Die Wahrheit: Gefeierte neue Schnitzelrepublik

Nach der Bundestagswahl 2020: Genau 100 Tage ist die AfD jetzt an der Macht. Eine erste Zwischenbilanz fällt positiv aus.

Illustration: Dorthe Landschulz

Deutschland im August 2020. Die neue Regierung unter Führung der Alternative für Deutschland ist seit 100 Tagen im Amt. Dies nutzt die Lügenpresse traditionell für eine erste Bilanz. Hier der Rückblick auf dreieinhalb Monate, die die Bundesrepublik ebenso verändert haben, wie es einst die widerrechtliche Annexion der deutschen Ostgebiete durch slawische Eroberungstruppen und die Befreiung Mitteldeutschlands durch eine pfälzische Einmanntruppe taten.

26. April: Am Abend der vorgezogenen Bundestagswahl führt Alexander Gauland den feierlichen Wackelzug durch das Brandenburger Tor an; der Marsch geht später als „Rollatorparade“ in die Annalen der jungen Partei ein. Später spazieren noch alle zusammen auf den Rommel und fahren eine Runde Achtundachtzigerbahn.

1. Mai: Am „Tag der Arbeit“ suchen mit Wanderstöcken und Rotstiften bewaffnete Trupps von Herren über fünfzig – die sogenannten Grauen Meuthen – Behindertenwerkstätten, Waldorfschulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen auf, um zu dokumentieren, wo auf Kosten des Steuerzahlers Leistungsverweigerung betrieben wird.

5. Mai: Die Koalition aus AfD und ADAC steht. Am Tag eins der neuen Regierung wird Tempo 50 in geschlossenen Ortschaften aufgehoben: „Freie Fahrt für Freie Wähler“. Nur vor Schulen und Kitas gilt ab sofort Tempolimit 100. Außerdem werden Spielstraßen, Staus und Zebrastreifen verboten.

8. Mai: Bundespräsidentin Erika Steinbach verkündet in ihrer Königsberger Ansprache zum 75. Jahrestag des Kriegsendes die „Versöhnung mit der Wehrmacht unserer Väter“. Außerdem spricht das an Wortdurchfall leidende Staatsoberhaupt von „umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen“, die damals zur deutschen Niederlage geführt hätten: „Wären die Russen nicht durch das widerrechtlich geöffnete Wembley-Tor zur Reichskanzlei vorgestoßen, könnte Deutschland noch heute souverän und sauber sein“, so die Bundespräsidentin.

10. Mai: Feierliche Tücherverbrennung vor der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln: „Ich übergebe den Flammen das Kopftuch von Aishe Yilmaz, Mutter von Bülent Yilmaz. Ich übergebe den Flammen das Kopftuch von Frauke Petry, Mutter von vielen. Ich übergebe den Flammen das Kopftuch von Teresa, Mutter von allen.“

14. Mai: Für alle Mädchen ab drei Jahren gilt per sofort Zopfpflicht. Alle Schulkinder schreiben wieder in Sütterlin. Klapse sind erneut erlaubt, Schläge mit dem Lineal auf Fingerkuppen (Krönchen) erwünscht.

24. Mai (Muttertag): Das Kindergeld wird unter der Parole „Geil statt Geiz“ neu geordnet: Ab dem siebten Kind gibt es künftig jeweils 1.000 Euro; ab dem zwölften Kind den Brunftorden und jeweils 2.000 Euro. Das Geld soll durch eine Strafsteuer auf Kondome hereinkommen.

2. Juni: Reichsbademeister Lutz Bachmann verkündet in Nürnberg, dass künftig „niemand mehr von der Seite in den deutschen Genpool springen“ dürfe, und fordert ein Gesetz gegen Multikulti-Ehen: Künftig müsse bei jedem Neugeborenen der Blutgesinnungsfaktor festgestellt werden, um „Spätschäden für die Gesellschaft“ zu verhindern.

6. Juni: Gemäß einem Führererlass von Kanzler Jörg Meuthen sind Nazivergleiche ab sofort verboten. Verstöße dagegen werden vor dem obersten Volksgericht unter Vorsitz von Dieter Bohlen verhandelt. Die inszenierten Urteile sind nicht verhandelbar.

10. Juni: Die berüchtigte „Nacht der Museen“: Aufgrund eines Übermittlungsfehlers werden über Nacht statt der Moscheen alle deutschen Museen und Ausstellungen geschlossen. Kulturminister Höcke hatte den Unterschied nicht so genau gekannt.

