: Die langsamen Mühlen der Justiz arbeiten für Jung-Nazis
KRIMINALITÄT Vier junge Ausländerfeinde stehen drei Jahre nach Angriff auf zwei Griechen vor Gericht
ZEUGE UND OPFER ANTONIUS P.
VON CAROLIN KÜTER
Rund 30 Leute sitzen vor dem Gerichtssaal und warten. Zwei pellen sich ein Ei, eine isst ein Butterbrot, andere lösen Sudoku. Um 9 Uhr sollte der Prozess am Montag losgehen: Es geht um vier junge Männer, die zwei Griechen verprügelt haben. Um halb 11 ist es so weit: Die Angeklagten, Angehörigen, Freunde und Anwälte – sowie die Opfer von damals – betreten den Saal des Amtsgerichts Tiergarten.
Der Staatsanwalt liest die Akte vor: Gegen 2 Uhr am 27. September 2007 sollen die vier Jugendlichen an einer Tankstelle am Karower Damm in Blankenburg die beiden griechischen Staatsbürger angegriffen und ausländerfeindliche Parolen gerufen haben. Ihnen wird „gefährliche Körperverletzung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ vorgeworfen. Zehn oder mehr Leute waren beteiligt. Drei wurden schon verurteilt. „Na, dann erzählen Sie mal“, fordert der Richter die Angeklagten auf.
„Ich bin ausgerastet“, erklärt Marcel F. Er und seine Freunde seien betrunken gewesen und wollten an der Tankstelle Bier kaufen. Einer habe eine Flasche oder Ähnliches auf das Auto der tankenden Griechen geworfen. Der Beifahrer sei ausgestiegen, er und der Werfer hätten angefangen sich zu prügeln. F. und seine Freunde seien dazugekommen, ebenso der Fahrer.
Die beiden Griechen sagen aus, sie hätten Hämatome, Schürfwunden und ausgeschlagene Zähne davongetragen. Eine Dolmetscherin übersetzt. „Das habe ich doch schon alles einmal erzählt“, antwortet der Zeuge Antonius P. auf die Fragen des Richters. Sich an diese Nacht zu erinnern sei ihm unangenehm. Beide Zeugen verlassen bald nach ihrer Aussage die Verhandlung.
Daran, dass es drei Jahre bis zur Verhandlung gedauert hat, ist laut Anwälten und Richter die Staatsanwaltschaft schuld. Die Zuständigkeit für den Fall habe ständig gewechselt. Ein Teil der Täter war damals noch minderjährig. Drei der Angeklagten haben Eintragungen im Erziehungsregister wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung oder Diebstahl. Ihre Anwälte schließen Ausländerfeindlichkeit als Tatmotiv aus.
Nach fast sechs Stunden kommt der Richter jedoch zu dem Schluss: „Dass der Angriff damit zu tun hatte, dass es sich um griechische Staatsangehörige handelte, liegt auf der Hand.“ Er verurteilt Marcel F. zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit und verlängert die Bewährungsfrist des zweiten Angeklagten um 18 Monate auf zwei Jahre. Die anderen beiden Angeklagten bekommen insgesamt 90 Stunden gemeinnützige Arbeit, einer von ihnen zusätzlich 125 Euro Geldstrafe. Alle müssen den Griechen Schmerzensgeld zahlen, das von dem Entschädigungsfonds, für den sie arbeiten, übernommen wird. Nach über drei Jahren sei es schwer zu rekonstruieren, wer zu welchen Teilen an der Tat beteiligt war. Zudem lägen die Vorstrafen der Täter heute teilweise zu lange zurück, um noch strafrechtlich gelten zu können, so der Richter. „Sechs Monate nach der Tat wäre das Urteil anders ausgefallen.“ CAROLIN KÜTER