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Die abstürzenden Friedenstauben

Die ruhmreiche Friedensfahrt, größte Schleife der Radamateure, hat Atemnot  ■  HAGEN BOSSDORFS SPORTKOLUMNE

In den unbeschwerten Jahren meiner frühen Kindheit belohnten mich meine Eltern hin und wieder mit einer Autofahrt übers flache Land. Begegneten wir dabei einem Radfahrer, der über sein Fahrrad gebeugt, quer durch die Landschaft strampelte, begrüßte ich ihn stets mit dem freudigen Aufschrei: Guck mal da, ein Friedensfahrer! Daß dieser sportliche Radler da auf der Landstraße der DDR höchstens seinen inneren Frieden suchte, aber herzlich wenig mit der ruhmreichen Friedensfahrt zu tun hatte, kam mir erst viel später in den Sinn. Die Sekunden, in denen der Peloton auf dem „Course de la Paix“ dann wirklich einmal an mir vorbeiraste, gehören zu den bemerkenswertesten meiner vorpubertären Entwicklung. Nicht umsonst hatten wir wie in allen Durchfahrtsorten fleißig Wimpel für den Straßenrand gebastelt und uns bei der „Kleinen Friedensfahrt“ halbtot gestrampelt.

Kinder nachfolgender Generationen werden nun auf diese bahnbrechenden Erlebnisse wohl verzichten müssen. Wenn morgen die übrig gebliebenen Radamateure den traurigen Rest dieser einst glorreichen Drei-Länder-Fahrt durch die DDR, die CSFR und Polen in Angriff nehmen, könnte eine Trauerfahrt beginnen. 1948 erstmals in zwei Rennen von Prag nach Warschau und umgekehrt gestartet, wurde die „Internationale Radsternfahrt für den Frieden“ bald zu einem gigantischen Spektakel. Die Täve-Schur-Legende wurde hier geboren. Boden, Ludwig, Ampler, Sieger der größten Amateurschleife der Welt, wurden zu modernen Helden. Noch vor zwölf Monaten war eine Europatour von Paris nach Moskau geplant und gescheitert. Der Anfang vom Ende?

Die Friedensfahrt hat Atemnot: Es geht ihr an den Kragen. Die drei Zentralorgane (sprich: Zeitungen) der drei Staatsparteien wollen beziehungsweise existieren nicht mehr. Die neuen Geldgeber aus dem Westen sprangen ab, als hochkarätige Zugpferde wie Weltmeister Halupczok und Olympiasieger Ludwig Profis wurden. Auch das Politbüro, das sich nach jeder Berlin-Etappe den Sieger (meist DDR) auf die Tribüne kommen ließ, kann nicht mehr helfen. Ein Rumpfprogramm blieb übrig.

Für das nächste Jahr macht das Wort von einer Deutschlandrundfahrt die Runde. Ob die Friedenstauben dann noch auf den Trikots der besten Fahrer ihren Platz finden, ist zu bezweifeln. Wahrscheinlicher ist, daß eine bundesdeutsche Elektronikfirma, die sowieso schon 13 Amateurrennen in der DDR gekauft hat, das Traditionsrennen auch noch schluckt. Adieu, ihr Friedenstauben, knallt nicht so hart aufs Pflaster, wenn ihr abstürzt.

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