicht frühere Birkenstöckler, sondern lederbesohlte Genossen die Koalition scheitern. Das neue Risiko, es lauert heutzutage in der Mitte der SPD. Vor allem im Osten orientiert man sich lieber am Bewährten. Dort will mancher sein Nervenkostüm lieber an der Seite der CDU schonen, als sich mit den Grünen zu streiten. Klammheimlich unterstützt werden sie von jenen Westberliner Sozialdemokraten, denen das grüne Milieu schon immer zuwider war. Vor diesem Hintergrund wird die Ankündigung der SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer verständlich, nur mit einer stabilen Mehrheit Rot-Grün zu wagen. Stahmers Vorsichtigkeit mag mutlos klingen, ist aber wohl dennoch realistisch. Denn sollte Rot-Grün nur mit knapper Mehrheit möglich sein, verheißt ein prüfender Blick auf die Personalliste einer künftigen SPD-Fraktion etwas, das den Genossen die letzten fünf Jahre abging und was sie noch 1990 an der AL verzweifeln ließ: Unberechenbarkeit. Severin Weiland
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