Die Wahrheit: Drücken, stöbern, treiben
Was tun, wenn man zu einer Gesellschaftsjagd eingeladen wird? Die Wahrheit präsentiert eine dringend notwendige Anleitung.
Wer kennt das nicht: Man hält die Einladung zu einer Gesellschaftsjagd in der Hand, doch nach der ersten Freude kommt die bange Frage hoch: Was für eine Garderobe ist zu diesem Anlass angebracht – klassisch, distinguiert oder nonchalant?
Während man und frau laut Knigge bei einem Gesellschaftsabend im kleinen Abendkleid oder Cocktailkleid, im dunklen Anzug oder mit gestreifter Hose aufkreuzen sollten, ist bei einer Gesellschaftsjagd eine ganz andere Garderobe angebracht, auch wenn die Jagd ebenfalls abends stattfindet.
Da die meisten Geladenen gar nicht wissen, was eine Gesellschaftsjagd eigentlich ist, sei diese dem Laien erst einmal begrifflich erläutert. Früher war die Jagd noch dem Adel vorbehalten, daher rühren auch noch die Bezeichnungen „Hohe Jagd“ und „Niederjagd“. Die Niederjagd war keine Jagd auf niedere Tiere, sondern die Jagdform des niederen Adels, der allerdings zumeist aus niederen Beweggründen zur Jagd zog (Imponieren, Töten).
Eine Gesellschaftsjagd ist ihrerseits so definiert, dass je nach Bundesland mindestens drei beziehungsweise vier Personen zusammenwirken müssen. Mehrere Einzeljagden im selben Revier gelten jedoch nicht als Gesellschaftsjagd. Zu den Jagdgesellschaftlern zählen auch die Treiber. Da Sie, liebe Leser, vermutlich als solche eingeladen wurden, hier ein paar kleine Bekleidungsratschläge. Robuste Kleidung ist in einem solchen Fall angebracht, auffällige Oberbekleidung, aber keinesfalls Camouflage-Musterkleider! Diese sind zwar en vogue, aber der Griff in den Tarnkleiderschrank könnte sich als tödliche Eitelkeit herausstellen. Denn nach dem Wild gilt die fröhliche Treibertruppe als der am meisten gefährdete Personenkreis. Und der natürliche Feind des Treibers ist nicht das Treibgut vor ihm, sondern der Schütze gegenüber, und der sieht gewöhnlich schlecht ( Alter, Trunkenheit am Ansitz).
Rowdies und Krawallisten
Sollten Sie zu einer Gesellschaftsjagd eingeladen werden und ein Tier sein, können Sie kommen, wie Sie gerade gekleidet sind (Eine sogenannte „Come as you are“-Einladung), es wird Sie niemand schief ansehen. Bei allen diesen Gesellschaftsjagden unterscheiden wir Drückjagd, Stöberjagd und Treibjagd.
Bei so einer Treibjagd werden Tiere „hochgemacht“, um niedergemacht zu werden. Dazu braucht man qualifizierte Treiber, die lärmen können, was das Zeug hält. Die besten Treiber kommen aus gesellschaftlich weniger angesehenen Randbereichen. Da finden sich Randalierer, Rowdies, Karnevalisten, Krawallisten und haarige Hools, die sich oft zu allseits geachteten Premium-Treibern hochlärmen. Auch sogenannte Wutbürger bekommen auf einer Treibjagd die gesellschaftliche Anerkennung, nach der sie sonst vergebens dürsten.
Bedauerlicherweise reist die Gilde der Schützen immer wieder Lücken in das lustig lärmende Treibervölkchen, so dass der Treiber an sich sehr gesucht ist. Deshalb vermutlich auch die eingangs erwähnte Einladung an Sie.
Unsicherheitsfaktor Hase
Die Drückjagd wurde nach dem Jagdbrauch benannt, bei dem die besten überlebenden Treiber von den Schützen gedrückt werden, wenn Erstere ihre Sache gut gemacht haben. Denn nach Möglichkeit „soll das Wild in gemäßigtem Tempo an den Schützenständen vorbeiziehen“, wie das Lehr-, Lern- und Nachschlagewerk für Ausbildung und Praxis „Die Jägerprüfung“ erklärt.
Daran hält sich das unbeherrschte Wild leider nicht immer. Oft bricht es völlig ungemäßigt durch das Unterholz oder zischt im Zickzack über die Lichtung (Hase!). Der Leidtragende ist dann oft wieder einmal der Treiber, der den hastig abgegebenen Schüssen der Schützen ausgesetzt ist. Kein Wunder also, wenn sich die Treiber zusehends vor der Drückjagd drücken.
Gesellige Treiber
Doch ein Fehlschuss bringt auch den Schützen in die Bredouille, denn er wird vor das Jagdgericht gestellt. Das besteht aus den übrigen Teilnehmern der Jagd, die ihn in humorvoller Weise augenzwinkernd bestrafen. „Es ist Sitte, dass der Delinquent zuerst auf das Wohl des hohen Gerichts trinkt!“ („Die Jägerprüfung“). Dann muss sich der Unglücksrabe auf einen Stuhl legen und erhält vom Büttel drei Schläge mit dem „Waidblatt“ genannten großen und schweren Jagdmesser auf die Kehrseite.
Wir empfehlen dem lausigen Schützen als nächste Gesellschaftsjagd die Jagd auf den Geselligen Rasling. Das ist ein geselliger Pilz, der in Büscheln von zwanzig bis dreißig Exemplaren aufzufinden ist. Die Pilze laufen nicht weg und können problemlos abgeschossen werden.
Der Gesellige Rasling gilt zudem als vorzüglicher Speisepilz und ist eine beliebte Ingredienz von Pilztorten. Übrigens eine beliebte Delikatesse bei allen geselligen Treibern, die sich in der Kneipe zusammenfinden, weil sie sich vor der Jagd gedrückt haben und dort ihr eigenes Halali jagdrufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?