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■ Die israelische Politikerin und Schriftstellerin Yael Dayan zur Sicherheit der Juden und Palästinenser in der Westbank„Wir müssen auch die Araber schützen“

Yael Dayan, geboren 1939 in Palästina, war schon sehr früh aktiv in der israelischen Friedensbewegung „Peace Now“. 1992 wurde sie auf der Liste der regierenden Arbeiterpartei in die Knesset gewählt. Literarisch hat sie sich bereits mit 18 Jahren einen Namen gemacht mit dem Roman „Ich schlafe mit meinem Gewehr“, in dem sie ihre Erlebnisse in der Armee schildert. Ihre Auseinandersetzung mit dem Vater, Moshe Dayan, der während des Sechstagekriegs von 1967 Verteidigungsminister war, verarbeitete sie in „My Father, His Daughter“.

taz: Warum will Rabin jetzt mit Arafat den Osloer Vertrag überarbeiten?

Yael Dayan: Sie fragen mich, was Rabin will? Fragen Sie ihn doch selbst. Ich weiß es nicht. Ich denke nicht, daß man Oslo neu verhandeln kann. Man sollte die Überlegungen Rabins nicht als Überarbeitung des Vertrages verstehen. Die Tatsache, daß Rabin zögert, das Militär abzuziehen, sollte man nicht überbewerten. Tatsächlich gehen die Verhandlungen ja dauernd weiter. Seit dem Vertragsabschluß treffen wir uns mehrmals wöchentlich mit den Palästinensern und besprechen die kritischen und offenen Fragen. Man sollte es als Kontinuum verstehen, nicht als einen Bruch.

Rabin weigert sich, im Sinne des Osloer Vertrags das israelische Militär aus den bewohnten Gebieten der Westbank abzuziehen...

Er sagt nicht, daß er nicht will. Er sagt, daß es Probleme gibt, die nicht vorherzusehen waren. Er will im Moment nur einem vorübergehenden Abzug oder einem Teilabzug zustimmen, damit Wahlen in den palästinensischen Gebieten abgehalten werden können.

Und deshalb werfen die Palästinenser den Israelis Wortbrüchigkeit vor. In dem Abkommen heißt es, daß das israelische Militär aus den bewohnten Gebieten der Westbank abzieht, damit dort Wahlen abgehalten werden können. Es ist weder von Teilabzug die Rede noch davon, daß sich das Militär nur für eine kurze Zeit zurückzieht.

Ja, aber als das Abkommen unterzeichnet wurde, dachte niemand an den hohen Grad der Gewalt, den Terror. Die Frage ist, ob Israel den Israelis Sicherheit gewährleisten kann, wenn das Militär abzieht. Wenn der Abzug vollkommene Unsicherheit bedeutet, dann haben wir nichts gewonnen.

Aber Israel wußte immer, daß es diesen Verlust an vollkommener Kontrolle in Kauf nehmen muß.

Ich spreche nicht nur über die Sicherheit der Israelis, sondern auch über die der Palästinenser. Die Palästinenser haben noch keine volle Autorität und also auch keine Polizeikräfte wie in Gaza und Jericho. Was wollen sie machen, wenn etwas passiert? Wenn die Fatah und die Hamas aufeinander losgehen und es keine Sicherheitskräfte gibt, sondern nur jene, die, aus welchen Gründen auch immer, Waffen haben? Ist es nicht die Verantwortung der Israelis, Sicherheit zu gewähren?

Das klingt so, als wäre das israelische Militär lediglich zum Schutz der Palästinenser gedacht. Wenn ich die Palästinenser aber richtig verstehe, sind die der Auffassung, daß vor allem das israelische Militär weg muß, ebenso wie die Siedlungen. Ist es nicht zynisch zu sagen, das Militär muß bleiben, um die Palästinenser zu schützen?

