■ Die bittere Wahrheit über Jean-Pierre Jeunets „Alien – Die Wiedergeburt“: Ellen Ripley ist hinüber
Gut. Die Großkritiker haben ihre Besinnungsaufsätze über „Alien – Die Wiedergeburt“ unter die Leute gebracht, kluge Betrachtungen über Identitätskonflikte, Geschlechterdifferenzen, die Vagina dentata, den Horrorfilm als christliches Genre und die „wechselnden Ästhetiken“ der „Alien“- Saga angestellt. Der Lärm hat sich gelegt. Nur noch ein leises Wimmern ist zu hören.
Das sind die enttäuschten Fans.
„Alien“, „Aliens“, und „Alien 3“ nutzen sich auch nach einem Dutzend Wiederbegegnungen nur unwesentlich ab. Auch wenn man längst weiß, wer gefressen wird und wer nicht, ist es fast unmöglich, sich der Spannung zu entziehen. Jammerschade ist es um jeden einzelnen, außer vielleicht um den miesen Burke, der im zweiten Teil aus niedersten Motiven die gesamte Crew den Aliens auszuliefern versucht und dabei selbst in sein Verderben rennt. Nein, sogar Burke kann man leiden, wenn sich über ihm schließlich das reißzahnreiche Maul eines Aliens öffnet.
Aber den Knallchargen in „Alien – die Wiedergeburt“ weint niemand eine Träne nach. Sie können sich alle gehackt legen, diese unentwegt breitbeinig einherstolzierenden, sinnlos aufeinander einkeifenden Schmierenschauspieler, allen voran der irre Wissenschaftler, der permanent – typisch irrer Wissenschaftler! – die Augen bis zum Anschlag aufreißt, um möglichst irre aus der Wäsche zu gucken.
Die Dialoge bestehen größtenteils aus Phrasen von die Sau grausender Plattheit („O mein Gott!“), und die Story ist ohne Sinn und Verstand zusammengeschustert. Obwohl es an Bord von Aliens wimmelt, nehmen sich die Gejagten immer wieder reichlich Zeit für ein Dampfplauderstündchen im Stehen. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette ...
Die geklonte Ellen Ripley bringen sie nicht etwa um, sondern sie nehmen sie mit, obwohl keineswegs klar ist, auf wessen Seite sie steht. Der verheulte Androide, den Winona Ryder spielt, wird von einer Kugel getroffen, fällt in die Tiefe und säuft ab, tritt aber kurz darauf mehrere Etagen höher wieder quicklebendig vor die Kamera und läßt sich am Ende auch noch bescheinigen, menschlicher zu sein als die Menschen. Schluchz! Und dann die Kamera. Sie zappelt, torkelt und brummkreiselt durch die Kulissen, bis einem schwummrig wird; vielleicht soll man damit von der fadenscheinigen Handlung abgelenkt werden. Jede Kamerafahrt ruft: „Mann, Mann, Mann, was bin ich doch für eine rasante Kamerafahrt! Wetten, daß die Kritiker von atemberaubenden Bilderfluchten, rhythmisierten Räumen und einer gelungenen Synthese aus Hollywood und europäischem Kunstkino schwärmen werden, wenn ich jetzt noch einen Zacken zulege? Einfach so?“
Regie geführt hat Jean-Pierre Jeunet. Das ist der, der auch schon den Bilderbrei „Die Stadt der verlorenen Kinder“ verbrochen hat. Welcher Teufel hat die Hollywood-Moguln nur geritten, daß sie ausgerechnet einen von sich selbst besoffenen Froschfresser mit der Regie betraut haben?
„Ellen Ripley lebt!“ jubelte die Berliner Zeitung anläßlich der Premiere von „Alien – Die Wiedergeburt“. Irrtum. Ellen Ripley ist hinüber. Sie riecht sogar schon. Gerhard Henschel
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