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Die hohe Kunst des Eiertanzes

■ Vor dem Oberverwaltungsgericht verteidigt Schreyers Umweltbehörde den Hahn-Meitner-Reaktor

West-Berlin. Mit pikant verteilten Rollen begann gestern vor dem 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts das Hauptverfahren über den Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts (HMI) in Berlin-Wannsee. Es ging um die erste atomrechtliche Teilgenehmigung für den inzwischen abgeschlossenen Reaktorumbau. Dem Kläger und Reaktoranwohner Dietrich Antelmann sitzt in dem Verfahren als Beklagte das Land Berlin in Gestalt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz gegenüber. Die atomkritische Behörde von AL -Umweltsenatorin Schreyer exekutiert vor Gericht mäßig zerknirscht, was ihr der Diepgen-Senat hinterlassen hat.

Gleich zu Beginn des Verfahrens zerstörte der Schreyer -Jurist Franz Josef Kunert möglicherweise bei der Mehrheit der 150 Zuhörer gehegte Hoffnungen, die AL-Behörde werde die Umbaugenehmigung für den Forschungsreaktor aus dem Jahre 1985 von sich aus widerrufen. Zwar würden die heute Zuständigen „die Entscheidung sicherlich anders treffen“, druckste Kunert. Die Teilgenehmigung von 1985 jedoch habe innerhalb des Ermessensspielraums der damaligen Behörde gelegen. Sie sei deshalb „nicht rechtswidrig“ und Antelmanns Klage zurückzuweisen. Klägeranwalt Wolfgang Siederer nannte den Eiertanz der Genehmigungsbehörde in einer Verhandlungspause „wenig plausibel“.

Kunert wies zunächst die Auffassung der Klägerseite zurück, die in der erst 1989 novellierten Strahlenschutzverordnung festgeschriebenen Belastungsgrenzwerte für die Allgemeinbevölkerung - das sogenannte 30-Millirem-Konzept seien durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse überholt. Zumindest fühle sich seine Behörde - „ob uns das gefällt oder nicht“ - bei der Genehmigung des HMI-Reaktors an dieses Konzept „gebunden“. Außerdem sei die besonders umstrittene Gefährdung durch Flugzeugabstürze auf den nicht durch einen Sicherheitsbehälter (Containment“) geschützten Reaktor wegen der geringen Wahrscheinlichkeit dem „Restrisiko zuzuweisen“.

Zum Nachweis einer dennoch gewandelten Haltung der rot -grünen Behörde schoben die Genehmigungsjuristen im Verlauf der Verhandlung drei neue Schriftsätze nach, die sich unter anderem kritisch mit der Frage des fehlenden Containments und der ungesicherten Entsorgung des HMI-Reaktors befassen. Im Hause Schreyer wird offenbar darüber nachgedacht, durch das nachträgliche Einziehen einer Betondecke wenigstens den Schutz des Reaktors vor abstürzenden Hubschraubern zu gewährleisten. Genau dies verlange im übrigen die bayerische (!) Staatsregierung bei der Errichtung eines neuen Forschungsreaktors in Garching. Die HMI-Vertreter schimpften ein solches Vorhaben „reine Schau“, die überdies weit über 20 Millionen DM verschlingen würde.

Zu Verhandlungsbeginn war zunächst der Versuch zweier Potsdamer AKW-Gegner gescheitert, sich der Klage Antelmanns anzuschließen. Das Gericht wies das Ansinnen als „unzulässig“ zurück und vertröstete auf eine gesonderte Entscheidung über ihre Klage. Die Verhandlung dauerte bei Redaktionsschluß noch an.

Gerd Rosenkranz

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