: „Die historische Chance für die Linke“
Der Politologe Elmar Altvater bedauert, dass sich die PDS im Senat nicht von der SPD unterscheidet. Ein Maßstab für das ganze Land sei Berlin aber nicht. Daher sollten Kandidaten der Wahlalternative WASG auf PDS-Listen für den Bundestag kandidieren
INTERVIEW FELIX LEE
taz: Herr Altvater, hat sich die Debatte um eine neue Linkspartei erübrigt?
Elmar Altvater: Ganz und gar nicht. Wenn es im Herbst zu Neuwahlen kommt, gibt es nach dem derzeitigen Stand keine schlagkräftige Alternative. Das kann man doch nicht so stehen lassen.
Aber wozu wird eine Opposition links von Rot-Grün gebraucht, wenn Rot-Grün selbst demnächst auf der Oppositionsbank sitzen wird?
Auch ohne Mehrheit im Bundestag ist Rot-Grün keine wirkliche Opposition. Die SPD hat erklärt, dass sie an der Agenda 2010 und an den Hartz-Gesetzen festhalten will. Und die SPD-Linke will auch nicht daran rütteln. Das Land braucht wieder eine linke Opposition, die diese Bezeichnung auch verdient.
Ein Zusammenschluss aus PDS und WASG würde diese Oppositionsrolle erfüllen?
Immerhin haben wir zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung die historische Chance, ein linkes Projekt gesamtdeutsch zu artikulieren, das nicht gleich an der Fünfprozenthürde scheitert oder nur in den neuen Bundesländern vertreten ist.
Aber was würde die PDS zusammen mit der WASG anders machen als die PDS allein?
Ob sich eine PDS im Zusammenschluss mit der WASG programmatisch verändern würde, wage ich auch zu bezweifeln. Darum geht es gegenwärtig aber nicht. Viel zentraler ist doch die Frage: Wird im nächsten Bundestag eine Linke mit Fraktionsstärke vertreten sein? Dies wäre der Fall, wenn sich WASG und PDS einigen. Sie blieben Opposition, das ist klar. Aber auch ohne Regierungsbeteiligung kann eine linke Kraft sinnvolle und fühlbare Arbeit leisten.
Ist es nicht ein Problem, dass die WASG rein auf Opposition setzt, die PDS – wenn bei den Bundestagswahlen auch nicht gerade realistisch – durchaus mit einer Regierungsbeteiligung liebäugelt?
Oppositionsparteien auf Bundesebene, die an einigen Landesregierungen beteiligt sind, hat es schon häufig gegeben. Das kann natürlich zu harten Zerreißproben führen. Aber ein prinzipielles Problem sehe ich darin nicht.
Zumindest in Berlin macht das eine Einigung zwischen WASG und PDS unmöglich.
Berlin ist schon immer ein Trauerkapitel in der politischen Landschaft der BRD gewesen. Dass wir hier eine PDS im Senat sitzen haben, die sich nicht von der Sozialdemokratie unterscheidet, ist ebenfalls bedauerlich. Aber die Situation in Berlin darf nicht zum Maßstab für das gesamte Land genommen werden.
Dann müsste die WASG in Berlin eigenständig antreten.
Für Berlin habe ich mich bereits vor der Ankündigung von Neuwahlen gegen eine neue linke Partei ausgesprochen. Zwei mal fünf Prozent für zwei linke Parteien sind derzeit nicht denkbar. Die Hoffnung, dass frustrierte SPD-Wähler das Kreuz bei den Linksparteien machen und nicht Abstinenz üben oder zur CDU oder gar zur radikalen Rechten wechseln, ist unrealistisch. Diese triviale Erkenntnis scheint aber wie eine Kröte behandelt zu werden, die niemand schlucken will.
Wofür plädieren Sie dann?
Ich spreche ja genau deswegen von einer historischen Chance für die Linke, weil sie komplementär ist. Die WASG im Wesentlichen im Westen, die PDS vor allem im Osten. Anders als in den alten Bundesländern ist die PDS in Berlin aber auch im Westteil relativ stark. Wenn man konkurrierend auftritt, dann schadet man beiden Seiten. Das ist der Fall in Berlin und deshalb rate ich der WASG hier, kurz zu treten.
Warum sollte nicht die PDS zurückstecken?
Wenn man Kosten und Nutzen einer wie auch immer gearteten Vereinigung betrachtet, hat die PDS höhere Kosten zu tragen. Die PDS hat die Chance, auch allein die Fünfprozenthürde zu überspringen oder per Direktwahl in Berlin drei Leute in den Bundestag zu schicken, um auf diesem Wege Fraktionsstärke zu bekommen. Das sind alles Chancen, die die WASG nicht hat.
Gibt es denn überhaupt Gründe für die PDS, sich auf die WASG einzulassen?
Mittelfristig auf jeden Fall. Denn wenn man das Ganze auch als ein linkes Projekt und nicht nur als Machtverteidigung begreift, dann bleibt der PDS zum Überleben nichts anderes übrig, als sich neuen linken Kreisen zu öffnen. Die PDS hat ja noch mehr als alle anderen Parteien das Überalterungsproblem.
Aber was heißt das jetzt für die vorgezogenen Bundestagswahlen im September?
Das Hauptproblem, warum es zu keiner Einigung kommt, liegt doch in diesen kurzfristig angesetzten Neuwahlen. Selbst wenn sich alle Beteiligten schnell einigen würden, sind die Chancen gering, eine neue Liste mit Erfolg auf Akzeptanz durch den Bundeswahlleiter und – wichtiger noch – mit Chancen bei den Wählern aufzustellen.
Sie haben selbst gesagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Machbar wären diese offenen Parteilisten, wie es die PDS vorschlägt. Jetzt auf die Schnelle eine neue Partei zu gründen, halte ich für ausgeschlossen. Unter Umständen könnten sich die Parteispitzen sogar noch einigen. Wenn es sich aber wirklich um ein linkes Projekt von unten handeln soll, dann muss die Basis in den Diskussionsprozess einbezogen werden. Dafür fehlt aber schlicht und ergreifend die Zeit. Zumindest für diese Bundestagswahlen plädiere ich für eine Kandidatur der WASG und anderer unabhängiger Kandidaten auf einer offenen PDS-Liste.
Der WASG-Bezirksverband Lichtenberg/Marzahn-Hellersdorf hat einen ersten Schritt gemacht und angekündigt, keine Gegenkandidaten zu den PDS-Bundestagsabgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch aufzustellen. Ist nun die PDS am Zug?
Nein, die WASG kann nicht das entscheiden und dann sagen: PDS, jetzt seid ihr dran. Bei einem gemeinsamen linken Projekt ist es nicht ein Zug, der dem anderen auf dem gleichen Gleis folgt. Dann droht nämlich ein Zusammenstoß. Es sind zwei Züge, die zur gleichen Zeit nebeneinander losfahren und sich zu einem günstigen Zeitpunkt zusammenkoppeln, um dann gemeinsam den Weg fortzusetzen. Es ist Zeit für ein Projekt des „gemeinsamen Dritten“.