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Archiv-Artikel

„Die ganze Wut dieser Zeit“

JOACHIM TSCHIRNER sprach ganz intuitiv zur Masse

„Ich befürchtete, dass wir am Alex keinen Parkplatz mehr bekommen würden. Also machten sich meine Familie, Freunde und ich morgens um halb neun von Pankow aus mit der U-Bahn auf den Weg in Richtung Alexanderplatz. Die Nervosität im Vorfeld war groß, es gab ja viele ungeklärte Fragen: Was machen wir, wenn da tausende Menschen kommen? Wir hatten uns in der Gruppe sogar noch überlegt, die Veranstaltung auf den Nachmittag zu schieben, weil das Warenhaus am Alex bis 14 Uhr offen hatte und wir den Leuten nicht auf den Wecker gehen wollten.

Als wir dann aus der U-Bahn stiegen, war das sehr aufregend, überall standen Menschen. Gegen Mittag stieg ich über einen Lkw-Hänger auf die Bühne. Ich hatte nichts dabei außer einem verschmierten Zettel mit Stichpunkten. ‚Was sollte ich den Leuten überhaupt noch erzählen?‘, fragte ich mich. Als ich dann auf der Bühne stand, kam blitzartig die ganze Wut dieser Zeit in mir hoch, die einen dann auch in die Lage versetzt, vor so einer riesigen Menschenmenge zu reden.

Die Reaktionen auf den Text waren sehr direkt, es gab Ovationen. Dass gerade etwas Historisches passiert ist, war mir nicht klar. Das merkt man erst Jahre später.

Wir fuhren nach Hause, luden Freunde ein und blieben die ganze Nacht wach. Aber es war nicht die Zeit, sich zurückzulehnen: Es ging ja erst los.“

PROTOKOLL: SASCHA CHAIMOWICZ

Joachim Tschirner

Geboren 1948. Ab 1975 arbeitete er bei der Defa als Redakteur für Dokumentarfilme, ab 1980 als Regisseur.