: Die lästigen Telefonierer
REISERATGEBER „Leichter Reisen“, Philipp Tinglers Benimmhandbuch für unterwegs, glänzt durch selbstironischen, leichthändigen Witz und völlig neue Ideen als Antwort auf den Klimawandel
PHILIPP TINGLER
VON BRIGITTE WERNEBURG
Wer würde sich nicht mit dem missmutigen Herrn in der Reihe hinter dem Counter identifizieren? Schließlich checkt vor ihm ein fröhliches Pärchen ein – der Koffer liegt schon auf dem Band –, das sich offensichtlich nicht bemüßigt fühlt, endlich mal hinzumachen und die richtigen Papiere vorzulegen.
Wieder einmal hat der Züricher Illustrator Daniel Müller ein Benimmhandbuch von Philipp Tingler aufs Vortrefflichste illustriert. „Leichter Reisen“ ist ein „Ratgeber für unterwegs“. Und unterwegs ist man mit Müllers Zeichnungen sofort, einfach weil uns der Künstler sämtliche Plagen des Reisens aufs Schönste vor Augen führt. Es ist also völlig in Ordnung und wird hiermit ausdrücklich empfohlen, das mit Register 230 Seiten starke Handbuch zunächst nur der Bilder wegen durchzublättern.
Ansonsten verhält es sich mit Tinglers Reiseratgeber wie schon mit seinem „Handbuch für Gesellschaft und Umgangsformen“. Wer glasklare Regeln und Empfehlungen erwartet, wird enttäuscht. Der Leser oder die Leserin bekommt mehr: Lebenshilfe. Denn mit seinen ganz und gar subjektiven Reiseerfahrungen macht ihm Philipp Tingler schnell klar, dass man auch und gerade als Reisender eben auch nur Mensch ist. Man soll also seine Idiosynkrasien pflegen. Zu glauben, Reisen erfordere größere Toleranz, als man sie für gewöhnlich aufbringt, ist falsch. Wer zu früh über Dinge hinwegsieht, die er sonst keinesfalls ignoriert, dem platzt genau dann der Kragen, wenn es entgegen der Gewohnheit ratsam wäre, wirklich einmal über sie hinwegzusehen. Zum Beispiel über die lästigen Telefonierer. Nur im eigenen Auto oder im Flugzeug hat man vor ihnen endlich mal Ruhe. „Deshalb bin ich auch dafür, dass man das Telefonverbot an Bord aufrechterhält, selbst wenn die Zulassung von Mobiltelefonen technisch möglich werden sollte (und das ist absehbar)“, schreibt Tingler und fragt sich, ob nicht die „Einführung einer drastischen Steuer auf Mobiltelefonate, deren Ertrag zur Abwendung der Klimakatastrophe eingesetzt würde, ein viel effektivere Lenkungsabgabe wäre als irgendeine CO2-Abgabe auf Flugbenzin“.
Neben Kapiteln zu Fragen, wie man leicht packt, sich auf Flughäfen, im Flugzeug, Zug, Taxi etc. benimmt und worauf bei Mietwagen zu achten ist, überzeugt vor allem „Das ABC des Unterwegsseins“. „W… wie Wandern“ verlangt als Erstes: „Nimm nichts mit als deine Eindrücke – hinterlasse nichts als deine Fußspuren.“ Gibt aber gleichzeitig auch zu bedenken, dass Wandern nicht blind macht, auch wenn man das glauben könnte, so wie die Leute oft angezogen sind. Ist es überflüssig, zu erwähnen, dass „silberne Wolfstatzen auf apfelsinenfarbenem Puschelgrund die Rehkitze verschrecken, und die werden dann tollwütig“? – Wo Jack Wolfskin für taz-affine Menschen aus bekannten Gründen glücklicherweise eh No-Go ist? Ansonsten gilt: „Jeder kann wandern. Voraussetzung ist bloß eine gewisse Beweglichkeit. Genau wie beim guten Benehmen. Auch hier sollte man leicht und ungezwungen, doch gleichzeitig vorausschauend und umsichtig vorwärtsschreiten.“ Damit wäre das Geheimnis leichteren Reisens wohl endlich gelüftet. Zumal der bei Tingler absolut verpönte Trolley beim Wandern ein Ding der Unmöglichkeit ist.
■ Philipp Tingler: „Leichter Reisen. Benimmhandbuch und Ratgeber für Unterwegs“. Kain & Aber Verlag, Zürich 2011, 232 S., 16,90 Euro