Die anderen:
Zu Konsequenzen aus den Wahlen in Schleswig-Holstein kommentiert die Süddeutsche Zeitung: Es gibt in Deutschland zwei politische Lager, die etwa gleich stark sind. (Im Westen sind dies SPD/Grüne versus Union/FDP; im Osten, wo FDP und Grüne praktisch nicht existieren, stehen SPD/PDS gegen die CDU allein.) Wer von beiden in den Ländern obsiegt, entscheidet sich oft relativ kurz vor der jeweiligen Wahl. Es wird stark beeinflusst vom aktuell wahrgenommenen Zustand der Kernpartei jedes Lagers. Als die SPD in ihrem ersten Regierungsjahr im Bund vor sich hin dilettierte, blieben in den Ländern ihre Stammwähler zu Hause, und die Wechselwähler desertierten zur Union. In Schleswig-Holstein brach die skandalgeschüttelte CDU zwar ein, aber das, man verzeihe den antiquierten Ausdruck, „bürgerliche“ Lager liegt trotzdem nur ein paar Punkte hinter den anderen. Den kleinen, aber entscheidenden Unterschied macht in solchen Fällen dann zum Beispiel eine bessere Spitzenkandidatin. Wer immer die CDU nach ihrem Parteitag führen wird, er oder sie steht vor der Aufgabe, die Partei wieder bei jenen Wechselwählern salonfähig, also wählbar zu machen, die im weiteren Sinne der Schröder’schen neuen Mitte zuzurechnen sind. Sie entscheiden Wahlen.
Der Tagesspiegel vergleicht die Wähler in Schleswig-Holstein mit Fans von Borussia Dortmund: Vorgestern ist im Westfalenstadion etwas Unwahrscheinliches passiert. Borussia Dortmund hatte gegen 1860 München mühsam ein Unentschieden gerettet. Und die Fans, die die Spieler wochenlang wütend beschimpft hatten, waren versöhnt. Obwohl die „Scheißmillionäre“ auf dem Platz wieder nicht gewonnen hatten. Die Wut der treuen schwarz-gelben Fans auf die Mannschaft war ein Zeichen für die Auflösung der sozialen Milieus, die auch am Fußballgeschäft nicht vorbei geht. Früher waren die Vereine Clubs, heute sind sie Wirtschaftsunternehmen. Wo früher Traditionen galten, regiert heute der Markt. Nach dem Marktgesetz gilt der Sieger alles, der Verlierer nichts. So werden aus Fans Konsumenten. Auch in Scheswig-Holstein ist vorgestern etwas Unwahrscheinliches passiert. Das Volk hat, eher unbeeindruckt von den Skandalen der letzten Zeit, die üblichen Parteien gewählt. Das ist erstaunlich, weil für die Wähler das Gleiche gilt wie für Fußballfans: Sie wechseln ihre Sympathien und Antipathien rascher als früher. So werden aus (Stamm-)Wählern Konsumenten, die je nach Marktlage entscheiden. Heute ist das Publikum traditionell, morgen kann alles wieder anders sein. Eine ziemlich kluge Haltung.
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