Die Wahrheit: Siebzehn Pfund Masse

Fünfzig Jahre „Zettel’s Traum“: Zum Jubiläum die schönsten Anekdoten rund um das berühmte Hauptwerk von Arno Schmidt.

Ein Mann mit Hornbrille guckt streng in die Kamera.

Arno Schmidt mit strengem Blick auf das Konvolut der Zettel Foto: dpa/picture alliance

Zum fünfzigsten Mal wird sich 2020 das Erscheinen von „Zettel’ s Traum“ jähren, Arno Schmidts Hauptwerk, in dem es auf 1.334 großformatigen Seiten um das Treiben und die Unterhaltungen einer kleinen Gesellschaft in der Ostheide geht. Die Gespräche an einem Sommertag des Jahres 1968 kreisen hauptsächlich um die Psyche des Schriftstellers Edgar Allan Poe. Manchen Literaturkritikern gilt „Zettel’ s Traum“ als „das“ literarische Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Grund genug, hier eine kleine Sammlung der heitersten Anekdoten rund um dieses riesenhafte Buch und seine Leserschaft auszubreiten.

Nachdem ein Sattelschlepper am 15. April 1970 mit der Erstauf-lage von „Zettel’s Traum“ die Druckerei verlassen hatte, kollidierte er in der Nähe von Niebüll gegen drei Uhr morgens mit einer Hirschkuh. Sie wurde, wie man sich erzählt, von Schmidts einstigem Brieffreund Hans Wollschläger adoptiert und gesundgepflegt und ziert heute in ausgestopfter Form die tierkundliche Abteilung des Bamberger Heimatmuseums.

Zu seinem 23. Geburtstag bekam Arnold Schwarzenegger im Jahr 1970 von seinem alten Grazer Deutschlehrer „Zettel’s Traum“ geschenkt und erkannte sofort das darin verborgene Potenzial: Indem er das siebzehn Pfund schwere Buch von vorn bis hinten in der Badewanne las, verhalf er seinen Oberarmmuskeln zu einem wassermelonengroßen Volumen und konnte sich damit in Hollywood ganz nach oben boxen. Ohne Schmidt hätte das nie funktioniert.

Insgesamt siebenmal bewarb sich der Arno-Schmidt-Fan Herbert Lustiger aus Gelsenkirchen in den Jahren 1971 bis 1974 bei der Redaktion der ZDF-Quizsendung „Dalli Dalli“, weil er vor laufender Kamera unter Beweis stellen wollte, dass er es schaffe, den Inhalt von „Zettel’s Traum“ in weniger als sechzig Sekunden wiederzugeben. Doch es hagelte Ablehnungsschreiben, die man heute im Bonner Haus der Geschichte bewundern kann, wenn man dort im dritten Tiefgeschoss das allein Arno Schmidt gewidmete „Kabinett der Nachkriegsliteratur“ besucht.

Kleinbürgerlich-dekadente Einstellung

Für den Staatssicherheitsdienst der DDR war vor allem Arno Schmidts politischer Standort von Interesse. Daher beauftragte der Stasi-Chef Erich Mielke eine siebzehnköpfige Arbeitsgruppe, „Zettel’s Traum“ zu studieren und die Ergebnisse möglichst bündig zusammenzufassen. Nach drei Jahren gelangte das Team zu dem Schluss: „Dieses Buch verrät eine kleinbürgerlich-dekadente Einstellung des Autors, die im Widerspruch zu den Beschlüssen des VIII. Parteitags der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands steht.“ Und Mielke vermerkte handschriftlich darunter: „Hatte ich mir schon gedacht.“

Im Jahr 1976 eroberte der Schlagersänger Nico Haak mit seinem Lied „Schmidtchen Schleicher“ die deutschen Charts. Im Refrain hieß es: „Oh, Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen, / wie der gefährlich in den Knien federn kann. / Die Frauen fürchten sich und fangen an zu weinen, / doch Schleicher Schmidtchen schleicht sich immer wieder an.“ Infolgedessen trug Arno Schmidts Verleger Ernst Krawehl sich vorübergehend mit dem Gedanken, gemeinsam mit dem Holländer Nico Haak ein Musical nach Motiven aus „Zettel’s Traum“ zu schreiben, aber irgendwie kam dauernd was dazwischen.

Ein Revierkampf zwischen alteingesessenen Zuhältern und einem Clan aus dem Kosovo führte 1977 auf der Reeperbahn zu einer Schießerei. Ein verirrtes Projektil durchschlug dabei die Kofferraumhaube am Wagen des Verlagsvertreters Gundolf B. aus Kiel und blieb in einer signierten Erstausgabe von „Zettel’s Traum“ stecken. Im September 2011 wurde dieses Exemplar bei einer Auktion in Manhattan versteigert und ging für sage und schreibe 28.000 Dollar an einen anonymen Bieter aus der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda. Und zwar auf Nimmerwiedersehen.

Am Rande seiner ersten Tournee durch Deutschland wollte Bob Dylan 1978 Arno Schmidt besuchen, von dem er hier und da gehört hatte. Dylan trug sich mit dem Gedanken, „Zettel’s Traum“ ins Englische zu übersetzen. Doch daraus wurde leider nichts, denn als er mit seinem Tourbus in Bargfeld anrückte, befanden Arno Schmidt und seine Frau Alice sich gerade auf der Pilzsuche. Als sie zurückkehrten, fanden sie ein Kärtchen am Gartenzaun vor, auf dem Dylan notiert hatte: „I’m out here a thousand miles from my home. Lotza love! Yours – Bob“

Traumsequenz mit getanzter Theorie

Im selben Jahr erwog Volker Schlöndorff eine Verfilmung von „Zettel’s Traum“. Für die Hauptrolle des Ich-Erzählers Daniel Pagenstecher kamen Mario Adorf, Bruno Ganz und Klaus Kinski in die engere Wahl, und Pina Bausch hatte bereits zugesagt, in einer Traumsequenz Schmidts „Etym-Theorie“ zu tanzen, aber dann sprach Günter Grass ein Machtwort, und Schlöndorff beschränkte sich zähneknirschend darauf, die „Blechtrommel“ zu verfilmen. Mit dem bekannten Resultat.

Unter der Last von „Zettel’s Traum“ brach in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1987 in der amerikanischen Kongressbibliothek ein Regal zusammen und begrub zwei Putzfrauen unter sich, die nur noch tot geborgen werden konnten. Nachforschungen ergaben, dass diese Ausgabe von „Zettel’s Traum“ bis dahin noch kein einziges Mal entliehen worden war. Der Kongress verhängte daraufhin einen Aufnahmestopp für alle weiteren Werke Schmidts, was zur Folge hatte, dass auch das 2006 veröffentlichte Sachbuch „Nachbar China“ aus der Feder des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt keinen Eingang in die Library of Congress fand.

Im Jahr 2015 untersuchten Daktyloskopen des Bundeskriminalamts die nachgelassene Privatbibliothek des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki und fanden heraus, dass in seinem Rezensionsexemplar von „Zettel’s Traum“ nur die ersten vier Seiten aufgeblättert worden waren. Um ein genaueres Studium vorzutäuschen, hatte der alte Fuchs Reich-Ranicki ganz hinten als Lesezeichen eine Autogrammpostkarte der Schauspielerin Ursula Andress eingelegt, der er 1965 in London bei den Dreharbeiten zu dem Spielfilm „Herrscherin der Wüste“ begegnet war. Gewusst wie!

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