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Die Weiber der Bremsenbauer werden wild

■ Frauen von Allied Signal-Beschäftigten haben ihren eigenen Arbeitskampf gestartet

Die Hoffnung, bemüht Katja Benthien einen Allgemeinplatz, gibt man nicht auf. Doch mit Hoffen, Bangen und Fügen in ein Schicksal wollen die „Wilden Weiber“ sich nicht zufrieden geben. Sie leben mit Männern, die bei AlliedSignal in Glinde Bremsbeläge herstellen, knapp 1700 Beschäftigte gibt es dort – noch. 600 Menschen will die Unternehmensleitung im laufenden Jahr entlassen. Ein weiterer Stellenabbau sei abzusehen, so der Betriebsrat, langfristig drohe die komplette Schließung.

Die Arbeitslosigkeit führt für die meisten von ihnen auch in die Ausweglosigkeit, ist Christine Greiner überzeugt. Überwiegend „Ungelernte“ aus der Produktion werden ohne Arbeit dastehen – und mangels Qualifikation auch ohne Aussicht auf eine neue Stelle. Die meisten sind die Hauptverdiener der Familien, die „Ernährer“. Mit der finanziellen Absicherung verlieren diese Familien auch ihre soziale Perspektive. Und die Frauen sollen dann einmal mehr Rückhalt geben und die Fehler der Arbeitsmarktpolitik abfedern. „Damit sind wir überfordert. Und wir haben es satt.“ Mitte Januar haben sie deshalb die „Wilden Weiber“ ins Leben gerufen, verteilen Flugblätter, sammeln Unterschriften gegen die geplanten Entlassungen und wollen die Öffentlichkeit auf die Beeinträchtigung ihrer eigenen Lebenssituation aufmerksam machen. Es sei eine selbständige Auseinandersetzung, sagt Greiner, nicht ein Anhängsel an die Proteste der Männer. Als „historisches Vorbild“ dienen die Frauen von Beschäftigten der Howaldtswerke/Deutsche Werft in Hamburg, die dort vor mehr als zehn Jahren um den Erhalt der Arbeitsplätze kämpften und für die Finanzierung des Arbeitskampfes damals eine halbe Million Mark zusammengesammelt haben.

Die Perspektive, einen vormals Beschäftigten „zuhause hängen zu haben“, ohne Aussicht auf Veränderung, möglicherweise mit wachsenden Alkoholproblemen, ist ihnen ein Greuel. Der einzige Vorteil der Arbeitslosigkeit wäre, daß die Männer mehr Zeit für ihre Kinder hätten. Doch dafür fehle dann das Geld. Nicht nur in privaten, auch in öffentlichen Kassen. Immer weniger Geld werde den Gemeinden für Ausbildung, Sozialarbeit und Freizeitangebote zur Verfügung stehen. „Und wie sollen wir unseren Kindern noch vermitteln, daß es sich lohnt, zur Schule zu gehen“, fragt Greiner.

Rund 15 Frauen sind bislang zu wilden Weibern geworden – allesamt aus dem Umfeld der Betriebsräte und entsprechend „protestgewohnt“. Schwieriger sei es, die anderen Frauen zu erreichen, erklärt Benthien. Sie wohnen weit verstreut um den Firmenstandort Glinde herum; viele wüßten vermutlich noch nichts von den geplanten Massenentlassungen. Wenn sich die Situation zuspitzt, erwartet Greiner, werden sich jedoch viele den Protesten anschließen. Die mehrsprachigen Flugblätter, die die Wilden Weiber unlängst vor dem Werkstor verteilten, seien von den Männern zwar schon wohlwollend an- und aufgenommen worden. An ihre eigenen Frauen werden sie sie aber vermutlich nicht weitergeleitet haben, meint Greiner. Weil nach Auffassung vieler betroffener Männer noch immer den Frauen nur das Hoffen und Bangen geziemt. Stefanie Winter

Die Wilden Weiber sammeln außer Unterschriften auch Geld – vor allem für Zeiten des massiveren Widerstands, der Lohneinbußen mit sich bringen kann. Spenden sind herzlich erbeten. Infos und Unterschriftenlisten gibt es unter bei Katja Benthien.

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