Die Wochenvorschau von Hanno Fleckenstein: Letzter Ausweg: Realitätsflucht
Falls ihn überhaupt noch jemand braucht: Spätestens diese Woche kommt der Augenöffner für all jene, die noch Zweifel daran hatten, dass Berlins schwarz-roter Senat eine rückwärtsgewandte und unsolidarische Politik betreibt.
Los geht es direkt am Montag mit einem Doppelschlag aus dem Bereich „überflüssig und teuer“. Gleich morgens stellt dann nämlich Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) gemeinsam mit der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs für eine Bebauung des Tempelhofer Felds vor. Drei Millionen Euro hat der Senat es sich kosten lassen, um nun fünf Preisträger präsentieren können, deren Vorschläge niemand braucht. Schließlich sprechen sowohl der rechtlich bindende Volksentscheid von 2014 als auch die Ergebnisse der „Dialogwerkstatt“ aus dem vergangenen Jahr eine klare Sprache: Das Feld soll so bleiben, wie es ist.
Nicht nur auf dem ehemaligen Zentralflughafen, sondern auch am Görlitzer Park legen CDU und SPD ihren hartnäckigen Verunstaltungswillen an den Tag. Und auch dort geht es zum Wochenstart ans Eingemachte. „Tag Z“ steht bevor – der Baustart für Zaun und Tore rund um die Kreuzberger Grünfläche. Kostenpunkt: 1,56 Millionen Euro. Wer den Park künftig in der Früh aufschließt und abends verriegelt, ist weiter unklar – auch, wer für diese Dienstleistung zahlen muss. Klar ist allerdings: Kreuzberg bleibt anti. Das Bündnis Görli zaunfrei ruft für Montagabend zur Demo auf.
Nix tun wollen Wegner, Giffey & Co hingegen beim Thema Blechlawine. Den Vorschlag der Initiative Berlin autofrei, den privaten Autoverkehr nahezu vollständig aus der Innenstadt zu verbannen, bewertet die SPD-geführte Innenverwaltung als verfassungswidrig. Das Volksbegehren liegt deshalb seit mehr als drei Jahren auf Eis. Am Mittwoch verkündet der Verfassungsgerichtshof Berlin endlich seine Entscheidung über die Zulässigkeit des Gesetzentwurfs. Gibt er grünes Licht, muss die Initiative 220.000 Unterschriften sammeln, damit es zum Volksentscheid kommt.
Im Gegensatz zu Görlizaun und Feldbebauung fallen Bildungsprojekte in die Kategorie „unentbehrlich, aber unterfinanziert“. Nachdem zuletzt erneut Menschen überall in Berlin gegen den Kahlschlag protestiert haben, will sich Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Mittwoch in einer öffentlichen Diskussion der Kritik stellen. Das dürfte ungemütlich werden.
Bei all dem Verdruss ist es kein Wunder, dass Ende der Woche Zehntausende Parallelwelttouristen auf dem Weg zum Fusion-Festival den Regionalverkehr überfüllen. Eine andere Möglichkeit zur Realitätsflucht bietet sich derweil mitten in Berlin, beim Bücherfest auf dem Bebelplatz.
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