: Die lachende Melancholikerin
Seit 1962 singt Françoise Hardy ihre fragilen Chansons. Jetzt ist es wieder einmal so weit. Das neue Album der ewig Skeptischen heißt „Tant de belles choses“ – so viel Schönes. Ein Rendezvous mit Frankreichs nach wie vor leisester Sängerin
VON REINHARD KRAUSE
Françoise Hardy lächelt ein wenig unsicher, wenn sie den Interviewer anschaut. Was auch daran liegen mag, dass sie deutsch spricht: „Ich weiß nicht, wie ich meinen Erfolg erklären kann. Ich habe viel Glück gehabt.“ – „Was haben Sie denn in Ihren Chansons zu sagen, auszudrücken?“ – „Ich drücke meine Gefühle aus.“ – „Was sind das für Gefühle?“ – „Ich weiß nicht, Einsamkeit, Liebe, all das …“ – „Hat der Erfolg Sie glücklich gemacht?“ – Ein irritierter Blick. „Vielleicht …“ Ein verschämtes Lachen. Ob sich dahinter leiser Spott verbirgt? „Sie haben keine Angst vor der Zukunft?“ – „Doch. Doch, man weiß nie, was passieren kann.“ – „Und diese Unruhe und Lebensangst ist auch ein Teil der Gefühle, die Sie für die jungen Leute von heute ausdrücken können, nicht?“ Sehr zart und vage haucht Hardy ihre Antwort: „Ja …“
Diese bestrickend schüchterne Françoise Hardy habe ich in der Tasche, ganz wörtlich, auf DVD gebrannt: Es ist ein Ausschnitt aus Georg Stefan Trollers berühmter Fernsehreihe „Pariser Journal“, aufgenommen im Jahr 1963, wenige Monate nach Hardys rasantem Aufstieg zum Idol der génération yeah yeah. Neunzehn Jahre alt ist sie zum Zeitpunkt der Aufnahme und ihre Unsicherheit bestens nachvollziehbar. Der Eindruck wird noch dadurch unterstrichen, dass das Gespräch offenbar im Jugendzimmer der Sängerin gefilmt wurde; mehrfach ist die Kinderzimmertapete im Bild. Zu diesem Zeitpunkt hat Françoise Hardy angeblich bereits mehr Schallplatten verkauft als die Callas. In diesen wenigen Sekunden Film ist schon alles vorhanden, was Hardys Wirkung bis heute ausmacht: der spröde Charme, die Zurückhaltung, die ewige Skepsis gegenüber dem eigenen Erfolg. Vielleicht ist dieser Schnipsel ein guter Start für ein Interview mit Frankreichs leisester Sängerin.
Aber nein! Aus dem intimen Einstieg wird nichts, zu groß ist derzeit wieder der Erfolg von Madame Hardy. Das Einzelinterview in einem Hamburger Hotel ist von ihrem deutschen Management zu einem Gruppentermin mit zwei Kollegen umgewidmet worden. Zu vehement sei die Nachfrage der Medien, Pardon! Also bleibt die schüchterne Sängerin in der Tasche. Schade drum!
Schüchtern allerdings wirkt die Françoise Hardy von heute gar nicht. 61 ist sie gerade geworden, beängstigend schlank ist sie, das Haar nicht mehr kastanienbraun, auch nicht mehr grau meliert, sondern strahlend weiß. Die Frisur mit dem tiefen Pony ist dafür noch dieselbe wie seit ihrem ersten „ultimativ letzten“ Album „Quelqu’un qui s’en va“ (Jemand geht) – und das erschien vor 23 Jahren! Hardy ist die Konstanz in Person: Ihre Stimme klingt so unverbraucht wie vor vier Dekaden, noch immer handeln ihre Texte von „Einsamkeit, Liebe, alldem“. Deutsch allerdings spricht sie im Interview nur noch selten; kurze, vorsichtige Sätze wie: „Nicht so schlimm!“, oder: „Meine Stimme ist wie ich: fragile.“ Und meist lacht sie dann auf eine Art, dass man ihre nicht ganz ebenmäßigen Zähne sieht und plötzlich wieder die junge, ein wenig gehemmte Frau von damals erkennt.
