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Archiv-Artikel

Die jungen Pragmatiker

Die Snowboard-Szene hat sich mit den Olympischen Winterspielen arrangiert

VON TOBIAS MOORSTEDT

Terje Haakonsen würde das Olympiastadion in Turin an dreizehnter Stelle betreten, zwischen den Fahnenträgern von Bulgarien und Kanada. Er wäre ein würdiger Fahnenträger für die Eröffnungsfeier. Der Norweger gilt als einer der besten Snowboarder aller Zeiten, sein Name ist Legende. Aber, erzählte er vor kurzem in einem Interview, „ich würde niemals die Flagge von Norwegen tragen“. Auf seiner Fahne befände sich ein blauer Pfeil, der sich zu einem B krümmt – das Symbol der Snowboard-Firma Burton: „Ich identifiziere mich mehr mit meinem Sponsor als mit meinem Land. Ihm habe ich alles zu verdanken.“

Haakonsen macht nicht mit bei den Spielen. Der 31-Jährige misstraut dem „ganzen Trubel“. Mittlerweile steht er mit dieser Einstellung ziemlich allein da in der Szene. „Die ewige Frage ‚Wer sind die Guten, wer die Bösen‘ ist doch langweilig“, meint etwa der Münchner Vinzenz Lüps, der in der olympischen Halfpipe an der Start geht. „Olympia ist ein tolles Ereignis. Es liegt eine besondere Spannung in der Luft.“ Dementsprechend hat sich das deutsche Freestyle-Team auch vorbereitet. Drei Wochen lang mietete Bundestrainer Alex Rottmann eine Halfpipe im Skigebiet Seegrube bei Innsbruck. Das Trainingslager war auch eine Art Olympia-Simulation: mit Security-Leuten, Werbebannern und Kameramännern wurde alles wettkampfmäßig gestaltet.

Den finanziellen und organisatorischen Aufwand darf man getrost als Indikator für den Stellenwert nehmen, den die Olympischen Spiele in der Snowboard-Szene besitzen. „Das ist unser Saisonhöhepunkt“, sagt Rottmann. Zwölf Fahrer schickt der Snowboard-Verband Deutschland (SVD) in den Disziplinen Halfpipe, Boardercross und Parallel-Riesenslalom nach Turin. Der Freestyler Jan Michaelis und die Boardercross-Fahrerin Amelie Gruber gelten als Mitfavoriten in ihren Disziplinen. Am Sonntag starten die Snowboard-Vergleiche mit dem Halfpipe-Wettbewerb der Männer (Finale ab 14 Uhr).

Snowboarden in Turin 2006 ist olympischer Alltag. Die Beziehung zwischen der Snowboard-Szene und dem IOC aber ist eine Geschichte voller Konflikte. Bei der olympischen Premiere 1998 in Nagano boykottierten die Topstars um Haakonsen den Wettbewerb. Die Avantgarde fürchtete sich vor den grauen Männern des IOC. Der Konflikt hatte aber auch sportpolitische Hintergründe: Da die Snowboarder für eine Olympiaqualifikation Weltcuppunkte des Ski-Weltverbands FIS benötigten, sahen sie den unabhängigen Athletenverband ISF zu Gunsten des Winter-Establishments an den Rand gedrängt. Garniert wurde die brisante Situation von dem vermeintlichen Dopingskandal des Goldmedaillengewinners Ross Rebagliati, der seine positiven Marihuana-Blutwerte durch „Passivrauchen auf einer Party“ entschuldigte. Der Österreicher Martin Freinademetz hingegen musste schon nach wenigen Tagen die Heimreise antreten: Er hatte eine Dreiliter-Bierdose durch die Hotellobby gekickt und dabei den Computer an der Rezeption zerstört. Hinterher beschwerte er sich, er sei behandelt worden wie „ein dummer Schüler im Internat: Um elf war Bettruhe, wer danach noch erwischt wurde, bekam Ärger.“

Für die deutschen Halfpipe-Profis Christophe Schmidt und Vinzenz Lüps sind das Erzählungen aus einer anderen Zeit. Der 22-jährige Schmidt hat die ideologischen Konflikte der Gründerzeit nicht mehr erlebt. „Wir sind eine andere Generation“, sagt der Schlierseeer. „Olympia ist für mich der Wettkampf, der am meisten zählt.“ Und dafür findet er genügend Gründe: „Hier sind die besten Fahrer der Welt endlich alle mal versammelt.“ Denn in der mit selbst ernannten Mega-Events gespickten Snowboardsaison überschneiden sich oft Großereignisse wie „US Open“, „Air&Style“ und „Arctic Challenge“. Schmidt: „Dann fehlt wieder die Hälfte der Topleute.“ Seit dem geglückten Wettkampf in Salt Lake City vor vier Jahren haben die Winterspiele in der Szene generell ein gutes Image.

Die Zeit der Pioniere ist also vorbei. Die Generation der Pragmatiker übernimmt die Führung. Von Fahrern wie Schmidt, Michaelis oder Lüps wird man keine Kritik an der olympischen Bewegung und ihrer Inszenierung hören. „Wenn man mitmachen will“, sagt Michaelis, „dann muss man sich halt auch an die Regeln halten.“ Nur manchmal noch fremdeln die sonst so subversiven Schneesportler mit der olympischen Umwelt. Lüps etwa wundert sich darüber, dass „wir immer unsere Trainingsanzüge tragen müssen“. Abends beim Essen fühlt sich Lüps dann wie in die „Science-Fiction-Dystopie ‚Die Insel‘ versetzt, wo alle das Gleiche tragen, essen und denken“. Aber das ist es ihm wert. „Wenn man hier gewinnt, dann bleibt einem der Sieg für vier Jahre“, sagt Lüps und muss selbst über seinen feierlichen Tonfall lachen: „Es ist ein winziger Schritt näher an die Ewigkeit.“