taz-Serie: Rot-Grün - (K)eine Perspektive für Hamburg?: Die „kleinen Leute“ und die Angst der SPD vor sich selbst
■ Jürgen Hoffmann, Professor für Politische Soziologie an der Hochschule für Wirtschaft und Politik
Wie ernst nehmen die rechten Sozialdemokraten ihr eigenes Programm, wenn sie Angst vor einem rot-grünen Bündnis haben? Schließlich wollen die Grünen/GAL nur das konkreter und zugespitzter umsetzen, was als hehres Versprechen längst in den SPD-Programmen steht: ein ökologisch und sozial orientiertes Wirtschaften. Und solch ein Wirtschaften steht immer gegen eine freigesetzte Wachstumslogik kapitalistischen Zuschnitts, verändert diese Logik, wie auch seinerzeit die Entwicklung des Sozialstaates dies tat. Die Schmidts und Voscheraus in ihrer Sorge um „die Wirtschaft“ argumentieren heute gegen Rot-Grün und eine ökologische Wirtschaftspolitik in denselben Rastern, in denen früher sozialstaatliche Forderungen von Seiten der Wirtschaft bekämpft wurden.
Dann wird auch noch das Argument von den „kleinen Leuten“ gegen eine mögliche rot-grüne Koalition bemüht. Die „kleinen Leute“, die unser Erster Bürgermeister eigentümlicherweise erst im Wahlkampf kennengelernt hat, sind jene „kleinen Leute“, die erst über die jahrelang betriebene unkritische Wachstums- und Betonpolitik produziert wurden: Von der Politik in ihren bedrohten Lebenswelten allein gelassen, verunsichert, ohne Möglichkeiten, sich gegen die „Sachzwänge“ von Wirtschaft, Bürokratie und Wohnungsgesellschaften zu wehren, und ohne Möglichkeiten, zu lernen, sich selbst zu wehren. Und wenn man selbst keine Erfahrungen mehr in solidarischen Lebenswelten verarbeiten kann, sich nicht mehr selbst wehren kann, dann bleibt nur noch die Angst, das Vorurteil und die Aggressivität gegen schnell gefundene Sündenböcke. Und es bleibt der Ruf nach dem „starken Mann“. Die Welt als Flut-Katastrophen-Inszenierung - und da kennt sich Altbundeskanzler Schmidt aus.
Viele über den Tellerrand kurzfristiger Besitzstandswahrung hinausreichende ökonomische und soziale Analysen sprechen für das wirtschafts- und sozialpolitische Konzept der Grünen/GAL (soweit dies aus einzelnen Statements deutlich wird): Eine Regionalpolitik, die den Standort Hamburg für moderne, flexible und vernetzte Produktionen attraktiv machen will, wird sich von dem Fixstern des Geld, Flächen und Umwelt verschlingenden Mammutghafens verabschieden müssen. Der ist längst zur Containerschleuse geworden und beschäftigt nur noch einen geringen Teil der Erwerbstätigen in Hamburg. Die Politik müßte eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur jenseits des sich selbst blockierenden Autoverkehrs bereitstellen und Standorte und Vernetzungsmöglichkeiten von Kleingewerbe, Großbetrieben und Wissenschaft, von Wohnen und Freizeit gewährleisten.
Und dies alles - soweit überhaupt kommunal umsetzbar - wird eben nicht ohne eine ökologiepolitische Richtungsänderung und ohne stabile soziale Strukturen gehen. Die soziale und ökonomische Umwelt moderner Produktionskonzepte ist mit der herkömmlichen Wachstumspolitik und ihren destabilisierenden Effekten nicht zu erreichen.
Soziale Stabilität heißt heute zugleich, daß der Sozialstaat, die Sozialverwaltung und der öffentliche Dienst überhaupt reformiert und produktiver gemacht werden müssen, indem sie dezentralisiert und „nach unten“ geöffnet werden. Und angesichts der Position von wichtigen Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (ÖTV, GEW) bietet sich hier sogar die vielleicht einmalige Chance, die traditionelle Blockade dieser Reform durch das, was man wohl gemeinhin „Filz“ nennt, zu durchbrechen. Die Politik einer rot-grünen Koalition, wenn sie ernst genommen wird, könnte das „mehr Demokratie wagen“ dort wirklich angehen, wo dies kommunal möglich ist. Dies wäre kein Königsweg, aber doch eine notwendige Bedingung für eine neue Solidarität in der Gesellschaft der Hansestadt.
Wenn die Gesellschaft und die Politik keine Orte selbstpraktizierter Demokratie und Solidarität mehr bieten und statt dessen im Namen der ökonomischen Wachstumslogik nur noch Opfer produzieren, die „ökonomischen Leistungsträger“ dagegen schonen, dann bleiben nur noch die nackten Vorurteile gegen jene übrig, die als Sündenböcke herhalten müsssen. Dort dann jene „kleinen Leute“ populistisch abzuholen, dazu scheinen sich jene Sozialdemokraten gezwungen zu sehen, die in ihrer politischen Sozialisation Disziplin und staatliche Autorität positiv schätzen gelernt haben. Nur: Das kann die Rechte allemal besser!
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