Überhaupt: Für eine berufsmäßige Melancholikerin lacht Françoise Hardy erfreulich oft. Etwa wenn sie Sachen sagt wie diese: „Wenn eine Melodie mir gefallen soll, muss sie etwas Trauriges haben. Erst neulich habe ich Nigel Kennedy erlebt, wie er aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ den letzten Satz aus dem „Sommer“ gespielt hat. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass mich eine Melodie umgehauen hat, die nicht melancholisch war! Und wissen Sie was: Ich fürchte, es wird auch das letzte Mal gewesen sein.“
„Tant de belles choses“ (So viel Schönes; Virgin) heißt das neue Album, das ab Montag auch in Deutschland erhältlich ist; es ist schätzungsweise das zwanzigste in den 43 Jahren ihrer Karriere, und es enthält tatsächlich fast nur Schönes. In einer französischen Rezension hieß es, diese Schallplatte sei das Beste von Françoise Hardy, ohne ein Best of zu sein. Allerdings sollte man den Titelsong mit seinem unseligen Solo auf der E-Gitarre überspringen.
Gerade dieser Titel aber liegt der Hardy besonders am Herzen: „Für ‚Tant de belles choses‘ hatte ich eine Produktion à la Jean-Jacques Goldman im Kopf. Die erste Fassung gefiel mir aber überhaupt nicht. Für mich ist es der einzige radiotaugliche Song, und ich finde, bei so einem Titel muss man den Weg auch zu Ende gehen.“ Mit aufjaulender Gitarre, nun ja. Zum Glück für alle Mitmelancholiker befand die Sängerin keinen weiteren Titel für solcherart hitverdächtig. Und Gott sei Dank findet sich die erste Version als „hidden track“ auch noch auf dem Album.
Mit eigenwilligen, bisweilen verblüffenden Äußerungen muss man bei der Hardy immer rechnen: entschieden in der Meinung und gerne auch mal hyperkritisch gegen sich selbst. Erst kürzlich erzählte sie einem französischen Journalisten, dass sie keine Gesamtedition ihrer Chansons wünsche. „Alle Platten bis 1965, als ich für die Aufnahmen dann nach England ging, würde ich am liebsten für immer verschwinden lassen. Ich singe schlecht, die Arrangements sind nicht gut, und die Titel sind geradezu lächerlich!“
Ihre zahlreichen Fans sehen das natürlich ganz anders und haben ihr gern auch die Zeiten nachgesehen, als sie das Singen ein wenig lustlos und wie einen Nebenjob betrieb. Héléna Noguerra etwa, selbst Sängerin, wurde unlängst gefragt, welchen Titel sie denn gerne geschrieben hätte – und sie antwortete: „Jedes Lied, das Françoise Hardy gesungen hat. Da ist alles drin: Liebe, Schmerz, Einsamkeit und … Würde.“ Na bitte, Herr Troller! Madame Hardy dürfte bei diesem Zitat indes nur aufstöhnen und sagen, dass ihr erster und bis heute größter Hit – den sie übrigens selbst geschrieben hat, aber nennen wir bloß nicht seinen Titel! – doch nun wirklich ziemlicher Mist gewesen sei.
Mit „Tant de belles choses“ allerdings ist sie sehr zufrieden. „Ich freue mich, dass die Platte in Frankreich sehr gelobt worden ist und sich gut verkauft. Aber persönlich brauche ich die äußere Anerkennung gar nicht. Ich weiß, was an einer Platte schlecht ist und was gelungen. Mir ist ein Album lieber, auf dem ich alle Lieder mag und das sich schlecht verkauft, als eins, das ein Erfolg ist, aber im Grunde nichts taugt. ‚Le danger‘ vor acht Jahren war so ein Album, auf das ich sehr stolz bin und das kein Publikum fand. ‚Message personnel‘ dagegen war ein großer Erfolg, obwohl es ein sehr schlechtes Album ist. Da gab es nur zwei tolle Stücke drauf!“
Wenn das France Gall wüsste, die Witwe von Michel Berger! „Message personnel“, 1973 unter Bergers Ägide eingespielt und sogar für Hardy-Verhältnisse von einer bemerkenswert abgeklärten Verträumtheit, ist nun ausgerechnet ein erklärtes Lieblingsalbum vieler Fans. Ein Kritiker von der Süddeutschen Zeitung schrieb einmal, dies sei die einzige Musik, vor der er auf die Knie gehe.
