Die Wahrheit: Meine billigen Hosen
Das Lieblingskleidungsstück korpulenter Herren mittleren Alters stirbt aus: die schwarze Jeans. Modemacher interessiert das einen Dreck.
D er moderne Modemarkt ist nicht für mich gemacht. Mit Mitte dreißig, zu kurzen Beinen und wohlgewampten 100 Kilo stelle ich eine Zumutung dar für die Modedesigner: Sie designen für elfenhafte Gespinstwesen auf Instagram. Klumpleute wie mich würden sie am liebsten ganz in Oversize-Geschäften verbannt sehen, die ihre Kunden schon mit Namen wie „Big & Strong“ beschämen.
Die meiste Zeit meines erwachsenen Lebens habe ich mich am uralten, schon von Adolf Knigge gepriesenen Modeideal „bequeme schwarze Jeans“ orientiert. Mit einer schwarzen Jeans kann man nie etwas falsch machen, dachte ich mir, man ist in Oper und Spelunke gleichermaßen gut angezogen; sie geht nie kaputt, wird selten schmutzig und wenn doch, sieht es keiner. Ich gab hier gern auch dreistellige Beträge aus; schließlich sollte die Hose ja ewig halten.
Vor einigen Jahren bemerkte ich, dass die Hersteller einen anderen Plan hatten. Dort, wo sich meine Oberschenkel berührten, kam es nun immer schneller zum scheußlichen Phänomen des Abriebs: Innerhalb weniger Wochen war das Hosengewebe durchgescheuert, bald entstanden Risse, bis schließlich der gesamte Schoßbereich der Jeans in Fetzen lag.
Anfangs kaschierte ich das Problem, kaufte heimlich neue Hosen desselben Modells; versuchte breitbeiniger in ihnen zu gehen. Ich zwang meine arme Mutter, die ersten Löcher mit Spezialzwirn zu nähen. Alles umsonst: Keine Gangart und kein Zwirn der Welt kommt gegen das Geschäftsgeheimnis der Jeanshersteller an: dickenfeindliche Textilien. Die ehemalige Arbeiterhose Jeans, die gegen Grubenunglücke und brennende Stollen schützen sollte, zerfällt schon bei Kontakt mit einem winzigen Fetttropfen.
In vertrauter Runde sprach ich andere Dicke auf das Thema an. Ihnen schossen die Tränen in die Augen: Endlich spricht einer mal drüber! Sie alle hatten gedacht, mit dem Problem allein zu sein, hatten sich Vorwürfe gemacht, wo sie nur Opfer einer perfiden Masche waren. Wir tauschten Tipps aus, testeten Materialien, organisierten uns im Untergrund.
Nun trage ich tagein, tagaus schwarze Hosen aus Polyethylen von C&A, Preis pro Stück: sieben Euro. Sie sind klobig, unelegant geschnitten und vollständig unzerstörbar. Und wöge ich tausend Pfund, sie hielten wacker stand, klaglos tragen sie mein Gewicht durch die Straßen.
Für festliche Anlässe habe ich noch eine gute Hose. Sie ruht in einem vakuumierten Glaskasten in einem verborgenen Kellergewölbe. Ich habe sie bisher exakt 183 Minuten getragen. Bereits jetzt ist der Stoff rissig und verfärbt. Ich denke, dass sie noch etwa 300 Minuten Lebenszeit hat, bevor sie durch eine neue ersetzt werden muss. Bis dahin möchte ich, dass sie ein glückliches und schönes Leben hat. Denn wir sind beide nur Opfer geplanter Obsoleszenz.
Erst stirbt die Hose, dann der Mensch.
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