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Die Zukunft der Hochschulen der EX-DDRTabula rasa an ostdeutschen Universitäten?

■ „Abwicklung“ nennt sich — rein administrativ — der Vorgang, die Hochschulen im Gebiet der ehemaligen DDR in die Verwaltung der neu gebildeten Bundesländer zu übernehmen. Oder auch nicht — wie Studentinnen und Studenten zwischen Rostock und Leipzig befürchten

Die Stadt Leipzig hat das Demonstrieren nicht verlernt. Vor einem Jahr gingen die Bürger auf der Straße, um der Bevormundung durch Partei und Regierung ein Ende zu setzen. Jetzt sind es die Studenten, die sich auflehnen — gegen „Alleinherrschaft einer Partei“. So steht es auf den Plakaten, die seit Mittwoch an den Wänden der Karl-Marx-Universität kleben. Nach der politischen Wende steht den Hochschulen der einstigen DDR — vor allem den „ideologisch belasteten“ Fächern — ein grundlegender Wandel bevor. Studenten sorgen sich um ihre Studienplätze und Berufsaussichten, Professoren fürchten um ihre Jobs.

Mit einer vorerst auf einen Tag begrenzten Uni-Blockade sollen in Leipzig Zeichen gesetzt werden. Der sächsische Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU) wird aufgefordert, seine vor einer Woche bekanntgewordenen „Abwicklungsbeschlüsse“ zurückzunehmen. Ihr würden allein an Leipzigs Alma mater vier Sektionen, ein Institut und mehrere Wissenschaftsbereiche zum Opfer fallen, darunter die einzige Ausbildungsstätte für Journalisten in Ostdeutschland. Gerade diese Sektion, zu DDR-Zeiten als „Rotes Kloster“ verschrieen, sei um ehrliche Erneuerung bemüht. Sektionsdirektor Hans Poerschke entwarf gemeinsam mit Studenten und Wissenschaftlern ein Konzept, das sich in wichtigen Punkten mit den Vorstellungen des Staatsministeriums decken soll. Meyers „Abwicklung“, die Schließung der Sektion, würde den etwa 600 Studenten sowie ihren Dozenten aber jede Chance tragfähiger Erneuerung nehmen.

Von ähnlichen Versuchen berichten auch Politikwissenschaftler und Juristen. Beide Bereiche waren unter früheren Bedingungen ebenfalls ideologisch belastet, hätten inzwischen jedoch „dank westlicher Hilfe“ neue Lehrinhalte. Nun soll ihnen das nichts nützen, bedauern die Studenten. Sie gestehen ein, im zurückliegenden Jahr „nicht energisch genug“ um eine Umstrukturierung der Universität gekämpft zu haben, wollen sich jetzt allerdings „die Ruder nicht schon wieder aus den Händen“ nehmen lassen. Anders sieht das die Uni-Leitung. Prorektor Geiler gestand ein, man habe sich nur „unzureichend erneuert“. Die Beschlüsse von Minister Meyer seien folglich rechtens. Daher zog das Rektorat auch ein zuvor den Studenten gegebenes Versprechen, eine Verwaltungsklage einzureichen, inzwischen zurück. Von Stillegungsplänen sind in Sachsen nicht nur Hochschuleinrichtungen der Leipziger Uni betroffen, sondern auch das Literaturinstitut, die Deutsche Hochschule für Körperkultur sowie über ein Dutzend weiterer Schulen. Dagegen eine Klage durchzusetzen, sei eines der Blockadeziele.

Die Protestaktion wird begleitet von Diskussionszirkeln, genannt „Geistesarbeit“. Lehrer und Lernende sollen sich an der „Rettung erhaltenswerter Strukturen“ beteiligen. Keinesfalls wollen die Blockierer sich nachsagen lassen, sie würden „alte Seilschaften“ stützen. Für deren Beseitigung treten sie ebenso ein wie gegen die „Abwicklung“ — wenn es sein muß, so hieß es am Mittwoch, auch über Weihnachten und den Jahreswechsel hinaus.

Berlin: Für eine Erneuerung von innen

Auch in Berlin gehen die Proteste nach der Sitzung der Landesregierung am Dienstag unvermindert weiter. Wie Mitglieder des Studentenrats am Mittwoch vor Journalisten mitteilten, werde man sich in den kommenden Tagen für eine selbstbestimmte, von innen vollzogene Erneuerung der fünf Fachbereiche einsetzen, über deren Zukunft der Senat auf Grund von Unstimmigkeiten bei SPD und CDU noch nicht entscheiden konnte. Die Beschlußfassung zur „Abwicklung“ von Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte, Philosophie und Erziehungswissenschaft wurde auf eine Sondersitzung am Sonnabend verschoben. Fest steht, daß die Sektion Kriminalistik sowie der Bereich Wissenschaftstheorie und Organisation aufgelöst werden.

Auf Beschluß einer studentischen Vollversammlung am Mittwoch soll das Hauptgebäude der Humboldt- Universität noch im Laufe des Tages symbolisch besetzt werden. Für Donnerstag kündigte der Studentenrat eine Protestdemonstration vor der Marienkirche an, wo ein Gottesdienst zur Konstituierung des Bundestages stattfinden soll. Am Sonnabend wollen Lernende und Lehrende erneut vor das Schöneberger Rathaus ziehen. Michael Ernst/dpa

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