Auf die frühen Jahre ihrer Karriere spricht man Françoise Hardy also besser gar nicht erst an. Die Kollegen in Hamburg allerdings sind da ganz arglos. Ob sie denn ihre in den Sechzigerjahren auf Deutsch gesungenen Titel heute noch möge, wird gefragt. „Non, non! Non, non!“, entfährt es der Hardy. „Bis auf zwei, drei Ausnahmen. Die Mehrzahl war wirklich grauenhaft. Mein absoluter Albtraum hieß ‚Ich steige dir aufs Dach‘. Ich war damals noch sehr jung und traute mich nicht, Nein zu sagen. Meine Plattenfirma wollte, dass ich gewisse Lieder für den deutschen Markt und für bestimmte Fernsehsendungen aufnahm. In Saarbrücken gab es diesen Regisseur, Truck Branss, der mit mir ein ganzes Porträt plante und die Stücke dafür mehr oder weniger selbst ausgesucht hatte. Okay, es gab Lieder, die waren nicht so übel, ‚Frag den Abendwind‘ oder ‚Er war wie du‘, aber da gab es eben auch die anderen. Wenn ich die Sendung machen wollte, musste ich diese Lieder singen.“
Das Truck-Branss-Porträt mit seinen spektakulären Schwarz-weiß-Kontrasten! Davon sind auch zwei Titel auf der mitgebrachten DVD. In der einen Aufnahme schreitet la Hardy wie eine düster umwölkte Ophelia durch eine kohlrabenschwarze Fabrikruine, im Hintergrund riesige weiße Texttafeln mit der deutschen Übersetzung ihres Liedes „Pourtant tu m’aimes“ (Trotzdem liebst du mich). Ein kurioser Klassiker.
Und wie steht es mit dem italienischen Repertoire? „Nicht so schlimm! Die waren zum Teil gar nicht schlecht. ‚Parlami di te‘ fand ich nicht so toll, aber die B-Seite war wunderbar, ‚Ci sono cose‘. Ich hab das Lied auch auf Französisch gesungen, ‚Il est des choses‘. Der letzte Titel, den ich auf Italienisch aufgenommen habe, war auch sehr schön: ‚Lungo il mare‘.“
Wenn wir schon dabei sind, können wir auch gleich noch die „synthetische“ Hardy-Epoche abhandeln, als Gabriel Yared sie zwischen 1975 und 1982 gelegentlich sogar vor den französischen Disko-Funk-Karren spannte. „Haben Sie heute wieder mehr Kontrolle als auf den fünf Alben mit Gabriel Yared?“ – „Das war ja er, der alles kontrollieren wollte, nicht ich. Yared hat sehr viel Autorität. Es gibt da Sachen, die ich sehr bedaure, Lieder, die ich schon damals lächerlich fand und nicht aufnehmen wollte, aber na ja – pfft –, ich musste sie halt aufnehmen. Ihm tut vieles heute übrigens auch Leid. Und ganz so schlimm wie die deutschen Sachen war es auch nicht. Für zwei, drei wunderbare Lieder musste ich andere aufnehmen, die weniger wunderbar waren. Aber eins meiner schönsten Lieder ist auch von Gabriel Yared und Michel Jonasz, ‚Que tu m’enterres‘.“
Seltsam, dieses Muster der autoritären Männer. Hat nicht Françoise Hardy selbst einmal gesagt, sie habe einen Hang zu frustrierenden Menschen? „Na ja, ich bin ein bisschen masochistisch.“ Kein Augenblick des Zögerns, unfassbar. „Und wenn man ein bisschen maso ist, ziehen einen fatalerweise nicht nur Menschen an, die einen frustrieren, sondern man legt auch noch exakt das Verhalten an den Tag, das dazu führt, dass sie einen frustrieren. Ein inadäquates, unterwürfiges Verhalten, diese Servilität, weckt sadistische Impulse. Ich merke das ja selbst, wenn ich auf Menschen treffe, die vor mir auf dem Bauch liegen. Die möchte ich am liebsten rausschmeißen, so nerven mich die. Und weil ich ein bisschen maso bin, habe ich auch die Tendenz, mich kleiner zu machen. Aber ich verstehe die Ungeduld gegenüber so einem Verhalten vollkommen.“
Dies wäre eine schöne Stelle, um nachzuhaken, ob das Leiden am Anderen nicht auch eine unerschöpfliche Inspirationsquelle ist. Immerhin hat Hardy kürzlich der Libération erzählt, sie wohne Seite an Seite mit jemand, der fast stumm sei. Gemeint ist Hardys Ehemann Jacques Dutronc. Und immerhin heißt es in einem ihrer neuen Texte: „Les gens qui parlent, ne me disent rien“ – Menschen, die sprechen, sagen mir nichts. Doch das Bekenntnis „Je suis un peu maso“ scheint dem Kollegen wohl etwas brenzlig, schnell fragt er nach Hardys Verhältnis zu Udo Jürgens, wozu ihr aber nicht viel einfällt.
