Die Wahrheit: „Stell dich deinen Dämonen!“
Das Wahrheit-Interview über Klassenfahrten: ein Gespräch mit Jörn Struve, der mit einer pfiffigen Geschäftsidee Millionen scheffelt.
taz: Herr Struve, Sie bieten die Wiederholung von Klassenfahrten an . . .
Jörn Struve: Der Schwerpunkt liegt zurzeit auf Klassenfahrten der siebziger Jahre. Die geburtenstarken Jahrgänge waren damals schwer auf Achse, und im Vorruhestandsalter wollen sie die Erinnerung an ihre Jugend auffrischen. Klassen- oder Jahrgangstreffen genügen da nicht.
Aber waren diese Fahrten nicht größtenteils grässlich?
Selbstverständlich. Welcher Teenager möchte schon sechs oder sieben Stunden lang im Bus sitzen und dann fünf Nächte in einer Jugendherberge in Ratzeburg oder Rothenburg ob der Tauber verbringen? Vierzig Jahre danach haben viele unserer Best Ager jedoch das Bedürfnis nach einem historischen Reenactment ihrer Jugenderlebnisse. Das hat schon Sigmund Freud empfohlen: erinnern, wiederholen und durcharbeiten.
Und wie gehen Sie dabei vor?
Wenn man uns engagiert, trommeln wir die alten Klassenkameraden zusammen, chartern einen Bus und mieten die entsprechende Jugendherberge. Außerdem stellen wir zwei bis drei Schauspieler zur Verfügung, die die ehemaligen Lehrkräfte mimen und mitunter auch hart durchgreifen, wenn es erforderlich ist.
Wie meinen Sie das?
Ja, was glauben Sie denn, wie die Menschen sich auf diesen Fahrten benehmen? Im Kreise ihrer alten Mitschüler regredieren die sofort um Jahrzehnte. Das geht beim Autoquartettspielen und Flummiwerfen los und hört bei nächtlichen Saufgelagen auf den Stuben noch lange nicht auf. Da muss schon mal jemand ein Machtwort sprechen. Sonst wäre es ja nur der halbe Spaß.
Das Ambiente in den Jugendherbergen sieht aber doch heute wahrscheinlich ganz anders aus als in den Seventies . . .
Auf Wunsch führen wir auch Rückbaumaßnahmen durch. In einer Jugendherberge im Sauerland haben wir zum Beispiel wieder echte Asbestwände eingezogen, das heiße Wasser abgestellt, die Verpflegung auf Kohlrüben und Graupensuppe umgestellt und einen rechtsradikalen Herbergsvater verpflichtet. Diese Typen waren ja damals durch die Bank noch richtige alte Nazis. Ich kann Ihnen sagen – das war ein voller Erfolg!
Und was bieten Sie den Teilnehmern tagsüber?
Natürlich exakt das, was auch in der Vergangenheit auf dem Programm gestanden hat: die Besichtigung der Kaiserthermen in Trier, eine Runde durch das Hambacher Schloss, eine Stadtführung durch Fritzlar oder die Besteigung des Fernmeldeturms Jakobsberg in der Porta Westfalica. Und so weiter.
Klingt verlockend.
Ist es auch. Wir haben volle Auftragsbücher.
Wie man hört, achten Sie auch darauf, dass in den Bussen nur zeitgenössische Musik gespielt wird.
Korrekt.
In diesem Zusammenhang ist nun die Klage einer Frau anhängig, die sich durch das „Lied der Schlümpfe“ von Vader Abraham in einem Ihrer Reisebusse misshandelt gefühlt hat . . .
Ich bin mir sicher, dass die Klage abgewiesen wird.
Die Frau wirft Ihnen immerhin schwere Körperverletzung vor, weil sie durch diesen Schlager retraumatisiert worden sei und therapeutischer Hilfe bedürfe.
Das hätte sich die Dame vorher überlegen müssen. Aus gutem Grunde verlangen wir von unseren Kunden die Bereitschaft, sich ihren Erinnerungen und damit auch ihren inneren Dämonen zu stellen.
In einem anderen Fall ist es zu einer Strafanzeige wegen Sachbeschädigung gekommen . . .
Spielen Sie auf den Vorgang im Hallenbad von Schneverdingen an?
Genau. Die Filteranlage des Schwimmbads ist von Teilnehmern Ihrer Klassenfahrt mutwillig mit Hubba-Bubba-Kaugummis verstopft worden. So wie schon 1976. Nur mit dem Unterschied, dass die Täter diesmal gestandene Familienväter sind.
Ich sagte es doch: Die Menschen regredieren, wenn man sie wieder mit ihren alten Kumpanen zusammenbringt. Wir planen jetzt übrigens auch ein Reenactment der Ardennenoffensive von 1944 und haben bereits sieben Anmeldungen aus Deutschland, vier aus dem Vereinigten Königreich und drei aus den USA. Da wird dann auch scharf geschossen. Was dagegen?
Nein. Nur zu! Sind Sie eigentlich auch mal selbst auf Klassenfahrt gewesen?
Ja. 1985. In Bad Kreuznach.
Und möchten Sie diese Fahrt wiederholen?
Nur über meine Leiche.
Vielen Dank für das Gespräch und gute Reise, Herr Struve. Keep going strong!
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