Die Wahrheit: Die Schrankwände der anderen
Entsetzen macht sich breit in den Videokonferenzen: Was zur Hölle steht da hinter den Kollegen? Und warum sind Schrumpfköpfe im Fenster zu sehen?
Sieht man sich in den gerade allüberall üblichen Videokonferenzen die Wohnungen der Kollegen zu Hause oder der Experten im Fernsehen an, könnte man meinen, die Deutschen bauten ihre Häuser aus Büchern, um sich gegenseitig zu versichern, dass sie lesen können. Aber auch neben diesen „Schwarten der Erkenntnis“ (Heidegger) gibt es genug, was sich bei der Videokonferenz in den Blick zu nehmen lohnt.
So lernt man viel Interessantes über andere: Malt der Kollege seine Aquarelle selbst oder versucht er, mit seinen talentierten Kindern anzugeben? Glaubt die Kollegin tatsächlich, dass wir ihr ihre Freude darüber abnehmen, so viel Zeit mit ihrem Schatzi zu verbringen, während sie offensichtlich allein in ihrem Ferienhaus sitzt? Und besitzt unser Nachbar wirklich mehrere Schrumpfköpfe und dekoriert damit seine Fenster? Letzteres wurde zwar nicht bei der Konferenz, sondern durchs Fernglas beobachtet, aber interessant bleibt die Frage allemal.
In ganz Deutschland häufen sich die telekommunikationsbedingten Vorkommnisse: Eine Frau, die in Bayern eine gehobene Beamtenposition innehat, erreichte durch einen richterlichen Schnellbeschluss, dass sie, „solange dieser ganze Scheiß“ andauere, nicht arbeiten muss. Die juristische Begründung: Die Gesichter ihrer Kollegen seien einfach unzumutbar hässlich und in der Videokonferenz unerträglich nah. Und dann hätten sie auch noch alle Ikea-Möbel. Die Kollegen wirkten betroffen, konnten die Kritik jedoch nachvollziehen.
Doch nicht jede Telekommunikation – oder „Telko“, wie Arschlöcher sagen – läuft so glimpflich ab: Mehrere Feuilleton-Konferenzen eskalierten so sehr, dass die Polizei gerufen werden musste. Einzelne Redakteure waren ausgerastet, da die Kollegen ihren vermeintlichen Originalausgaben in der „Holzmedientapete“ (Kathrin Passig) nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Den Beamten gelang es aber routiniert, die Situation zu entschärfen: „Das ist aber ein schönes Reclam-Heft, das Sie da haben. Das war bestimmt teuer!“
Auch bei sogenannten Persönlichkeiten gibt es im Hintergrund einiges zu entdecken: Hatte Cem Özdemir damals bei der Ice Bucket Challenge die Hanfpflanze noch in sein Video gerückt, um auf irgendetwas hinzuweisen, passieren anderen solche Fehltritte unabsichtlich. So hat eine aufmerksame Zuschauerin bei einem von Alexander Gaulands nun via Skype übertragenen wöchentlichen Auftritten in der Gauland-Sendung „Anne Will“ auf seinem Schreibtisch „Panzerschokolade“ entdeckt. Das gute, alte Pervitin, mit dem sich schon die Wehrmacht wachhielt und das den selben Wirkstoff enthält wie heute Crystal Meth. Sechs Kilo Stoff, nur notdürftig hinter einer Ausgabe von „Mein Kampf“ versteckt.
Mann mit der lustigen Krawatte
„Ich werde dazu keinen Kommentar abgeben“, so Gauland in einer Stellungnahme, „aus dem Sie dann eine Verbindung zwischen mir und den ‚Göring-Pillen‘ herstellen“, erklärte er den erstaunten Journalisten, die sich bis jetzt voll und ganz auf seine lustige Krawatte konzentriert hatten. Nun haben die Medien beschlossen, sich damit zu beschäftigen, was dieser Gauland eigentlich beruflich macht. Dafür könnte sich auch der Verfassungsschutz interessieren, vermuten manche Journalisten.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel sorgte entgegen ihrer sonstigen Natur für Schlagzeilen: Während sie in ihrer zweiwöchigen Quarantäne für ihre Fans einen virtuellen Rundgang durch ihre Wohnung machte, war ihr Gatte Joachim Sauer gerade dabei, die Betten neu beziehen. Zufällig entdeckte er vor laufender Kamera, dass Merkel das gesamte SED-Vermögen in ihrem Kopfkissenbezug versteckt hatte.
Stimmenzuwachs nach Nacktfotos
Anderen Politikern gelingt es, geschickter mit den neuen Möglichkeiten der Kommunikation umzugehen. So behauptete Robert Habeck keck, er habe „einfach vergessen“, seine Bilder vom FKK-Urlaub in Schleswig-Holstein vor einem „Tagesschau“-Interview abzuhängen und wurde dafür mit einem Stimmenzuwachs von fünf Prozent und zahllosen Eisprüngen belohnt.
Auch Annegret Kramp-Karrenbauer konnte die Gunst der Stunde nutzen und sich durch zahlreiche virale Hits aus dem Homeoffice bei der Jugend beliebt machen. Videos wie „Aushalten-Challenge – Wie lange noch CDU-Vorsitz?“ oder „Top 10 meiner besten Sprüche – Vorsicht! Herrlich politisch unkorrekt XD Live Performance in der Küche“ bieten nicht nur interessante Einblicke in ihren Haushalt, sondern erhalten zum Teil auch mehrere Dutzend Klicks.
AKK vermittelt uns allen damit eine wichtige Lektion: Selbst aus Ausnahmesituationen kann man Profit schlagen, wenn man sich nicht andauernd damit ablenkt, auf anderer Leute Schrankwände oder Schrumpfköpfe zu starren. Aber es macht halt solchen Spaß!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?