Klatsch und Tratsch wären bei Françoise Hardy allerdings auch nicht zu erwarten. Umso verblüffender die Nachricht, dass in Kürze ihre Autobiografie erscheinen soll. Kann das überhaupt klappen: diskrete Memoiren? Bei diesem Thema geht sie nun allerdings doch an die Decke. „Diese Biografien nerven mich wirklich. Ich finde das geradezu skandalös: Plötzlich entschließt sich jemand, den man kaum oder gar nicht kennt, ein Buch über einen zu schreiben – und er hat auch noch das Recht dazu! In Frankreich gab es eine nicht autorisierte Biografie über mich und meinen Mann und eine Biografie nur über Jacques. Mein Mann wäre zwar selbst nie auf den Gedanken gekommen, aber immerhin, bei diesem Buch wurde er gefragt, ich wurde gefragt und alle Menschen um ihn herum auch. Eine gut dokumentierte, extrem umfassende und intelligente Sache. Dieser Autor hat zwei Jahre daran gearbeitet. Der andere hat nur abgeschrieben, was anderswo schon stand, dafür hat er zwei Monate gebraucht. Dauernd will jemand so etwas mit einem machen!“
Pardon, aber es war von einer Autobiografie die Rede! „Aber meine Texte sind meine Autobiografie! Und so introvertiert, wie ich bin, bin ich doch auch völlig uninteressant.“ Jetzt lacht sie wieder. „Abgesehen von den Plattenaufnahmen und Promo-Auftritten im Fernsehen führe ich ein Leben von bestürzender Banalität. Bei mir spielt sich alles im Inneren ab. Wochenlang liege ich auf dem Bett und lese. Oder mein Mann! Der liegt monatelang auf dem Bett und sieht fern. Vor allem diese deutsche Krimiserie, wie heißt die doch gleich? Derrick! Er ist ganz verrückt danach. Derrick beruhigt ihn!“ Große Heiterkeit.
Nun noch eine Frage zum Filius, Thomas Dutronc, der die Hälfte der Titel auf „Tant de belles choses“ produziert und Gitarre gespielt hat. Wie war die Zusammenarbeit? Gab es da eine besondere Spannung im Studio? „Nein, nein. Wissen Sie, ich bin jemand, der viele Zweifel hat und unsicher ist. Das habe ich leider meinem Sohn vererbt. Er zweifelt auch dauernd – und wenn man zu zweit im Studio ist und nicht weiterweiß, ist das nicht so gut für die Energie. Ich hab ihm gesagt, dass wir gern unsicher sein können – Zweifel sind ja etwas Gutes –, aber dass wir es uns besser nicht anmerken lassen.“
Nach ein paar Singles mit Stars wie Blur oder Iggy Popp – gibt es da jemanden, mit dem sie besonders gerne zusammenarbeiten möchte? „Es reicht doch nicht, jemand zu bewundern. Es muss einen Austausch geben. Fifty-fifty. Ich bin auf gute Melodien angewiesen, zu denen ich meine Texte schreibe. Deshalb arbeite ich oft mit jungen Künstlern wie Perry Blake zusammen, weil ich weiß, ich habe etwas davon – und der andere auch. Ich kann nicht Muse oder Coldplay anrufen und sagen: ‚Na ja, ich mag eure Lieder, schreibt mir doch mal einen Song.‘ Was hätten die davon? Gar nichts. Ich schon. Über so etwas muss man sich Gedanken machen, bevor man jemand um etwas bittet.“ Da ist sie wieder, die Bescheidenheit, die sie schlicht Realismus nennt.
Zum Abschluss noch eine Frage, auf den Elfmeterpunkt gelegt: „Wie kommt es, dass Ihre Simme nach über vierzig Jahren Karriere noch immer so intakt ist?“ Und tatsächlich, Hardy schießt sofort: „Weil ich sie so selten gebrauche!“ Sagt’s und lacht noch einmal ihr schönstes Françoise-Hardy-Lachen. Dann schiebt sie süffisant nach: „Und außerdem habe ich einen sehr guten Toningenieur.“
Der Kollege will als Letztes wissen, was es denn mit Bob Dylans Bewunderung für sie auf sich hatte. Ach, diese alte Geschichte, sagt sie. Nun gut: Dylan sei Mitte der Sechzigerjahre für ein Konzert nach Paris gekommen und habe im Vorfeld erklärt, er wolle Brigitte Bardot und eben sie, Françoise Hardy, treffen. Bardot habe abgewinkt, sie aber sei in das Konzert gegangen, das übrigens schauderhaft schlecht gewesen sei. Krank habe er ausgesehen, „tout jaune“ –gelb. In der Pause habe er ihr ausrichten lassen, er würde das Konzert nur fortsetzen, wenn sie ihn in der Garderobe besuche. Das habe sie dann auch getan und weiter sei nichts passiert. Voilà tout. „Und?“, will der Kollege noch wissen, „die zweite Hälfte des Konzerts war dann richtig gut?“ – „Ach was“, sagt die Hardy ungerührt, „die war genauso schlecht wie die erste.“
REINHARD KRAUSE, geboren 1961, kaufte vor dreißig Jahren seine erste Hardy-LP