12. Juni: Am „Tag der Vergessenen und Märtyrer“ würdigt ein Vertreter der AfD mit einer Pressekonferenz in der Kantine des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf die „Pioniere der Bewegung“ und ihre Verdienste. Der unbekannte Funktionär äußert dabei: „Den ganzen Papierkram und das Plakatekleben und so hätten wir damals echt nicht hingekriegt und so. Voll anstrengend und so. Danke noch mal an Bert Lucke und Oliver Henkel.“

15. Juni: Am „Tag der Ordnung und Sauberkeit“ putzen alle Bürger unser schönes Land; dafür erhält jeder Haushalt ein Kehrpaket (Besen, Lappen, Putzmittel). Flüchtlinge erhalten hochwertige Zahnbürsten (aus humanitären Gründen elektrische) und kümmern sich unter Aufsicht der Grauen Meuthen rührend um das rot-grün-versiffte Straßenpflaster.

23. Juni: Der Beleidigungsparagraf wird geändert: Der Begriff „Stuhl Petry“ ist ab sofort strafbar. Beleidigungsfähig sind künftig nur noch Bürger ohne Migrationshintergrund sowie Schäferhunde und befreundete Staatsoberhäupter.

26. Juni: Die RTL-Sendung „Drach, der Währungstester“ meldet erschütternde Zustände aus Griechenland: Der Euro sei hier nicht mal mehr flüssig, sondern schon gasförmig.

27. Juni: Praktisch über Nacht tritt Deutschland aus dem Euro-Raum aus. Ab dem 1. Juli 2020 gilt der „Freitaler“, wobei 100 Blondies einen Freitaler ergeben.

2. Juli: Gesetz gegen Hirngespinste: Die Verwendung der Wörter „Klimawandel“, „Fukushima“, „Tschernobyl“, „Globalisierung“, „Gleichberechtigung“ und „Holocaust“ wird verboten.

10. Juli: Innenminister ­Roland Koch verkündet die Abschaffung der Kriminalität in Deutschland. Dank „brutalstmöglicher Aufklärung“ säßen jetzt alle Straftäter der Vergangenheit und Zukunft in Besserungsanstalten.

14. Juli: Im Rahmen der Aktion „Auch die Nutti ist ’ne Mutti“ werden Frauenärzten Prämien dafür angeboten, dass sie Prostituierten keine Verhütungsmittel mehr verschreiben.

20. Juli: Die Linkspartei löst sich auf, nachdem die Urabstimmung darüber, ob man mit der AfD fusionieren oder sie frontal angreifen soll, auch im dritten Anlauf ein Patt ergeben hat. Egon Krenz, der nach der verdienten Niederlage bei der Bundestagswahl die Führung der führerlosen Partei übernommen hatte, versucht vergeblich, die Partei zusammenzuhalten: „Das sind doch … doch alles unsere Leute, da bei der AfD!“

30. Juli: Otto von Bismarck wird ewiger Alterspräsident des Deutschen Bundestags, der aber künftig nur noch einmal jährlich zu einer „Feierstunde für Deutschland“ zusammentreten wird.

4. August: Nachdem Hartz IV erhöht, abgeschafft, wieder eingeführt, verboten und verdoppelt worden war, tritt Hartz XLVIII „vorläufig“ in Kraft.

8. August: Kantinen, die veganes Essen anbieten, müssen zum Ausgleich einen Tag pro Woche mit „germanem Essen“ (Schnitzel mit Kartoffeln und Mehlschwitze) einführen.

11. August: Familienministerin Beatrix Amelie Ehrengard Prüdika von Storch verbietet die Sexualaufklärung in der Schule und auch im privaten Bereich. Die bewährte Geschichte vom Storch sei doch „gut geeignet für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahren“.

13. August: Die östlichen Bundesländer beschließen, ihre Grenze auf eigene Faust durch ein massives Bauwerk aus Betonplatten gegen Flüchtlinge zu sichern. Daraufhin erklären Bayern und Österreich sich rückwirkend per 7. Oktober 1949 zum Bestandteil der DDR und treten dem „Mauerbund“ bei. Kanzler der Sezessionsstaaten wird Thilo Sarrazin (SPD). Die AfD erklärt ihr Parteiabzeichen mit dem roten Phalluspfeil zum offiziellen Flaggensignal der Restrepublik Deutschland (RRD).

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