Fragen Sie die Palästinenser, was sie machen wollen, wenn bei den Wahlen etwas passieren sollte. Wie wollen sie die Juden in Hebron beschützen, wenn bei den Wahlen etwas schiefgeht? Wie wollen sie sich selbst schützen, wenn die Hamas mit Waffen auftritt? Fragen Sie sie. Ich persönlich bin für den Abzug aus der ganzen Westbank und dem Gaza-Streifen, gleich morgen. Aber die Palästinenser selbst sind nicht dafür.

Wie meinen Sie das?

Gehen Sie mal nach Bethlehem zu den Christen. Fragen Sie dort, ob sie lieber unter Arafat oder unter Rabin leben wollen. Sie werden über die Antwort überrascht sein.

Sie meinen, daß Sie dort gehört haben, daß sie lieber unter israelischer Besatzung leben wollen als unter Arafat? Aber das ist doch nur eine Art, den Unwillen mit der eigenen Führung auszudrücken.

Wenn Arafat sich bis zu den Wahlen über bestimmte Modalitäten mit der Hamas einigen würde, dann fühlte ich mich besser. Wenn die Hamas bei den Wahlen teilnehmen will und sie dafür ihre Waffen niederlegt, dann ist es in Ordnung.

Sie sprachen über den vollkommenen Abzug aus den besetzten Gebieten. Wollen nun auch Rabin und Peres, die Verhandlungsführer auf israelischer Seite, den Prozeß beschleunigen, anstatt ihn zu verlangsamen?

Ich glaube nicht. Wenn ich von dem sofortigen Abzug spreche, meine ich übrigens nicht einen Rückzug auf die Grenzen von 1967. Das ist unrealistisch.

Was ist realistisch?

Ich male keine Karten. Aber Jerusalem wird in diesem Stadium noch nicht angetastet werden. Man muß schauen, was für die Palästinenser wegen der Verteilung ihrer Bevölkerung am besten ist. Und für die Israelis spielen Sicherheitsaspekte die wichtigste Rolle.

Denken Sie, daß Siedlungen evakuiert werden, bevor der endgültige Status erreicht ist?

Nein, nicht, wenn es nach Rabin geht. Jene, die dafür sind und so denken wie ich, haben keine Mehrheit. Aber auch wenn wir eine Mehrheit hätten, auch dann würde die Regierung wohl kaum gegen den Premier stimmen.

Sie haben als eine der ersten mit PLO-Vertretern gesprochen, lange bevor andere mit den „Terroristen“ sprachen. Sprechen Sie heute auch mit der Hamas?

Nein, ich habe daran kein Interesse. Ich spreche zu der legitimen Autorität und nicht zu der Opposition. Ich bin ja auch nicht besonders begeistert, wenn ausländische Regierungen mit der Hamas sprechen. Die PLO ist die legitime Vertretung der Palästinenser. Ich denke, es wäre unfair, sie zu umgehen und mit der Hamas gesonderte Verhandlungen anzufangen und sie so unter Druck zu setzen. Arafat sollte mit der Hamas sprechen und sie in den Prozeß einbeziehen.

Man könnte es auch anders sehen. Gespräche mit allen wichtigen Fraktionen der Palästinenser könnten den Prozeß auch stärken.

Die Hamas hat Oslo nicht akzeptiert. Sie akzeptieren nicht den israelischen Staat. Sie akzeptieren Arafat nicht als Autorität. Worüber soll ich mit ihnen sprechen?

Über all diese Punkte.

Das soll Arafat machen.

Aber was ist, wenn Wahlen stattfinden und die Hamas als Siegerin daraus hervorgeht?

Ja, das könnte passieren. Aber es ist unfair gegenüber Arafat, darauf zu spekulieren und deshalb jetzt Gespräche mit der Hamas anzufangen. Erst wenn sich dann erweist, daß Arafat keine Mehrheit hat, haben wir eine neue Situation. Interview: Julia Albrecht

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