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Die großen Dinge des Lebens

■ WOMEN IN MUSIC am Montag: Orchesterwerke von Komponistinnen - „Musik unseres Jahrhunderts“ - mit dem Philharmonischen Staatsorchester Bremen.

Orchesterwerke von Komponistinnen sind nicht sonderlich zahlreich. Anlaß für viele konservative Musiker - und das sind nicht wenige -, an eine genetische Fixierung zu glauben:

„Frauen nehmen sich halt lieber der kleinen Dinge an, komponieren für kleine Besetzungen.“

Aber das Fehlen weiblicher Orchesterwerke hat selbstverständlich seinen Grund: Frauen sind fast nie Orchesterleiterinnen und können deshalb nur schwer Erfahrungen mit einem so differenzierten Instrumentarium sammeln - Erfahrungen, die notwendig sind, um für Orchester zu schreiben.

Männliche Komponisten haben in der Regel auch Orchester geleitet.

Unter diesem Vorzeichen bekam das Philharmonische Sonderkonzert im großen Saal der Glocke mit Orchesterwerken von Komponistinnen aus Norwegen, Belgien, Rumänien und der Bundesrepublik einen besonderen Stellenwert.

Dem Stellenwert entsprechend war der Andrang: Der große Glockensaal war überraschend

gut gefüllt.

Vielleicht allerdings waren es der „Klagen“ zuviel. Schon beim Eröffnungskonzert im Dom jagte eine Klage die nächste, und die „Nenia“ - ein altrömischer Trauergesang, von der norwegischen Komponistin Ase Hedström auf die moderne Informationsgesellschaft hin aktualisiert - konnte nicht recht überzeugen: zu redundant schienen die musikalischen Mittel, von konstruierter Sprödigkeit. Der souveräne Umgang der belgischen Komponistin Jaqueline Fontyn mit dem Orchester machte ihr verwobenes „Archadne„-Spinngewebe zum sinnlichen Genuß.

Es war toll, dem Netz der Klänge durch die Instrumentengruppen zu folgen, neugierig die überraschenden Wendungen mitzumachen. Verblüffend auch der Schluß: Energie baut sich auf und verpufft. Kein Knall, kein Ergebnis.

Begeistert bin ich von der „Ur-Ariadne“ für Sopran, Saxophon und großes Orchester der rumänischen Komponistin Myriam Marbe.

Ich liebe die Art, wie sie den

Dingen Zeit gibt. Archaische Melodiebildungen einzelner Instrumente haben Zeit, sich zu entwickeln; da knallt nicht gleich einer dazwischen. Oder wie sie mit der Sängerin, Roswitha Sperber, umgeht: Sie wird nie vom Orchester erdrückt.

Ist die Gesangsmelodie, wie zu Beginn des Werkes, tief, an den Grenzen einer Sopranpartie, dann setzt Myriam Marbe den Orchesterpart so aus, als ob ein ganzer Apparat mit einem Individuum mitfühlte, ihm Zeit ließe, sich in ungewohnten Regionen zu bewegen - Zeit und nochmal Zeit.

Das ist das Großartige an der „Ur-Ariadne“.

Oder wie sie mit dem Sopransaxophon umgeht: keine virtuose Rolle für Detlef Bensmann. Das Saxophon eher als klanglicher Kompromiß aus Saxophon, Oboe und Hirtenflöte. Der Saxophonist erzählt etwas oder unterstützt den Gesang - das ist alles.

Das ganze Werk atmet - der einzige visionäre Beitrag des Abends.

Danach allerdings war meine Konzentrationsfähigkeit er

schöpft - „Tierra Querida“ - (geliebtes Land), das Konzert der bundesdeutschen Komponistin Susanne Erding für Violoncello und großes Orchester, konnte ich nicht mehr aufmerksam verfolgen.

Dirigentin des Abends war Alicja Mounk. Sie ist zur stellvertretenden Generalmusikdirektorin am Theater in Kassel gewählt worden. Das Orchester hat ohne Gegenstimmen zugestimmt. Wer bundesdeutsches Orchesterleben kennt, weiß, was das bedeutet: Die Zeiten ändern sich.

Andreas Lieberg

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