piwik no script img

Die WahrheitGar nicht ruckelfrei durchs Leben

Warum es so schwierig ist, irgendwann mit Veränderungen aller Art umzugehen. Resilienz? Pustekuchen!

Bei großen Veränderungen am besten militärisch organisiert vorgehen Foto: Ann-Christine Jansson

Seit geraumer Zeit stelle ich fest, dass mich jede Form von Veränderung mit Panik und Verzweiflung erfüllt. Und nicht nur Veränderung, sondern im Grunde jegliche Aktivität nicht komplett repetitiver Natur, so wie Arbeit, zum Beispiel auch an diesem Text.

Mich jedes Mal von Neuem mit einem unüberwindlich erscheinenden Buchstabengebirge abzumühen – dem kantigen K, dem banalen E und dem feigen Q mit seinem kleinen Schwanz –, verunsichert mich zutiefst. Ich habe keine Lust mehr, mich zu quälen. Für mich wäre eine Art garantierte Leibrente nach meinetwegen Besoldungsgruppe C4 exakt das angemessene Modell.

Und nun erwartet mich auch noch ein Hindernis, wie es für jemanden meines Schlags grauenerregender nicht sein könnte: ein Umzug. Zwar erst in einem halben Jahr, aber das Ereignis lässt mich jetzt schon nicht mehr schlafen. Die neue Wohnung ist sehr schön, da würden sicher viele gern drin wohnen. Die nähmen mein Problem gewiss mit Kusshand.

Aber mir wird das alles sofort zu viel. Das ist doch ganz woanders. Wie soll ich denn dahinkommen? Wer organisiert das alles? Wie bekomme ich den Fernsehanschluss und das Internet von hier nach da? Und meinen ganzen Kram? Ich kenne mich da doch überhaupt nicht aus. Dann wird alles anders, als es jetzt ist. Wenn ich daran nur denke, muss ich mich auf der Stelle wieder hinlegen und möchte nur noch schlafen.

In solchen Momenten fällt mir auf, wie lange ich alles schon so eingerichtet habe, dass sich möglichst wenig ändert. Ich gehe immer dieselben Wege. Meine Tage sind in identische Routinen gegliedert. Ich esse alternierend stets das Gleiche. In leichten Variationen schreibe ich auch nur den immergleichen Text: Ein halbfiktionaler weinerlicher Alter matscht seine schrullige und lebensuntüchtige Attitüde breit – eine Palette, so eintönig wie die gesammelten Songs von Status Quo.

I have a dream. Mein Leben soll komplett ruckelfrei und jede Unwägbarkeit ausgeschaltet sein, die den leichtgängigen und gewohnten Lauf der Dinge stören könnte. Alles soll bleiben, wie es ist, während ich früher gefühlt fast jede Woche umgezogen bin. Wie so ein crazy Tramp, in die verschiedensten Straßen innerhalb Neuköllns.

Längst habe ich ein Mindset wie aus Wachs. Aber nicht wie weiches, sondern wie fest geronnenes

Hihi, haha, hopplahopp und scheißegal – so lautete mein Lebensmotto. Ich kaufte neue Sachen, testete auch mal einen anderen Döner-Imbiss oder sprach fremde Leute an. Mein Haupthaar war verwuschelt und mein Blick verwegen.

Doch längst habe ich ein Mindset wie aus Wachs. Aber nicht wie weiches, sondern wie fest geronnenes, leicht ranzig riechend; darein gedrückt ist ein Siegel auf meinem Dasein, das mein Wappen zeigt: Fernseher, Sessel und Schlafmütze unter gekreuztem Messer und Gabel. Meine Persönlichkeit ist ein Museum. Alles ist an seinem Ort, bitte nichts anfassen. Jedes Stück ist von unschätzbarem Erinnerungswert.

Ob ich mich denn gar nicht langweile, fragen mich die flatterhaften Hasardeure. Sie können es sich wohl nicht vorstellen, dass man eben nicht auf Schritt und Tritt neuen „Herausforderungen“, wie sie jeden frischen Sprühdurchfall nennen, hinterherhechelt. Aber ich langweile mich nie, ich kann doch mit dem Handy spielen.

Und später kommt noch Fußball im Fernsehen, Wolfsburg gegen Hoffenheim. Das wird so richtig geil. Ich habe alle Pay-TV-Sender abonniert, die Fußball zeigen. Das ist zwar teuer, aber ich spare ja viel Geld, weil ich nicht mehr ausgehe. Kneipe, Kino, Theater, Museum. Was soll ich denn da?

Nur einmal im Jahr treffe ich mich mit meinem einzigen Freund. Mehr Freunde brauche ich nicht, das würde mich sozial wie logistisch überfordern. Sollte er eines Tages sterben, werde ich keine neue Freundschaft suchen. Das wäre unseriös. Mit diesem Freund gehe ich dann jedes Mal für wenige Stunden auf den Spandauer Weihnachtsmarkt.

Einfach einen Glühwein mehr

Da komme ich hin, ohne umzusteigen, und dort kenne ich mich auch schon aus. Wenn ausnahmsweise doch mal eine neue Bude an einem ungewohnten Ort steht, trinke ich einfach einen Glühwein mehr, bis endlich alles wieder gleich aussieht.

Manchmal denke ich allerdings, ich wäre resilienter, wenn ich Kinder hätte. Ich sehe das ja bei den Leuten: Wenn du Kinder hast, kannst du nie sicher planen. Jederzeit kann sich alles ändern. Wer Kinder hat, muss stets flexibel sein. Eltern haben ein für meine Begriffe übermenschliches Zeitmanagement und trotzdem oft die Ruhe weg.

Wenn ich noch im Bett liege, in ängstlicher Erwartung, was der kommende Tag schon wieder Unvertrautes bringen könnte, sind deren Kinder längst angezogen, haben ihr Frühstück bekommen und auf dem Weg zur Schule schon zweimal ins Auto gekotzt, gekackt oder geblutet. Dann müssen sie sie gleich wieder neu anziehen und wickeln oder so – wovon ich nicht wirklich die ganz große Ahnung habe –, und später landen die Pausenbrote im Müll, sie essen ja lieber Drogen.

Und überall lassen sie Gläser oder Becher stehen, weil sie offenbar denken, die räumen sich von selbst weg. Kinder weinen, wenn sie mittags zur Uni müssen, wechseln permanent ihr Geschlecht und sitzen oft sehr lange im Gefängnis. Menschen mit Kindern haben also ständig völlig neue Situationen, auf die sie reagieren müssen. Die haben natürlich kein Problem mit einem Umzug oder den neuen Milchtüten, wo der Deckel nicht mehr richtig abgeht.

Aber warum um Gottes Willen hätte ich, bloß um ein wenig Stressresistenz zu erreichen, mein eigenes Leben auf eine derart grundlegende Art schrotten sollen, wie man sie sonst nur von Selbstmordattentätern kennt? Was für eine Schnapsidee! Ich hacke mir doch auch nicht die rechte Hand ab, damit ich besser lerne, mit der linken zu schreiben.

Vielleicht suche ich mir einfach ein Umzugsunternehmen, das so eine Dämmerschlafnarkose anbietet wie bei einer Magenspiegelung. Und dann wache ich mitsamt Internet und allem Zeug schon in der neuen Wohnung auf. Ja, so könnte es gehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!